Cyril Schäublin

Dene wos guet geit

Alice (Sarah Stauffer). Foto: deja vu Film
(Kinostart: 18.7.) Trickbetrug im Land der Totalsaturierten: Einen Callcenter-Kriminalfall nutzt der Regisseur Cyril Schäublin für eine Schweiz-Satire, in der sich außer Geld nichts mehr bewegt. Mit leichtfüßigem Humor – ein bemerkenswerter Spagat.

In der öffentlichen Wahrnehmung sind Callcenter fast schon zum Klischee geworden: ein Sinnbild für prekäre Jobs in der globalisierten Arbeitswelt ohne oder mit wenig sozialer Absicherung. In einem Callcenter ist auch Alice (Sarah Stauffer) beschäftigt: Dort verkauft sie per Telefon Internetverträge und Krankenversicherungen.

 

Info

 

Dene wos guet geit

 

Regie: Cyril Schäublin,

71 Min., Schweiz 2017;

mit: Sarah Stauffer, Nikolai Bosshardt, Fidel Morf

 

Weitere Informationen

 

Weil sie das in der Schweiz tut, gibt es dafür als Einstiegsgehalt immerhin 22 Franken pro Stunde, also etwa 20 Euro, plus Provision; das klingt eigentlich nicht schlecht. Der jungen Frau reicht das jedoch nicht aus. Deshalb nutzt sie sensible Daten, an die sie an ihrem Arbeitsplatz kommt, für den so genannten Enkeltrick aus. Bei dieser Form der Trickbetrügerei geben sich die Täter am Telefon gegenüber alten, oft vereinsamten Menschen als Verwandte in einer finanziellen Notlage aus – um so an deren Bargeld oder Wertgegenstände heran zu kommen.

 

Wie auf Perlenkette aufgereiht

 

Regisseur Cyril Schäublin reiht in seinem Langfilmdebüt, das mit gut 70 Minuten Laufzeit eher kurz ausfällt, wie auf eine Perlenkette Akteure und Schauplätze auf, die mit diesem Kriminalfall zusammenhängen. Dass die Betrügerin am Ende vor Gericht stehen wird, erfährt man bereits im Prolog. Es geht Schäublin also nicht darum, Spannung aufzubauen, Motivationen offen zu legen oder gar zu überraschen; dafür ist sein Debütfilm im besten Sinne ungewöhnlich.

Offizieller Filmtrailer OmU


 

Songtitel von Mani Matter

 

Ob Alice aus Habgier oder einer Notlage heraus kriminell wird, erfährt man ebenfalls nicht; obwohl der vage angedeutete Kontext ersteres signalisiert. Dagegen wird fast jede Figur in der Geschichte, die nüchtern wie eine Fallstudie erzählt ist, umgetrieben von der Sorge, sie könnten auf diese oder jene Art Geld verlieren oder sich schlechter stellen. Überall dreht sich alles um die Themen, mit denen Alice im Callcenter zu tun hat. So diskutieren die Polizisten, die in dem Fall ermitteln, immer wieder Mobilfunkverträge – oder die Frage, ob man mit einem anderen Krankenversicherungsmodell vielleicht besser dran wäre.

 

Der Filmtitel nimmt Bezug auf den gleichnamigen Song des Berner Liedermachers Mani Matter, der in der Schweiz auch 47 Jahre nach seinem frühen Unfalltod als subkulturelle Instanz gilt – er wird immer noch gern von Schweizer Szene-Größen interpretiert. Verspielt und doch schnörkellos bringt der Songtext auf den Punkt, was aus ungleicher Güterverteilung folgt. Auch in diesem Film dreht sich alles um Finanzen, um Passwörter und Zugangscodes; ein zwischenmenschlicher Austausch jenseits von Zahlen scheint kaum möglich.

 

Wie in Überwachungskamera

 

Eine junge Polizistin schert hin und wieder aus diesem Korsett aus; sie will zum Beispiel von einem Kino- oder Ausstellungsbesuch erzählen. Doch das versandet; ihre Kollegen lassen sie rhetorisch am ausgestreckten Arm verhungern. Ohne jede Dramatisierung entwirft Schäublin das Bild einer Gesellschaft, die ihr saturiertes Mittelmaß bis ins Extrem treibt. In einer statischen Welt wie dieser muss sich niemand mehr bewegen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Höhenfeuer" - intensives Inzest-Drama aus der Schweiz von Fredi M. Murer

 

und hier einen Bericht über den Film "Der Verdingbub" - Bergbauern-Drama über Kinder als Arbeits-Sklaven in der Schweiz bis 1950 von Markus Imboden

 

und hier eine Besprechung des Films "Winterdieb" - über elternlose Kinder in den Schweizer Alpen, von Ursula Meier, Gewinner des Silbernen Bären 2012

 

Verknüpft ist diese Satire mit Schauplätzen, die sich überall befinden könnten und wenig über ihren geographischen oder sozialen Kontext preisgeben; der städtische Raum scheint von jeder Urbanität entleert. Oft blickt der Zuschauer von oben auf das Geschehen, als seien die Bilder von Überwachungskameras aufgenommen und bemerkenswert bis zur Abstraktion inszeniert.

 

Fremder Planet Zürich

 

Die Menschen werden an den Bildrand gequetscht, und zugleich steckt jeder in seiner Rolle fest. Sogar dramatische Zäsuren wie Alices Verhaftung gehen unspektakulär und höflich über die Bühne. Der Filmemacher distanziert sich wie ein Ethnograf vom Geschehen, was vielleicht damit zusammenhängt, dass Schäublin seine Studienjahre im Ausland verbracht hat: Das Leben in Zürich erscheint ihm so fremd wie ein ferner Planet.

 

„Dene wos guet geit“ ist ein ungewöhnlicher, weil absichtlich spannungsfreier Film, der dennoch so kurzweilig wie eindrücklich wirkt. Er blickt lakonisch auf eine graubleierne, ziemlich deprimierende Welt – trotzdem steckt darin viel leichtfüßiger, bisweilen surrealer Humor. Ein bemerkenswerter Spagat.