Peter Evers

A Gschicht über d’Lieb

Maria (Svenja Jung) und Gregor (Merlin Rose). Foto: Edition Salzgeber
(Kinostart: 29.8.) Melodram in Mundart: Im schwäbischen 1950er-Jahre-Dorf gehen Bauerntochter und -sohn eine Inzest-Beziehung ein – und fallen sozialer Ächtung anheim. Der kitschfreie Heimatfilm mit heutigen Mitteln von Peter Evers gerät etwas holzschnittartig.

Ein schwäbisches Dorf in den 1950er Jahren: Zwar knattert ab und zu ein Motorrad durch den beschaulichen Ort Sankt Peter. Davon abgesehen sieht es im Spielfilmdebüt von Peter Evers häufig wie im 19. Jahrhundert aus: Das Leben ist mühsam; die Suppe dünn, die abends auf dem Tisch steht, und gesprochen wird auch nicht viel.

 

Info

 

A Gschicht über d'Lieb

 

Regie: Peter Evers,

97 Min., Deutschland 2019;

mit: Svenja Jung, Merlin Rose, Thomas Sarbacher

 

Website zum Film

 

Das Wenige, was gesagt wird, ist ehernes Gesetz – zumindest, wenn es aus dem Mund eines der Dorfpatriarchen kommt. Modernisierung und gesellschaftlicher Wandel, für den die 1950er Jahre im Rückblick stehen, spielt sich anderswo ab. Die Möglichkeiten der Dorfbevölkerung erscheinen nach wie vor arg beschränkt.

 

Lederjacke statt Janker

 

Einen etwas freigeistigeren Dickschädel hat Gregor (Merlin Rose), der Sohn des Bacherbauern. Er träumt von einer eigenen Tankstelle an der geplanten Bundesstraße, die das Dorf näher an den Rest der Welt rücken lassen wird; leider fehlt ihm das nötige Startkapital. Trotzdem trägt er lieber Lederjacke statt Janker und schraubt in der Autowerkstatt, anstatt sich auf dem Acker nützlich zu machen – zum Missfallen seines Vaters (Thomas Sarbacher). Der will, dass Gregor bald den Hof übernehmen soll.

Offizieller Filmtrailer


 

Auf dem Bock sitzen ist Männersache

 

Nach endlosen Streitereien lässt sich der Vater breitschlagen, Gregor zumindest finanziell zu unterstützen. Doch das Arrangement, das ihm vorschwebt, hat einen Haken: Tochter Maria (Svenja Jung) soll den Hof weiterführen. Weil sie das als Frau angeblich nicht alleine kann, soll sie verheiratet werden; am besten finanziell gewinnbringend. Dass sie gerne forsch mit dem Traktor über die Felder heizt, obwohl es doch Männersache sei, „auf dem Bock“ zu sitzen, missfällt schon jetzt manchem im Dorf.

 

Diesen „Viechhandel“, wie Vaters Plan von Maria entrüstet genannt wird, gefällt ihr und Gregor schon deshalb nicht, weil die Geschwister ineinander verliebt sind. Was natürlich niemand wissen darf, und was ihnen anfangs vielleicht selbst nicht klar ist. Als sich daraus eine körperliche Beziehung entwickelt, bleibt das in einem Dorf wie diesem nicht lange ihr Geheimnis. Nachdem ihre kleine Welt, in der sie sich bewegen, in der ersten Filmhälfte geruhsam vorgestellt wird, schlägt diese Beschaulichkeit in eine Dynamik um, die das Zuschauen verstörend, bisweilen fast unerträglich macht.

 

Holzschnittartige Kontraste

 

Regisseur Evers setzt seine Geschichte angenehm kitschfrei in Szene. Leider bleibt die Erzählung zugleich recht dichotomisch: Auf der einen Seite steht das ansehnliche Geschwister-Paar, das sich reinen Herzens liebt, auf der anderen tumbe Dorftrottel, die das nicht zulassen. Sonderlich individuell werden die Dörfler nicht gezeichnet – auch wenn das, was die Menschen mit sich herumschleppen, bisweilen über Details angedeutet wird. Einzig dem Sohn des Ladenbesitzers, einem traumatisierten Kriegsheimkehrer, gönnt Evers ein differenziertes Profil.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Am Strand" - englisches Liebes-Drama in den 1960er Jahren von Dominik Cooke nach einem Roman von Ian McEwan

 

und hier eine Besprechung des Films "Höhenfeuer" - intensives Inzest-Drama aus der Schweiz (1985) von Fredi M. Murer

 

und hier einen Beitrag über den Film "Tabu– Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden" über die inzestuöse Liebe des expressionistischen Dichters Georg Trakl zu seiner Schwester von Christoph Stark mit Lars Eidinger

 

und hier einen Beitrag über den Film "Als wir träumten" – furioses Porträt der Jugend im Nachwende-Leipzig von Andreas Dresen mit Merlin Rose.

 

Zudem wirkt der Kontrast zwischen dem weich gezeichneten Landidyll – gedreht wurde in dem Hohenloher Freilandmuseum Wackershofen, was oft nach Postkartenmotiven aussieht – und den rigiden Sozialstrukturen etwas holzschnittartig. Scheinbar jeden Morgen hängen romantische Nebelschwaden über den Feldern, wenn die Sonne aufgeht; sobald die Kamera in die dunklen Häuser und Ställe geht, wird die Bildsprache jedoch erdrückend.

 

Konfliktpotenzial bis in Gegenwart

 

Ambitioniert und spannend ist der Umstand, dass Regisseur Evers für seinen ersten Spielfilm ein Szenario gewählt hat, das sich nicht einfach aus zeitgenössisch liberalem Blickwinkel als gestrig und überholt abtun lässt. Inzest rührt nach wie vor an einem sozialen Tabu und steht zudem weiterhin unter Strafe. Das Konfliktpotenzial dieser „Gschicht über d’Lieb“ reicht also in die Gegenwart hinein.

 

Dabei inszeniert Evers die Liebesbeziehung zwischen Maria und Gregor nicht als Tabubruch, sondern als organisch gewachsenes, ganz natürliches Begehren. Doch leider entwickelt der Film aus dieser Konstellation keine Haltung zur Besonderheit der Inzestthematik. Diese geächtete Liebe könnte ebenso aus anderen Gründen angefeindet werden, etwa wegen Klassenunterschieden oder anderer sexueller Verbote – dazu zählte seinerzeit mehr als heute, beispielsweise Homosexualität.

 

Verwüstungen des Liebesverbots

 

Trotz des fehlenden Fokus‘ hat dieses Heimatfilm-Melodram mit heutigen Mitteln einen Vorzug: Es macht auf sinnliche und zugleich nüchterne Weise erfahrbar, was eine Liebe, die nicht sein darf, an inneren und äußeren Verwüstungen verursachen kann.