Léa Seydoux + Colin Firth

Kursk

Kapitänleutnant Michail Awerin (Matthias Schoenaerts, re.) geht an Bord der Kursk. Foto: © Wild Bunch Germany 2019
(Kinostart: 11.7.) Massengrab am Meeresgrund: Im August 2000 sank das russische Atom-U-Boot in der Barentssee – der Kreml verhinderte die Rettung von Überlebenden. Das zeichnet Regisseur Thomas Vinterberg schnörkellos sachlich mit großem Staraufgebot nach.

Es beginnt mit dem größtmöglichen Kontrast: Am Vorabend ihres Auslaufens zum Manöver feiern die Matrosen des Atom-U-Boots „K-141 Kursk“  eine Hochzeit. Mit allem, was zu einer russischen Heirat dazu gehört: quietschbunte Saaldekoration, große Banketttafel, randvolle Servierplatten, launige Trinksprüche, Wodka, Musik und Tanz nach Herzenslust. Die pure Lebensfreude – der Film schwelgt geradezu in ausgelassenen Fest-Szenen.

 

Info

 

Kursk

 

Regie: Thomas Vinterberg,

117 Min., Belgien/ Frankreich/ Norwegen 2018;

mit: Léa Seydoux, Colin Firth, Matthias Schoenaerts, Max von Sydow 

 

Weitere Informationen

 

Am nächsten Morgen herrscht wieder Alltag; und der ist trübe in Widjajewo, einer kleinen Siedlung mit rund 5000 Einwohnern an der Barentssee, wo die „Kursk“ stationiert ist. An der Nordküste der Halbinsel Kola ist es für Bäume zu kalt; in der dortigen Tundra wachsen nur Buschwerk und Gras. Doch die Region rund um die Gebietshauptstadt Murmansk hat große militärische Bedeutung: als Basis der russischen Nordflotte.

 

18.000 Tonnen schwimmender Stahl

 

Die „Kursk“ war nicht irgendein Unterseeboot und ihr Untergang kein unvermeidliches Unglück. Der 154 Meter lange und 18.000 Tonnen schwere Koloss galt bei seinem Stapellauf 1994 als das modernste Mehrzweck-U-Boot der Welt. Seine Teilnahme im August 2000 am größten Manöver seit zehn Jahren sollte demonstrieren, dass die russische Marine nach einer langen Phase des Niedergangs wieder eine beherrschende Rolle auf den Ozeanen spielt.

Offizieller Filmtrailer


 

Rettungs-U-Boot für Devisen verkauft

 

Es kam anders: Am Drama des Untergangs der „Kursk“ und den gescheiterten Versuchen, Überlebende ihrer Besatzung zu bergen, nahm die Weltöffentlichkeit Anteil. Längst steht zweifelsfrei fest, dass die Katastrophe am 12. August von einem Torpedo ausgelöst wurde, der an Bord explodierte, bevor er abgeschossen werden konnte. Entgegen der Vorschriften war das U-Boot mit scharfer Munition ausgelaufen, weil es keinen Kran zum Ausladen der Torpedos gab – diese Vorgeschichte des Desasters lässt der Film weg.

 

Wie Mangelwirtschaft das Chaos der folgenden Tage prägte, streicht Regisseur Thomas Vinterberg allerdings deutlich heraus. Die Marine verfügt nur über ein Rettungs-U-Boot, weil ihr zweites zur Devisenbeschaffung in den Westen verkauft worden ist. Das Material ist veraltet und schlecht gewartet; so verlaufen die ersten Bergungsversuche des Wracks in 108 Meter Tiefe erfolglos. Was Menschenleben aufs Spiel setzt: 23 Besatzungsmitglieder – so wird später rekonstruiert – hatten die Explosion überlebt, harrten im hinteren Teil des Bootes aus und warteten auf Bergung.

 

CO2-Filter vernichtet letzten Sauerstoff

 

Vergeblich: Die russische Admiralität lehnte Hilfsangebote der norwegischen und britischen Marine tagelang ab. Erst am 20. August, acht Tage nach dem Unglück, durften norwegische Taucher zum Wrack hinabsteigen; zwei Tage später gelang es ihnen endlich, den stählernen Schiffsrumpf aufzubohren. Zu spät für die Matrosen: In den nächsten Wochen werden 118 Leichen geborgen.

 

Diese Tragödie erzählt Regisseur Vinterberg sachlich und schnörkellos nach. Da es keine Augenzeugen gibt, ist das Geschehen an Bord des U-Boots notgedrungen erfunden, wirkt aber sehr plausibel. So löste vermutlich ein ins Wasser fallender CO2-Filter durch eine chemische Reaktion einen Brand aus, der den letzten Sauerstoff verbrauchte und damit den bis dahin Überlebenden den Garaus machte.

