Vanessa Paradis

Messer im Herz

Anne Parèze (Vanessa Paradis) und Archibald Langevin (Nicolas Maury). Foto: Edition Salzgeber
(Kinostart: 18.7.) Mordserie im XXX-Milieu: Vanessa Paradis spielt eine Schwulenporno-Regisseurin in den 1970ern, der die Darsteller wegsterben. Seine schön schräge Genre-Paraphrase legt Regisseur Yann Gonzalez als Hommage an Giallo-Klassiker an.

Von Anfang an ist Film auch Pornografie. Zuschauen und Voyeurismus liegen eng beieinander, und das Grauen lauert stets unter der Oberfläche beziehungsweise an der nächsten Ecke. „Messer im Herz“ bringt das bereits in der ersten Szenenfolge auf den Punkt. Im Amateur-Erotikfilmchen-Look strebt ein schwules Paar im Park dem Höhepunkt entgegen, durchs Grün beobachtet von einem verborgenen Dritten.

 

Info

 

Messer im Herz

 

Regie: Yann Gonzalez,

102 Min., Frankreich 2018;

mit: Vanessa Paradis, Nicolas Maury, Kate Moran 

 

Website zum Film

 

Parallel dazu besucht der engelsgesichtige Film-im-Film-Darsteller einen Leder- und Fetisch-Club in der Realwelt des Films; dort wiederholt sich die Situation der Ménage-à-trois. Hier jedoch entscheidet der Beobachtete, anders als in der Porno-Inszenierung, die Distanz zum dunkel maskierten Beobachter aufzuheben. Wenig später wird der Darsteller vom Beobachter beim realen Liebesspiel ans Bett gefesselt – und stirbt durch einen Dildo, der kurz vor der ersehnten Penetration eine Klinge freigibt.

 

Liebe zum abseitigen 1970er-Kino

 

Auf einer dritten Ebene des Films ist zu sehen, wie an einem 16-Millimeter-Schneidetisch die Szenen des im Park gedrehten Schmuddelporno montiert werden. Damit sind alle Zutaten des Menus beisammen, das Yann Gonzalez in seinem zweiten Spielfilm nach „Begegnungen nach Mitternacht“ von 2013 auftischt: Begehren, Wahn, Mord und – vor allem – die Liebe zum abseitigen Kino der 1970er Jahre.

Offizieller Filmtrailer


 

Verbarrikadiert im Schneideraum

 

Dabei kontrastiert der Regisseur Spannungselemente eines klassischen whodunnit-Krimis um Morde im Schwulen-Milieu mit spielerisch queeren Erotik-Versatzstücken. Im Mittelpunkt der als Wechselbad der Gefühle komponierten Filmerzählung steht die Porno-Regisseurin Anne – perfekt besetzt mit Vanessa Paradis, die zwischen Unnahbarkeit, Lebenslust und Verzweiflung oszilliert. Ihre Spezialität sind Filme für die neuerdings selbstbewusste urbane Homosexuellen-Szene.

 

Cast und Crew ihrer Produktionsfirma bilden – wie das in der Zeit vor AIDS durchaus vorgekommen sein mag – eine große, glückliche und experimentierfreudige Familie. Zu ihr gehört auch die Cutterin Loïs (Kate Moran), Annes Exfreundin. Dass sie die Beziehung beendet und sich unerreichbar für Annes Flehen im Schneideraum verbarrikadiert, stürzt die Regisseurin in die Qualen von Liebeskummer und Alkoholismus.

 

Spuren führen in Zauberwald

 

Währenddessen schlägt der geheimnisvolle Mörder immer wieder zu. Anne muss zwischen Professionalität am Set und nächtlicher Verzweiflung einen Weg finden, um ihre Liebe zurückzuerobern und die Pornofilm-Wahlfamilie zusammenzuhalten. Dafür muss vor allem die Filmproduktion weiterlaufen.

 

Also greift Anne die Schrecken der Morde ebenso auf wie die Absurdität der Polizeiarbeit. Beides übersetzt sie in skurril erotisierte Filmszenen, die ihre psychologisierende Interpretation des Geschehens darstellen. Nebenbei verfolgt sie auf eigene Faust Spuren, die sie in ihre Träume, einen realen Zauberwald und schließlich zum Mörder führen; zugleich kratzt sie für Loïse Nachrichten ins Zelluloid.

 

Stilvoll blutige Giallo-Filme

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Begegnungen nach Mitternacht" - raffinierte Polygamie-Tragikomödie von Yann Gonzalez

 

und hier einen Bericht über den Film "Rebellinnen - Leg dich nicht mit ihnen an!" - französische schwarzhumorige Gangster-Groteske von Allan Mauduit

 

und hier eine Besprechung des Films "Suspiria" - originelle Neuinterpretation des Horrorklassikers von Dario Argento durch Luca Guadagnino mit Tilda Swinton

 

und hier einen Beitrag über den Film "The Strange Colour of Your Body’s Tears" – labyrinthischer Erotik-Thriller als Hommage an Giallo-Klassiker von Hélène Cattet + Bruno Forzani.

 

Mit seinen vorwiegend in Blau und Rot gehaltenen Bildern huldigt Regisseur Gonzalez einem – neben dem cineastischen Pornofilm – weiteren ausgestorbenes Genre, das in den 1970er Jahren blühte: dem italienischen Giallo-Film. Ab Mitte der 1960er Jahre entstanden dort blutrünstig, aber stilvoll in Szene gesetzte Thriller mit ausgefeilt inszenierten Mordszenen. Dafür wurden Schönheit und Exzess effektreich ausgebeutet und um Motive der Psychoanalyse oder paranormaler Phänomene ergänzt.

 

Großmeister des Giallo war der Regisseur Dario Argento, dem zuletzt Luca Guadagnino mit seinem komplexen Remake des Horrorklassikers „Suspiria“ ein Denkmal gesetzt hat. Aber auch manche Werke von Brian de Palma oder John Carpenter sind sowohl inhaltlich wie in ihrer Inszenierung deutlich von Giallo-Filmen inspiriert.

 

Nur schillernde Oberflächen zählen

 

Daran schließt nun Gonzalez an; „Messer im Herz“ ist so vergnüglich wie gut gemacht. Mit überzeugenden Darstellern gelingen Szenen, die – von frivol über brüllend komisch bis zu tatsächlich erschreckend – die ganze Bandbreite möglicher Emotionen im Genre-Film ansprechen und gleichzeitig den kurzen, aber prächtigen Höhenflug der damaligen Synthese aus freier Erotik und cineastischem Anspruch feiern.

 

Wie bei den Vorbildern aus den 1970ern ist auch hier alles auf Schauwerte ausgerichtet; eine reflektierende Bedeutungsebene wie etwa in der Nouvelle Vague fehlt völlig. Alles dreht sich um schillernde Oberflächen, wobei auch abstrus mystische Bestandteile integriert werden. Da bleibt die Plausibilität oft auf der Strecke – schön anzusehen ist es trotzdem.