Hamburg

Hyper! A Journey into Art and Music

Radenko Milak: Madonna Kisses Britney (Detail), 2019, Watercolor, 48,5 x 35 cm. © Radenko Milak, courtesy PRISKA PASQUER, Cologne, Copyright: © Radenko Milak. Fotoquelle: Deichtorhallen Hamburg
Parforce-Ritt durch die Plattensammlung: Die Deichtorhallen wollen die vielfältigen Verbindungen zwischen Gegenwartkunst und Popmusik präsentieren. Doch der kaum gegliederte Materialberg wirkt recht beliebig – wie Querbeethören in der Phonothek.

Das obige Bild ist ungefähr das Aufregendste, was diese Ausstellung zu bieten hat. Jedenfalls war es vor 16 Jahren ein Aufreger: Am Ende ihres Auftritts bei den „MTV Video Music Awards“ 2003 in New York knutschte Madonna ihre Kolleginnen Britney Spears und Christina Aguilera. Zungenküsse dreier Pop-Diven vor laufenden Kameras – das Rauschen im Blätterwald war laut.

 

Info

 

Hyper! A Journey into Art and Music

 

01.03.2019 - 04.08.2019

täglich außer montags

11 bis 18 Uhr

in den Deichtorhallen, Deichtorstr. 1-2, Hamburg

 

Katalog 49,80 €

 

Weitere Informationen

 

Diese TV-Aufnahme hat der bosnische Künstler Radenko Milak als Schwarzweiß-Aquarell nachgemalt. Als Auftragsarbeit für die Deichtorhallen, wie 30 andere Motive: etwa das futuristische Lautgedicht „Zang Tumb Tumb“ (1912) von Filippo Marinetti, das Treffen von Nixon und Elvis Presley 1970 im Weißen Haus, das Cover des zweiten Joy-Division-Albums „Closer“ von 1980, oder wie Pete Townshend von „The Who“ auf der Bühne seine Gitarre zertrümmert. Was verbindet dieses Potpourri abgemalter Schnappschüsse? Kurator Max Dax hält sie alle für wichtige „musikhistorische Momente“.

 

Impresario in eigener Sache

 

Eigentlich sollte er der richtige Macher für eine Ausstellung über Kunst und Popmusik sein. Max Dax war von 2007 bis 2010 Chefredakteur des Magazins „Spex“ – in seiner postheroischen Phase, als es nicht mehr als Zentralorgan für Poptheorie galt, sondern schon mit Bedeutungs- und Auflagenschwund kämpfte; die Druckausgabe wurde Anfang des Jahres eingestellt. Zuvor und seither irrlichtert Dax durch den deutschen Popjournalismus als Impresario in eigener Sache, der immer mal wieder mit schrägen Ideen auffällt.

Interview mit Kurator Max Dax + Impressionen der Ausstellung; © Deichtorhallen, Hamburg


 

Vom Genie-Kult zur Klangtapete

 

Was er mit dem Gegenstand dieser Ausstellung gemeinsam hat: Gegenwartskunst und Popmusik haben eine solche Omnipräsenz entwickelt, dass ihr Vergleich nahe liegt. Dafür bieten sich allerlei Ansätze an. Etwa zu den Wechselwirkungen: Welche Musiker haben welche bildenden Künstler zu neuen Werken inspiriert – und umgekehrt? Oder als historischer Rückblick: wie der Genie-Kult, der Künstlern der Klassischen Moderne zukam, ab den 1960er Jahren auf Rockstars abfärbte.

 

Oder zu den Gründen ihrer Popularisierung: Je billiger und besser Tonträger, Druck- und Filmtechniken wurden, desto beliebter die Interpreten und Künstler – wobei die Aura des Kunstwerks als Unikat paradoxerweise nicht flöten ging. Oder heutige Inflationierung: Dauerbeschallung und Streaming-Dienste lassen Musik zur Klangtapete herabsinken, im endlosen Reigen der Messen und Vernissagen wird Kunst zum Dekor für Partygeplauder.

 

Aufreihung von Stichworten + Werken

 

Manch andere Blickwinkel auf das vielschichtige Verhältnis von Kunst und Pop wären denkbar; die Ausstellung müsste sich auf einige beschränken, um nicht auszuufern. Doch davon hält Max Dax wenig; systematisches Argumentieren oder gar Abstraktion sind nicht sein Fall. Er gründete 1992 eine Zeitschrift nur für Gespräche mit Promis, und diesem Ansatz ist er treu geblieben: „ausführliche, nicht in konfrontativem Stil geführten Interviews beleuchten das Leben und Wirken der jeweiligen Person“. Kurz gefasst: Dax liefert Stichworte, sein Gegenüber darf sich ausbreiten.

