
„I’m a private girl in a public world“, singt Pop-Diva Celeste an einer Stelle – und fasst damit ihr Leben pointiert zusammen. Als Teenager wurde sie unverhofft ins Rampenlicht gezerrt und von einer ganzen Nation vereinnahmt; auf dem Weg zum Ruhm hat sie sich selbst verloren. Mit solchen Fällen kennt sich US-Regisseur Brady Corbet aus: Nach seinem Debütfilm „The Childhood of a Leader“ (2015), der das Aufwachsen eines fiktiven Diktators skizzierte, nimmt er sich nun die gefräßige Unterhaltungsbranche und den heutigen Aufmerksamkeitswahn vor.
Info
Vox Lux
Regie: Brady Corbet,
100 Min., USA 2018;
mit: Natalie Portman, Jude Law, Stacy Martin
Tragödien-Hymne mit der Schwester
Nachdem sie 1999 einen Amoklauf in ihrem Klassenzimmer schwer verletzt überlebt hat, tritt sie bei einer Gedenkveranstaltung mit ihrer älteren Schwester Eleanor (Stacy Martin) auf die Bühne und trägt einen ergreifenden Song vor. Das von den beiden selbst geschriebene Lied avanciert umgehend zum Hit und wird zur Hymne der Tragödie. Rasch streckt ein eifriger Musikmanager (Jude Law) seine Fühler aus; wenig später beginnt Celestes rasanter Aufstieg – inklusive der gefährlichen Verlockungen des Star-Daseins.
Offizieller Filmtrailer
Nach Amoklauf zum Starruhm
Regisseur Corbet legt die Messlatte hoch: Offenbar will er die Auswüchse unserer Epoche schonungslos sezieren. Seine Absichten spiegeln sich in Form und Aufbau deutlich wider: Das Drama ist in mehrere Kapitel mit bedeutungsschwangeren Überschriften unterteilt. Regelmäßig erläutert ein Erzähler aus dem Off das Geschehen. Einige Episoden laufen im Zeitraffer ab; mehrfach ändert sich das Bildformat.
Manche dieser stilistischen Wendungen wirken etwas prätentiös; dennoch entwickelt Celestes Werdegang eine eigenartige Sogwirkung. An ihrem Beispiel wird demonstriert, wie wichtig eine gut vermarktbare Geschichte für künftigen Starruhm ist. Wer einen Amoklauf überlebt hat und danach kraftvoll ein berührendes Lied ins Mikro schmettert, scheint einfach wie geschaffen für die große Bühne. Deshalb steht Celeste bald im Rampenlicht, obwohl ihre ältere Schwester Eleanor die bessere Musikerin ist.
Manches nur kurz angerissen
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Song to Song" - Rock'n'Roll-Liebesdrama mit Natalie Portman von Terrence Malick
und hier einen Beitrag über den Film "Knight of Cups“ – assoziatives Sinnsucher-Drama von Terrence Malick mit Natalie Portman
und hier eine Besprechung des Films "Eine Geschichte von Liebe und Finsternis" - Verfilmung des Romans von Amos Oz über die Gründung Israels von + mit Nathalie Portman
und hier einen Bericht über den Film "Genius" - brillantes Literaturbetriebs-Drama von Michael Grandage mit Jude Law
und hier einen Beitrag über den Film "Nymph()maniac - Teil 1" - Porträt einer Nymphomanin von Lars von Trier mit Stacy Martin.
Eine merkwürdige, ganz eigentümliche Intensität erreicht „Vox Lux“ aber durch seine starken Hauptdarstellerinnen. Raffey Cassidy bringt feinfühlig zum Ausdruck, wie verunsichert und überfordert die junge Celeste ist; später überzeugt sie in einem Kapitel, das 2017 spielt, in der Rolle von Celestes Teenager-Tochter Albertine.
Innere Leere bei Comeback
Dagegen verkörpert Natalie Portman die erwachsene Sängerin mit unglaublicher Verve, viel Gespür für affektierte Gesten und heillos überkandidelter Redeweise. Zuweilen droht ihre mitreißende, lustvoll exaltierte Darbietung jedoch, alles um sie herum in den Schatten zu stellen. Spannend ist diese fiktive Künstler-Vita ferner, weil einiges anschaulicher und intensiver gezeigt wird als sonst üblich.
Unter die Haut geht etwa das harte Tanztraining, bei dem Celeste ihren noch nicht komplett genesenen Körper quält. Ebenso die fulminante, effektgeladene Bühnenshow gegen Ende des Films, als die nun 31-jährige Celeste nach handfesten Skandalen ein Comeback versucht. Vor dem Konzert erleidet sie noch einen Zusammenbruch, kurz darauf legt Natalie Portman einen furiosen Auftritt hin – doch die innere Leere der Sängerin blitzt deutlich auf.