
Der eine malte den Tag, der andere die Nacht. Den einen reizten die großstädtischen Parks, den anderen eher die verkehrsumtosten Straßen von Berlin. Max Liebermann (1847-1935) und Lesser Ury (1861-1931) waren impressionistische Maler, doch sehr unterschiedliche Charaktere. Im direkten Vergleich ihrer Bilder wird rasch deutlich, dass beide Künstler mehr trennte als nur persönliche Animositäten, die in etlichen Anekdoten überliefert sind.
Info
Max Liebermann und Lesser Ury: Zweimal Großstadt Berlin
19.05.2019 - 26.08.2019
täglich außer dienstags
10 bis 18 Uhr
in der Liebermann-Villa, Colomierstraße 3, Berlin
Zwei jüdische Berliner
Schroffe, eigensinnige Charaktere waren sie beide; dabei verband sie viel. Liebermann wie Ury waren jüdischer Herkunft, verbrachten den Großteil ihres Lebens in Berlin und orientierten sich am französischen Impressionismus. Was sie daraus machten, unterscheidet sich allerdings erheblich. Das lässt sich jetzt an den pointiert ausgewählten Ölgemälden, Pastellen, Zeichnungen und Grafiken in Liebermanns Sommerhaus nachvollziehen.
Diashow: Werke von Lesser Ury; © LearnFromMasters
Glänzende Lichter der Großstadt
Dem Gast überlässt die Schau dabei den Vortritt; das Gros der Werke stammt von Ury. Er blieb, trotz seines Erfolgs zu Lebzeiten, der weitaus Unbekanntere: ein Lokalmatador, dessen Werke jetzt aus Berliner Sammlungen beigesteuert wurden. In den intimen Räumen der Liebermann-Villa kommen ihre malerischen Qualitäten perfekt zur Geltung.
Gleich im ersten Raum blitzen Autoscheinwerfer grell auf nassem Großstadt-Asphalt. Nachtschwärmerinnen streben übers Trottoir und weichen einer vorbeipreschenden Pferdedroschke aus. Wenn es regnete und Berlin sich im Schimmer seines modernen Verkehrs und seiner künstlichen Lichter spiegelte, war Lesser Ury ganz in seinem Element.
Scheinwerferkegel wie Augenpaare
Er tupfte sahnig-dick weiße Glanzlichter als pure Farbmaterie auf, konnte die Leinwand aber auch in hauchzarten, transparenten Farbschleiern mit samtigem Dunkel überziehen. Für solche Effekte wurde der Bäckermeistersohn aus Birnbaum in der damaligen Provinz Posen geschätzt, der als Jugendlicher nach Berlin kam. Dennoch blieb er im Berliner Kunstbetrieb ein Einzelgänger, der wohl oft genug aneckte.
Sein Atelier am Nollendorfplatz benutzte er gern als Ausguck, um seine nächtlichen Stadtansichten zu komponieren. In schwindelerregender Schrägsicht rutscht dem Betrachter eine rasch hingeworfene Straßenszenerie von 1925 entgegen; nichts gibt darin Halt. Wie unheimliche Augenpaare leuchten die Scheinwerferkegel der Fahrzeuge. Dann wieder räumt der Maler seine Straßenschluchten fast leer, schiebt die wenigen Passanten an den Rand oder vernebelt das Bildzentrum mit weißlichem Dunst und Rauch. Dass er seine Lieblingsmotive oft wiederholte, war wohl der Nachfrage geschuldet.
Maler der Großstadt im Grünen
Liebermann hingegen interessierte das alles nicht: Nacht, Großstadtgewühl und grelles Kunstlicht. Das war nicht sein Berlin. Ohnehin bewegte sich der gutsituierte Spross einer alteingesessenen Kaufmannsfamilie in anderen gesellschaftlichen Kreisen. Aber von seinem innerstädtischen Wohnsitz am Pariser Platz aus – dem heutigen Max-Liebermann-Haus, das von der Stiftung Brandenburger Tor betrieben wird – hat auch Liebermann auf das urbane Treiben herabgeschaut. Darin ist er Ury gar nicht so unähnlich.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Die Schönheit der großen Stadt: Berliner Bilder von Gaertner bis Fetting" - mit Werken von Lesser Ury im Ephraim-Palais, Berlin
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Lesser Ury und das Licht" - Maler der impressionistischen Berliner Secession im Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts, Baden Baden
und hier einen Bericht über die Ausstellung "London 1938 - Mit Kandinsky, Liebermann und Nolde gegen Hitler" mit Werken von Max Liebermann in der Liebermann-Villa, Berlin
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Max Liebermann und Paul Klee: Bilder von Gärten" in der Liebermann-Villa, Berlin
Querelen um Leitung des Hauses
Lesser Ury wiederum war die Natur augenscheinlich schnuppe. Kommen auf seinen Bildern überhaupt Bäume vor, stilisiert er sie silhouettenhaft zur dunklen Wand. Diese Ausstellung schärft den Blick für solche Unterschiede der beiden Konkurrenten: Die stilistische Bandbreite des Impressionismus, auch des deutschen, ist enorm. Obwohl sich die Protagonisten nicht grün waren: Als Präsident der „Berliner Secession“ ließ Liebermann seinen Einfluss spielen, um das Fortkommen von Ury zu behindern. Erst als Lovis Corinth 1911 die Leitung der Secession übernahm, konnte Ury bei dieser Künstlergruppe ausstellen.
Rivalitäten prägen den Kunstbetrieb bis heute. Auch die Liebermann-Villa machte damit in jüngster Zeit von sich reden: Der Nachfolger des Gründungsdirektors, der 13 Jahre lang amtiert hatte, wurde nach kaum drei Monaten im Amt wieder abgelöst. Bleibt zu hoffen, dass die Querelen um die Leitung des Hauses seiner Popularität nicht schaden: Seine einfallsreichen Ausstellungen, die Liebermanns Werk aus immer neuen Blickwinkeln präsentieren, wurden im vergangenen Jahr von 80.000 Schaulustigen besucht – ein bemerkenswerter Zuspruch für die abgeschieden gelegene Adresse am Stadtrand.