Gurinder Chadha

Blinded by the Light

Dancing on the motorway: Eliza (Nell Williams), Javed (Viveik Karla) und Roops (Aaron Phagura) . Fotoquelle: © 2019 WARNER BROS. Pictures, Photo Credit: Nick Wall
(Kinostart: 22.8.) Bruce Springsteen hat sein Leben gerettet: Durch Rocksongs des "Boss" findet ein gebeutelter pakistanischer Teenager 1987 in England zu sich. Charmante Feelgood-Tragikomödie von Regisseurin Gurinder Chadha über Popmusik als Überlebensmittel.

Javed (Viveik Kalra) ist zwar erst 16 Jahre alt. Doch er schleicht 1987 durch seinen Alltag im drögen Londoner Vorort Luton, als trage er die Last der Welt auf seinen Schultern; tatsächlich hält sein Leben nicht allzu viele Lichtblicke bereit. Auf den Straßen der trostlosen Wohnsiedlung muss er sich mit allgegenwärtigem Rassismus arrangieren, zu Hause mit seinem überstrengen pakistanischen Vater Malik (Kulvinder Ghir).

 

Info

 

Blinded by the Light

 

Regie: Gurinder Chadha,

118 Min.,  Großbritannien 2019;

mit: Viveik Kalra, Kulvinder Ghir, Aaron Phagura

 

Website zum Film

 

Der ist in der britischen Gesellschaft nie richtig angekommen. Für das Auskommen der Familie schuftet Malik in der örtlichen Autofabrik, während seine Frau Noor (Meera Ganatra) mit Näharbeiten ein Zubrot verdient. Wenigstens der Sohn soll später Karriere machen. Dann verliert Malik seinen Job, wie Millionen andere Arbeiter in den von Stellenstreichungen geprägten Jahren unter Premierministerin Margaret Thatcher – und seine Laune rutscht richtig in den Keller: Von nun an muss Javed in jeder freien Minute zum Familieneinkommen beitragen.

 

Geheime Leidenschaft für Poesie

 

Viel Luft zum Atmen bleibt ihm also nicht; außerdem soll er sich vom verwerflichen westlichen Lebensstil fernhalten. Doch er geht zumindest einer geheimen Leidenschaft nach er: Abends, wenn er anders als sein Kumpel nebenan nicht vor die Tür darf, schreibt Javed Gedichte. Viel Selbstvertrauen gibt ihm das jedoch nicht; eher verstärkt sein Hobby die latenten Schuldgefühle, die er mit sich herumschleppt. Seine engagierte Englischlehrerin muss sich einiges einfallen lassen, um ihn aus der Reserve zu locken.

Offizieller Filmtrailer


 

Von Bruce Springsteen verstanden

 

Zum eigentlichen Katalysator für Javed, nach dem richtigen Leben im falschen zu suchen, wird der US-Rockstar Bruce Springsteen. Als sein Mitschüler Roops (Aaron Phagura) ihn mit „The Boss“ bekannt macht, ist das ein Erweckungserlebnis. Auch wenn Springsteen in seinen Songs die Alltagsnöte und unerfüllten Hoffnungen im Kleinstadt-Amerika besingt, zudem mehr als 20 Jahre älter ist als Javed, und die beiden auch sonst biographisch wenig verbindet: Der Teenager fühlt sich erstmals in seinem Leben verstanden.

 

Regisseurin Gurinder Chadha wurde international 2002 mit „Kick it like Beckam“ bekannt. Die Komödie erzählte von einem indisch-britischen Mädchen, das gegen den Willen ihrer konservativen Eltern eine Fußball-Karriere anstrebt. Danach drehte Chadha einige eher uninspirierte Filme, aber auch das grandiose Historien-Epos „Viceroy’s House – Der Stern von Indien“ (2017) über die Unabhängigkeit und Teilung des Subkontinents 1947.

 

Fast wie Verwandlung in Superman

 

17 Jahre nach „Kick it like Beckam“ greift Chadha das Thema Selbstbestimmung von Migranten-Jugendlichen wieder auf; doch ersetzt sie für ihre charmante Tragikomödie den Sport durch Popmusik als Medium der Selbstfindung. „You can’t start a fire without a spark“ („Ohne Funken lässt sich kein Feuer entfachen“) singt Springsteen im Song „Dancing In The Dark“ von 1984. Für seinen Fan Javed ist Springsteen selbst der Funke, obwohl der mit seiner schnörkellosen Bodenständigkeit kaum anschlussfähig scheint an den ironisch-theatralischen Zeitgeist des britischen 1980er-Jahre-Pop.

 

In einer stürmischen Nacht mit Walkman-Kopfhörern auf den Ohren erlebt Javed eine erstaunliche Transformation; sie erinnert fast an Clark Kents Verwandlung in Superman. Plötzlich sieht der zuvor eher unauffällige junge Mann zudem richtig gut aus. Der Film bemäntelt seinen Kitsch-Faktor nicht, im Gegenteil: Regisseurin Chadha streicht ihn demonstrativ heraus, mit stolzgeschwellter Brust.

 

Bollywood-artiger Straßentanz

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Der Stern von Indien - Viceroy's House" - faszinierend bildgewaltiges Historien-Drama über Indiens Unabhängigkeit von Gurinder Chadha

 

und hier einen Beitrag über den Film "Was werden die Leute sagen" - nüchternes Meldodram über die Verschleppung einer Tochter nach Pakistan von Iram Haq

 

und hier einen Bericht über den Film "West is West" – turbulente britisch-pakistanische Culture-Clash-Komödie von Andy De Emmony

 

und hier einen Beitrag über den Film "Die eiserne Lady" – Biopic über Premierministerin Margaret Thatcher von Phyllida Lloyd.

 

Tatsächlich reißt die Geschichte am meisten mit, wenn sie das befreiende Potenzial von Popmusik feiert; dabei mutiert sie zwischendurch sogar zum bollywood-artigen Musical, in dem die Musik Leute auf Lutons Straßen zum Tanzen bringt. Oder wenn Javed sich bei den Liedtexten seines Helden die richtigen Worte leiht, um seine Flamme Eliza (Nell Williams) zu beeindrucken.

 

Abgesehen von solchen Feelgood-Ausbrüchen bewegt sich der Film jedoch vorhersehbar auf vertrautem Terrain. Die Coming-Of-Age-Geschichte enthält kaum Überraschungsmomente; stattdessen aber viel Familiensinn, trotz aller Reibereien unter Verwandten, und dazu reichlich leicht konsumierbare 1980er-Jahre-Nostalgie; etwa, wenn Underdog-Popfans wie Javed auf die schnöseligen Besserwisser vom Uniradio treffen. In Großbritannien wird eben so ziemlich alles durch Klassenverhältnisse grundiert.

 

Von „National Front“ zum Brexit

 

Zwischendurch bietet der Film bei aller lockeren Unterhaltung auch noch ein paar substanziellere Einblicke. Wenn Regisseurin Chadha die rechtsradikale „National Front“ durch Luton marschieren lässt, erinnert sie daran, dass die Brexit-Entscheidung und die damit verbundene Fremdenfeindlichkeit keineswegs vom Himmel gefallen sind; sie haben ihre Wurzeln in hier dargestellten Auswüchsen. Diese Kontinuität konnte man um das Jahr 2000 herum, als sich das Vereinigte Königreich als rundum globalisiertes, ultraliberales und -flexibles „Cool Britannia“ präsentierte, leicht aus den Augen verlieren.