In der öffentlichen Wahrnehmung sind Callcenter fast schon zum Klischee geworden: ein Sinnbild für prekäre Jobs in der globalisierten Arbeitswelt ohne oder mit wenig sozialer Absicherung. In einem Callcenter ist auch Alice (Sarah Stauffer) beschäftigt: Dort verkauft sie per Telefon Internetverträge und Krankenversicherungen.
Info
Dene wos guet geit
Regie: Cyril Schäublin,
71 Min., Schweiz 2017;
mit: Sarah Stauffer, Nikolai Bosshardt, Fidel Morf
Wie auf Perlenkette aufgereiht
Regisseur Cyril Schäublin reiht in seinem Langfilmdebüt, das mit gut 70 Minuten Laufzeit eher kurz ausfällt, wie auf eine Perlenkette Akteure und Schauplätze auf, die mit diesem Kriminalfall zusammenhängen. Dass die Betrügerin am Ende vor Gericht stehen wird, erfährt man bereits im Prolog. Es geht Schäublin also nicht darum, Spannung aufzubauen, Motivationen offen zu legen oder gar zu überraschen; dafür ist sein Debütfilm im besten Sinne ungewöhnlich.
Offizieller Filmtrailer OmU
Songtitel von Mani Matter
Ob Alice aus Habgier oder einer Notlage heraus kriminell wird, erfährt man ebenfalls nicht; obwohl der vage angedeutete Kontext ersteres signalisiert. Dagegen wird fast jede Figur in der Geschichte, die nüchtern wie eine Fallstudie erzählt ist, umgetrieben von der Sorge, sie könnten auf diese oder jene Art Geld verlieren oder sich schlechter stellen. Überall dreht sich alles um die Themen, mit denen Alice im Callcenter zu tun hat. So diskutieren die Polizisten, die in dem Fall ermitteln, immer wieder Mobilfunkverträge – oder die Frage, ob man mit einem anderen Krankenversicherungsmodell vielleicht besser dran wäre.
Der Filmtitel nimmt Bezug auf den gleichnamigen Song des Berner Liedermachers Mani Matter, der in der Schweiz auch 47 Jahre nach seinem frühen Unfalltod als subkulturelle Instanz gilt – er wird immer noch gern von Schweizer Szene-Größen interpretiert. Verspielt und doch schnörkellos bringt der Songtext auf den Punkt, was aus ungleicher Güterverteilung folgt. Auch in diesem Film dreht sich alles um Finanzen, um Passwörter und Zugangscodes; ein zwischenmenschlicher Austausch jenseits von Zahlen scheint kaum möglich.
Wie in Überwachungskamera
Eine junge Polizistin schert hin und wieder aus diesem Korsett aus; sie will zum Beispiel von einem Kino- oder Ausstellungsbesuch erzählen. Doch das versandet; ihre Kollegen lassen sie rhetorisch am ausgestreckten Arm verhungern. Ohne jede Dramatisierung entwirft Schäublin das Bild einer Gesellschaft, die ihr saturiertes Mittelmaß bis ins Extrem treibt. In einer statischen Welt wie dieser muss sich niemand mehr bewegen.
Hintergrund
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Fremder Planet Zürich
Die Menschen werden an den Bildrand gequetscht, und zugleich steckt jeder in seiner Rolle fest. Sogar dramatische Zäsuren wie Alices Verhaftung gehen unspektakulär und höflich über die Bühne. Der Filmemacher distanziert sich wie ein Ethnograf vom Geschehen, was vielleicht damit zusammenhängt, dass Schäublin seine Studienjahre im Ausland verbracht hat: Das Leben in Zürich erscheint ihm so fremd wie ein ferner Planet.
„Dene wos guet geit“ ist ein ungewöhnlicher, weil absichtlich spannungsfreier Film, der dennoch so kurzweilig wie eindrücklich wirkt. Er blickt lakonisch auf eine graubleierne, ziemlich deprimierende Welt – trotzdem steckt darin viel leichtfüßiger, bisweilen surrealer Humor. Ein bemerkenswerter Spagat.