
Die Filme des mittlerweile 70-jährigen Spaniers Pedro Almodóvar erkennt man auf den ersten Blick: Das ausgefeilte Setdesign, die extravagante Garderobe der Darstellerinnen und eine üppige Farbigkeit machen sie zu einem Fest für das Auge. In der Handlung steckt meist Melodramatik und ein Schmerz, der von einem eigenwilligen Humor aufgefangen wird. Seine Heldinnen sind oft schöne Frauen, die sich gegen die Zumutungen des Lebens im Allgemeinen und der Männer im Speziellen verteidigen müssen.
Info
Leid und Herrlichkeit (Dolor y gloria)
Regie: Pedro Almodóvar,
113 Min., Spanien 2019;
mit: Antonio Banderas, Penélope Cruz, Asier Etxeandia
Animierte Leiden
Der Darsteller, der mit den frühen Filmen von Almodóvar in den 1980er Jahren bekannt wurde, läuft hier zur Hochform auf; in Cannes wurde er dafür dieses Jahr mit dem Preis für den Besten Schauspieler geehrt. Sein Salvador Mallo ist eine Mimose. Nach weltweiten Erfolgen steckt er in einer tiefen Schaffenskrise. Seinen Ruhm musste er stets mit körperlichen und seelischen Leiden bezahlen, wie eine fulminante Animationssequenz zu Beginn eindringlich vor Augen führt.
Offizieller Filmtrailer
Pisse + Jasmin = Kino
Aufgrund seiner Gebrechen fühlt Mallo sich nicht mehr in der Lage zu arbeiten und versinkt darüber in eine tiefe Depression. Die Begegnung mit seinem früheren Schauspieler Alberto Crespo (Asier Etxeandia), mit dem er vor 30 Jahren im Streit auseinander gegangen war, führt ihn in seine Vergangenheit zurück. In Rückblenden werden immer wieder Szenen aus Mallos Kindheit eingeflochten.
Damals lebte er mit seiner so schönen wie eigensinnigen Mutter Jacinta (Penélope Cruz) in ärmlichen Verhältnissen in einem Dorf. Sein einziger Fluchtpunkt aus der sozialen Enge waren Filme, die an die Mauern der Häuser projiziert wurden. „Das Kino meiner Kindheit riecht nach Pisse, nach Jasmin und nach Sommerbrise „, heißt es an einer Stelle. Die ambivalente Beziehung zur Mutter sollte sich als lebensprägend erweisen. Noch als alte Frau (Julietta Serrano) ist sie Mallos wichtigste Bezugsperson.
Biographisches trifft erzählerische Freiheit
Seine große Liebe Federico (Leonardo Sbaraglia) begleitete ihn dagegen nur kurz durchs Leben. Von dieser Liebesgeschichte erzählt Almodóvar durch einen inszenatorischen Kunstgriff: Alberto trägt sie als ergreifenden Theatermonolog vor einer weißen Leinwand vor. Die verschiedenen Beziehungen und Zeitebenen des Films überlagern und verdichten sich zusehends.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Julieta" - ergreifendes Mutter-Tochter-Drama von Pedro Almodóvar
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Das eigene Leben ist eine Geschichte
Andererseits sollte man sich von vermeintlichen Eindeutigkeiten nicht täuschen lassen. Almodóvar spielt mit der sogenannten „Autofiktion“, bei der Autobiographisches mit einer erfundenen Erzählebene vermischt wird: die eigene Lebenserfahrung wird fiktionalisiert, Film und Realität sind nicht einfach eins zu eins zu setzen.
„Leid und Herrlichkeit“ verdeutlicht anschaulich, dass unser Dasein mitunter nur zu ertragen ist, wenn wir es uns selbst in Form einer Geschichte erzählen. Mit zunehmendem Alter – das veranschaulicht diese fiktionalisierte Lebenserinnerung – vermischen sich Erlebtes und Erdachtes; das Bedürfnis, die gemachten Erfahrungen einzuordnen und zu kategorisieren, nimmt zu. Salvador Mallo bleiben der Schmerz und die Liebe als Fixsterne.
Hoffentlich nicht der letzte
Von all dem erzählt Almodóvar mit einer leichtfüßigen Melancholie. Das Schrille und Überzeichnete, das viele seiner Arbeiten charakterisiert, ist in dieser Rückschau stark zurückgenommen. Umso mehr berührt der Film. Ob es sein letzter ist? Hoffentlich nicht.