 

So geht er auch in der Ausstellung vor: Sie umfasst rund 300 Werke von 60 Künstlern, ohne dass irgendein roter Faden erkennbar wäre. Stattdessen beschreibt Dax nur: Seine kurzen Erläuterungen zu den Exponaten sind journalistisch tadellos. Doch sie stehen beziehungslos nebeneinander wie Platten im Regal des Musikfans. Dessen ambivalente, manchmal parareligiöse Verehrung seiner Idole ist der einzige Aspekt, der etwas umfassender thematisiert wird. Etwa mit der wandhohen Frottage-Kopie, die Scott King von der Fassade des Wohnhauses von Ian Curtis abpauste – der Sänger der Postpunk-Band „Joy Division“ beging 1980 Selbstmord.

 

Alles ist irgendwie Pop

 

Hintergrund

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Geniale Dilletanten: Subkultur der 1980er Jahre in Deutschland" - prägnante Überblicks-Schau in München, Hamburg + Dresden

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Yoko Ono: Peace is Power" - Retrospektive der größten Rockdiva des Kunstbetriebs im Museum der bildenden Künste, Leipzig

 

und hier einen Bericht über den Film "Blank City" - Doku über die No-Wave-Szene im New York der späten 1970erJahre von Céline Danhier

 

und hier einen Beitrag über den Film "Imagine waking up tomorrow and all music has disappeared" - origineller Essayfilm mit dem Ex-KLF-Musiker Bill Drummond von Stephan Schwietert

 

und hier eine Kritik des Films "Tod den Hippies - Es lebe der Punk!" - semiautobiographischer Rückblick auf die Underground-Szene in Westberlin um 1980 von Oskar Roehler.

 

Danach benannte sich die Gruppe in „New Order“ um; für ihr Album „Technique“ von 1989 schuf Designer Peter Saville ein meterlanges Reklame-Billboard. Es füllt gleichfalls eine Wand; offenbar unterscheidet der Kurator nicht zwischen autonomen Kunstwerken, Werbemitteln, Dokumentation und Memorabilia. Alles scheint für ihn im Pop-Kontext irgendwie relevant zu sein; auch wenn oft unerfindlich bleibt, warum.

 

Wie beim 15-minütigen 3D-Video „Night Life“, für das ein ganzer Saal reserviert ist: Cyprien Gaillard zeigt wild schwingende Palmwedel und ein Feuerwerks-Finale, untermalt von Rocksteady-Klängen. Wenn das ein Beispiel für die enge Verknüpfung von Kunst mit Pop sein soll, würde das ebenso für jeden beliebigen Spielfilm mit Soundtrack gelten.

 

KLF verbrennen eine Million Pfund

 

Dagegen werden Arbeiten unter Wert behandelt, die solche Phänomene markant beleuchten. So verbrannte das britische Konzept-Dancefloor-Duo „The KLF“ 1994 eine Million britischer Pfund aus Verkaufserlösen und filmte sich dabei. Dieser sarkastische Kommentar auf die Kommerzialisierung der Musikbranche ist zwar in der Schau zu sehen, bleibt aber isoliert – und die parallele Entwicklung auf dem Kunstmarkt unerwähnt.

 

Das einzige, was dieses Sammelsurium verbindet, scheint der Privatkosmos von Max Dax sein: Er kennt die Akteure, ihr Schaffen gefällt oder amüsiert ihn. Wie dies oder jenes dem einen oder anderen Besucher; bei 300 Werken dürfte für jeden Geschmack etwas dabei sein. Vorausgesetzt, man verzichtet auf Zusammenhänge: Mit unstruktierter Aneinanderreihung suggeriert die Ausstellung völlige Beliebigkeit sowohl von Kunst als auch von Popmusik.

 

Alles voller Interviews

 

Nichtsdestoweniger lässt sich beides ausgiebig weiter verwerten und vermarkten: sei es als Artikel-Serie für das hauseigene Online-Magazin „Halle 4“ – voller Interviews. Oder im voluminösen und kostspieligen Katalog – voller Interviews. Auf Dauer löst diese Flut von Visuals und Soundbites aber den gleichen Effekt aus wie das Reinhören in Dutzende von Platten: Alles kitzelt angenehm Augen und Ohren – und bleibt kaum in Erinnerung.