 

Max von Sydows Arroganz der Macht

 

Dieses Dokudrama beansprucht nicht, Neues zu erzählen; das Bekannte ist schon grausig genug. Solche Bilder von der drangvollen Enge im U-Boot-Inneren, das sich binnen Minuten in ein Massengrab verwandelt, sah das deutsche Publikum zum letzten Mal wohl in Wolfgang Petersens Seekriegs-Schocker „Das Boot“ von 1981. Anrührend werden diese Szenen vor allem durch hervorragende Darsteller; Vinterberg ist es gelungen, dafür eine beeindruckende, internationale Riege von Star-Schauspielern zu verpflichten.

 

Matthias Schoenaerts als Kapitänleutnant Michail Awerin, aber auch August Diehl und Matthias Schweighöfer als einfache Matrosen machen ihre Sache sehr gut. Peter Simonischek als Admiral Wjatscheslaw Grusinski ist geneigt, auf das Hilfsangebot des britischen Offiziers David Russell (Colin Firth) einzugehen, wird aber von seinem Vorgesetzten Wladimir Petrenko (Max von Sydow) zurückgepfiffen. Der legendäre Charakterdarsteller, inzwischen 90 Jahre alt, verkörpert mit seinen verwitterten Zügen formvollendet die Arroganz der Macht.

 

Krampfhafter Vertuschungs-Versuch

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Die Kommune"  - vielschichtiges WG-Porträt in den 1970er Jahren von Thomas Vinterberg

 

und hier eine Besprechung des Films "Am grünen Rand der Welt" - viktorianisches Liebesdrama nach Thomas Hardys Romanklassiker von Thomas Vinterberg mit Matthias Schoenaerts

 

und hier einen Beitrag über den Film "Leviathan" – fesselnde Tragödie über Rechtlosigkeit am russischen Polarkreis von Andrej Swjaginzew

 

und hier einen Bericht über den Film "Die Jagd" - packendes Psycho-Drama über Pädophilie mit Mads Mikkelsen von Thomas Vinterberg.

 

Sie ist das eigentliche Thema des Films. Für die tagelange Weigerung des Kremls, ausländische Bergungsschiffe und Taucher an das Wrack der „Kursk“ heran zu lassen, gab es zwar eine inoffizielle Begründung: Man wollte verhindern, dass sie russische Militärtechnik ausspionierten. Doch die war eher schwach; nach der Torpedo-Explosion, der kurz darauf eine weitere folgte, war die U-Boot-Ausstattung weitgehend deformiert und zerstört.

 

Der eigentliche Grund, den der Film sehr anschaulich herausarbeitet, war psychologischer Natur: Die russische Führung betrachtete den Untergang ihres Parade-Schlachtschiffes als Demütigung, auf die sie nicht anders zu reagieren wusste als mit Vertuschung – ohne zu realisieren, dass gerade ihr krampfhaftes Bemühen darum im Medienzeitalter umso peinlicher wirken musste. Die ganze Welt sah zu, wie sich die Admiräle wanden. Dass sie dabei fahrlässig Menschenleben riskierten, war ihnen egal – was zum PR-Desaster wurde.

 

Hurra zum Heldentod fürs Vaterland

 

Dass es sich wiederholt, ist eher unwahrscheinlich: Hohe Einnahmen aus Öl- und Erdgas-Exporten in den letzten 15 Jahren investierte der Kreml auch in die Modernisierung von Armee und Marine. Wie einsatz- und leistungsfähig sie sind, hat ihr siegreiches Eingreifen in den Syrien-Krieg gezeigt. Was menschenverachtenden Hurra-Patriotismus noch verstärkt haben dürfte: Gerade weil die Gesellschaft so autoritär organisiert und die Lebenswelt so trist ist, identifizieren sich die meisten Russen – quasi als Akt der Kompensation – mit einer vage beschworenen Größe ihrer Nation.

 

Der Mythos lebt: Der Heldentod fürs Vaterland, in Westeuropa seit 1945 passé, gilt in Russland immer noch als ehrenhaft und erstrebenswert; zumindest verbreiten Schulunterricht und Staatspropaganda diese Botschaft. Gegenstimmen werden mundtot gemacht oder ins Exil getrieben. Da bleibt am Ende nur, wie in diesem Film, den Mördern in Uniform zumindest nicht die Hand zu schütteln.