Hamburg

Im Licht des Nordens: Dänische Malerei der Sammlung Ordrupgaard

Johan Thomas Lundbye (1818–1848): Eine Wiese nahe des Arresø-Sees, 1838, Öl auf Papier, 21 x 33 cm, © Ordrupgaard, Kopenhagen. Foto: Anders Sune Berg. Fotoquelle: Hamburger Kunsthalle
Vom "Goldenen Zeitalter" bis zu Sonnenstrahl-Poesie in Grautönen: Dänemark bildete im 19. Jahrhunderts eigene nationale Kunststile heraus. Einen so kompakten wie anschaulichen Überblick bietet die Kunsthalle mit Meisterwerken der Sammlung Ordrupgaard.

In Dänemark ist nationale Kunstgeschichte offenbar zum großen Teil Privatsache. 2013 gastierte in der Hamburger Kunsthalle die umfangreichste Privatkollektion dänischer Malerei des 19. Jahrhunderts: Das Museum der Sammlung Hirschsprung steht in Kopenhagen direkt neben dem Staatlichen Kunstmuseum. Nun präsentiert die Kunsthalle Werke der nicht minder bedeutenden Sammlung Ordrupgaard; die gleichnamige Villa nördlich der Hauptstadt ist seit 1953 öffentlich zugänglich.

 

Info

 

Im Licht des Nordens: Dänische Malerei der Sammlung Ordrupgaard

 

10.05.2019 - 22.09.2019

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr,

donnerstags bis 21 Uhr

in der Hamburger Kunsthalle, Glockengießerwall 5

 

Katalog 25 €

 

Weitere Informationen

 

Beide Kollektionen sind hervorragend bestückt, aber mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Für ihren Landsitz in Ordrupgaard hatten der vermögende Versicherungsdirektor Wilhelm Hansen und seine Frau Henny vor allem Landschaftsmalerei seit 1800 zusammengetragen. Anhand von rund 50 Werken stellt die Hamburger Schau maßgebliche Strömungen und Akteure anschaulich vor – im Katalog vorzüglich erläutert vom Team um Kurator Markus Bertsch.

 

Natur wie im deutschen Biedermeier

 

Die Jahrzehnte zwischen dem Wiener Kongress 1815 und der Revolution von 1848 gelten als „Goldenes Zeitalter Dänemarks“. Berühmtester Maler dieser Blütezeit war Christoffer Wilhelm Eckersberg, der als Professor an der Königlichen Akademie eine ganze Generation prägte. Seine klassizistische Kunstauffassung – wichtig war ihm präzise Konstruktion der Perspektive – wandte er auf intime Kleinformate an; seine Naturansichten wie „Waldstück im Hirschpark“ (1825) ähneln deutschen Biedermeier-Bildern. Auch sein Schüler Christen Købke malte betont unspektakuläre Sujets aus seiner nächsten Umgebung.

Impressionen der Ausstellung


 

Den Verlust von Norwegen kompensieren

 

Anders die so genannte nationalromantische Schule: Ihre Landschaften und Genrebilder sollten das dänische Nationalbewusstsein nach einem herben Rückschlag stärken – als Verbündeter des besiegten Frankreich hatte Kopenhagen 1815 Norwegen an Schweden abtreten müssen. Der Kunsthistoriker Niels Laurits Høyen empfahl, typisch dänische Naturformationen wie Küstenstreifen, Hügel und Buchenwälder darzustellen – letztere verbreiteten sich erst im 19. Jahrhundert, als zuvor abgeholzte Landstriche wieder aufgeforstet wurden. Doch bald galten Buchen als nationale Symbolträger; ein schönes Beispiel für invention of tradition.

