Franz Rogowski

Ich war zuhause, aber…

Astrid (Maren Eggert, Mitte) im Museum. Foto: © Nachmittagfilm. Fotoquelle: Piffl Medien
(Kinostart: 15.8.) Schlafende Tiere und erschöpfte Menschen auf Autopilot: Regisseurin Angela Schanelec beobachtet unkonventionell den Alltag einer Trauernden – mit eindrücklichen Bilder für Depression zwischen verzerrter Wahrnehmung, Apathie und Weltflucht.

Das Idyll ist grau – und ein bisschen grün: Auf einer Waldlichtung jagt ein Hund ein Kaninchen; er trägt seine Beute in ein verlassenes Gebäude, um sie zu verspeisen. Ein Esel trottet ihm hinterher. Das Parkett knarrt unter seinen Hufen, Vögel zwitschern. Es wird Nacht, die beiden Tiere schlafen; der Bauch des Hundes hebt und senkt sich gleichmäßig. Dann ein Schnitt zu einem Kind, das im Dunkeln auf einer Bank wartet. Im Hintergrund rauscht der Verkehr, überlagert vom lauten Atmen des Mädchens, das auch ein Seufzen sein könnte.

 

Info

 

Ich war zuhause, aber...

 

Regie: Angela Schanelec,

105 Min., Deutschland/ Serbien 2019;

mit: Maren Eggert, Jakob Lassalle, Franz Rogowski

 

Website zum Film

 

Die ersten Stimmen, die nach der langen Anfangssequenz zu hören sind, gehören zwei Schulkindern, die Shakespeares Hamlet rezitieren. Sie sprechen so monoton und stehen derart steif vor der Klasse, dass sie geradezu apathisch wirken. Ähnlich entrückt verhalten sich auch die Erwachsenen in Angela Schanelecs Film „Ich war zuhause, aber…“. Wenn die Regisseurin den Alltag ihrer Hauptfiguren inszeniert – etwa, wenn Astrid (Maren Eggert) die schmutzige Jacke ihres 13-jährigen Sohnes Philipp (Jakob Lassalle) in die Reinigung bringt – sind die Dialoge einerseits spannungsvoll aufgeladen.

 

Comedy trifft Amateur-Theater

 

Andererseits wirken sie wie eine Mischung aus Amateur-Theater und ungewollter Comedy. „Ich habe da eine Jacke“, sagt Astrid. „Guten Tag“, entgegnet die Angestellte: „Die wird wohl nicht mehr sauber. Da kann ich nichts versprechen.“ Das Sujet der Sauberkeit könnte allegorisch gemeint sein, denn sauber ist hier gar nichts. Höchstens die Oberflächen – etwa die monochromen PVC-Böden in der Schule. Dort konferiert das Kollegium über Astrids delinquenten Sohn; aus ungeklärten Gründen war er eine Woche lang verschwunden.

Offizieller Filmtrailer


 

Glocke aus Müdigkeit

 

Anstatt dass eine Diskussion geführt wird, fallen nur einzelne Wörter und Fragen, die im Raum stehen bleiben. Die Köpfe der Lehrerinnen hängen träge herunter. „Entscheiden wir jetzt was oder gehen wir schlafen?“, fragt Lars, dargestellt von Schanelecs Stammschauspieler Franz Rogowski – und man fragt sich, ob man sich verhört hat. Er bekommt keine Antwort. Alle anderen sind in sich zusammengesunken.

 

Müdigkeit liegt wie eine Glocke über Schanelecs kruder und trostloser Welt. Nur einmal wird die Gleichförmigkeit unterbrochen: als Astrid unerwartet ausrastet. Ihre Kinder haben eine Vase fallen gelassen; Astrid wirft sie unter Geschrei aus der Wohnung. Sie leidet – wie man soeben fast nebenbei erfahren hat – immer noch unter dem Tod ihres Ehemanns vor zwei Jahren.

 

Grandios bedrückend

 

Die Szene ist nicht nur schwer erträglich, weil ihre Reaktion ungerecht wirkt, sondern weil sie kurz darauf mit ihrem Liebhaber im Bett kuschelt – einer der wenigen Momente zwischenmenschlicher Zärtlichkeit. Ansonsten ist alles so unterkühlt wie die Handlung. Die zielt nicht auf Nachvollziehbarkeit und Auflösung, sondern verweigert sich den Konventionen filmischen Erzählens fast genüsslich: durch lange Einstellungen und dazwischen montierte, rätselhaft wirkende Szenen.

 

Auch wenn die Geschichte an solchen Stellen ausfranst, hält die Inszenierung die bedrückende Atmosphäre auf grandiose Weise aufrecht. Nichts ist hier authentisch oder ansatzweise natürlich; alles wirkt überinszeniert. Diese absurde Welt poetischer Tristesse einzufangen, gelingt Schanelec nicht nur über Sprache, die bisweilen ohne anwesende Sprecher durch die Räume geistert.

 

Furchterregende Trauer

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Der traumhafte Weg" - sprödes "Berliner Schule"-Drama von Angela Schanelec mit Maren Eggert

 

und hier einen Bericht über den Film "Nichts passiert" - sehenswerte Tragikomödie mit Maren Eggert von Micha Lewinsky

 

und hier einen Beitrag über den Film "In den Gängen" - poetische Kleine-Leute-Studie mit Franz Rogowski von Thomas Stuber

 

Auch auf visueller Ebene fängt Schanelec die Fragmentierung der Welt überzeugend ein: Räume, seien es nun Häuser, Straßen oder Astrids Stamm-Schwimmbad, sind immer nur in Ausschnitten zu sehen, nie in der Totalen. Diese Sicht auf die Dinge scheint nahe an der Wahrnehmung der Figuren zu sein.

 

Ihnen dabei zuzusehen, wie sie sich im Kreis drehen und in einer verengten Perspektive feststecken, ist kein Vergnügen, sondern geradezu quälend. Besonders Astrid – die Maren Eggert stets unberechenbar, fast furchterregend wirken lässt – macht nachfühlbar, wie sich Trauer über den Verlust eines geliebten Menschen anfühlen kann. Wahrscheinlich leidet sie an Depressionen.

 

Verstörende Stille

 

Schanelec gelingt hier eine konsequente filmische Darstellung dieser Krankheit, die von verzerrter Wahrnehmung, Apathie und negativen Bewertungen geprägt ist; sie fängt das Pendeln zwischen Hoffnungslosigkeit, euphorischen Schüben und autodestruktiver Weltflucht eindrücklich ein. „Ich war zuhause, aber…“, auf der Berlinale 2019 verdienterweise mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet, blickt aber auch generell auf Menschen, die agieren, als hätten sie ihr Leben auswendig gelernt. Die gar nicht wissen, wie sie leben sollen, weil ihnen jegliche Orientierung fehlt.

 

Ihre Figuren erinnern an die Tiere in der Eingangsszene, so wie sie – wie von fremden Mächten gelenkt – umherwandeln, schlafen, essen. So leise, wie der Film beginnt, endet er auch. Nur ist die Stille jetzt viel lauter, weil nichts erklärt wurde. Das hinterlässt beim Zuschauer eine Spur der subtilen psychologischen Verwüstung.