
Philosophie und Film kommunizieren ganz unterschiedlich: Die Philosophie bedient sich der Sprache als Medium, während der Film sich überwiegend über Bilder mitteilt. Die Filmemacher Emma Davie und Peter Mettler wagen das Experiment, beides zusammen zu bringen; íhr Ausgangspunkt sind die Thesen des Naturphilosophen David Abram. Seit mehr als 20 Jahren beschäftigt er sich mit dem Verhältnis zwischen dem Menschen und seiner Umwelt; er gilt als ein Vordenker der US-amerikanischen Umweltbewegung.
Info
Becoming Animal
Regie: Emma Davie + Peter Mettler,
78 Min., Schweiz/ Kanada/ Großbritannien 2018
mit: David Abram
Technik prägt Weltwahrnehmung
Und nicht zuletzt: wie moderne Technologien dieses Wechselspiel beeinflussen – wird unsere Weltwahrnehmung doch zunehmend durch Technik geprägt, zumindest in den Industriestaaten. Hier entsteht Erleben immer seltener durch unmittelbare physische Erfahrungen. Der Philosoph ist zwar kein Technikgegner, doch er plädiert für eine stärkere Beachtung der nicht-menschlichen Welt in unserer „more-than-human world“. Damit meint er nicht nur Tiere und Pflanzen, sondern auch materielle Erscheinungen wie Felsen, Wasser oder Wolken.
Offizieller Filmtrailer
Philosophie im Nationalpark
Sie alle können in Kontakt zum Menschen treten. Bewusst schlägt Abram eine Brücke zum Animismus, also der Idee von der Allbeseeltheit der Welt; solche Vorstellungen sind vor allem bei Naturvölkern anzutreffen. Er trägt seine Gedanken meist aus dem Off vor, mit Verve und sprachlich geschliffen. Sie dürften für nüchterne Gemüter durchaus einen esoterischen Beiklang haben.
Je länger man dem hageren Mann zuhört, umso besser versteht man jedoch die Faszination, die von seinen Thesen ausgeht; er hat zweifelsohne Charisma. Doch wie lassen sich solche komplexen Denkgebäude filmisch veranschaulichen? Mettler und Davie folgen dem Philosophen auf eine herbstliche Reise durch den Grand-Teton-Nationalpark im US-Bundesstaat Wyoming.
Bilder mit Sogkraft
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Die Spur (Pokot)" – originell-kühner Tierschutz-Thriller aus Polen von Agnieszka Holland, prämiert mit Silbernem Bären 2017
und hier einen Beitrag über den Film "Watermark" – spektakuläre Doku über menschlichen Umgang mit Wasser weltweit von Jennifer Baichwal + Edward Burtynsky
und hier einen Bericht über den Film "Müll im Garten Eden" – engagierte Umwelt-Doku aus der Türkei von Fatih Akin
und hier eine Besprechung des Films "Das grüne Wunder – Unser Wald" – Langzeit-Doku von Naturfilmer Jan Haft.
Auch der Entstehungsprozess des Films selbst wird von den Autoren reflektiert. Kann man mit der Natur wirklich mittels Kameratechnik in Kontakt treten? Das Thematisieren solcher Widersprüche macht den intellektuellen Reiz von „Becoming Animal“ aus und eröffnet faszinierende Perspektiven. Im Laufe des Films entwickeln die brillanten Aufnahmen einen immer stärker werdenden Sog.
Mensch ist nicht der Maßstab
Dominieren anfangs statische, geradezu meditative Naturansichten in der Totalen oder in Nahaufnahmen, werden die Bilder bald abstrakter, ihr Rhythmus schneller; die Einstellungen taumeln. Das Glitzern des Wassers löst sich in Bildpunkte auf, die Bäume eines Waldes werden im Zeitraffer zu hypnotischen Linien. Einmal übernimmt die Kamera sogar die Perspektive eines fliegenden Raben.
Dieser visuelle Rausch wird von einer ausgefeilten Tonspur unterstützt; seine Wirkung verstärken Naturgeräusche, elektronische Klänge oder klassische Arien. David Abram ist überzeugt: „We are human only in contact, and conviviality, with what is not human“ – in etwa: Erst im lebendigen Kontakt und Miteinander mit dem Nicht-Menschlichen sind wir menschlich. So wird die Doku „Becoming animal“ vor allem zum leidenschaftlichen Plädoyer für eine bewusste Weltwahrnehmung, die sich nicht allein an menschlichen Maßstäben orientiert.