 

Zudem riet Høyen den Malern, das Ausland zu meiden, um von fremden Einflüssen verschont zu bleiben – und wenn sie schon nach Italien fuhren, sollten sie Deutschland möglichst rasch durchqueren: Der dänisch-deutsche Dauerkonflikt um Schleswig-Holstein sollte 1848 und 1864 zwei Kriege auslösen. Høyens Rat wurde von Johan Thomas Lundbye ignoriert; er reiste ab 1845 eineinhalb Jahre durch Mitteleuropa. Zuvor und danach malte er sonnendurchflutete Landschaften mit Dolmen, Grabhügeln und anderen prähistorischen Stätten; sie erinnerten diskret, aber unübersehbar an Dänemarks heroische Vergangenheit. Recht schlichte Naturausschnitte, etwa das Ufer am Arresee, belebte Lundbye durch seine raffinierte Lichtregie.

 

Bloß nicht pompös werden!

 

Diesen Ansatz verfeinerte sein Freund Peter Christian Skovgaard bis zur Perfektion. Er wählte ein Großformat für seine „Aussicht von Schloss Frederiksborg“ – dort wurden seit dem 17. Jahrhundert die dänischen Könige gesalbt. Die Fassade stellt der Maler mit fast fotorealistischer Präzision dar, doch zugleich meidet er jeden Anschein von Monumentalität: Von oben schräg angeschnitten, rückt der Bau an den unteren Bildrand, als solle er nur als Rahmung für das liebliche Flussauen-Panorama darüber dienen. Bloß nicht pompös werden!

 

Die gedeckte Farbpalette, die bis dahin dominiert hatte, wurde um 1900 von Künstlern aufgehellt, die sich auf der Insel Fünen niederließen. Ihre Freiluftmalerei strahlt geradezu in reinen, glänzenden Tönen. Teils passt das bestens zum Motiv: Die „Heumahd auf Südfünen“ (1902) von Peter Hansen vibriert geradezu vor gelben und grünen Grasbüscheln, gesprenkelt mit rosaroten Blüten als Kontrapunkten. Teils wirkt aber die Farbsättigung etwas übersteuert, als sei der Kontrastregler zu stark aufgedreht worden.

 

Einzelgänger mit ausgetüftelter Detailtreue

 

So erscheint „Sommer, Sonne, Wind“ (1899) von Johannes Larsen – ein ziegelroter Dachfirst mit wehendem Danebrog ragt vor grüner Baumreihe und tiefblauem Meer empor – fast wie patriotischer Agitprop in Pop-Art-Manier. Und der Impressionist Theodor Philipsen, ein Freund von Paul Gauguin, trimmte seine fahrigen Tierbilder voller Kühe und Gänse mit penetrant eingezogenen Diagonalen sehr gewollt auf Tiefensog und Raumwirkung.

 

Ganz anders arbeitete der große Einzelgänger Lauritz Andersen Ring. Er mied den urbanen Kunstbetrieb und lebte mit seiner Frau meist auf dem Land. Seine thematische Bandbreite reichte von Sozialkritik bis zu Symbolismus, dargestellt in vermeintlich einfachen, aber ausgetüftelten Kompositionen und Detailtreue à la Skovgaard. In Rings Ansicht des Arresees von 1899 lugt links unten die Holzbank hinein, auf der sein Vorgänger Lundbye gemalt hatte. Einem „Bach bei Frederiksværk im Frühling“ (1900) entlockt Ring das ganze Spektrum lichter Gelb-, Grün- und Blautöne in delikaten Abstufungen. Und seinen Sohn Ole porträtiert er 1925 sinnierend vor der Stadtsilhouette von Roskilde, die hinterm Fenster in Nebelschwaden verschwindet.

 

Staub-Tanz in stillstehender Zeit

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Dänemarks Aufbruch in die Moderne" - Präsentation der dänischen "Sammlung Hirschsprung von Eckersberg bis Hammershøi" in der Hamburger Kunsthalle

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Die Erschütterung der Sinne" über Malerei von der Romantik bis zur Gegenwart mit Werken von Vilhelm Hammershøi im Albertinum, Dresden

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Von Gibraltar bis Helgoland" - Neupräsentation einzigartiger spätromantischer Landschaftsmalerei in der Sammlung Schack, München.

 

Diese Perspektive auf die Welt teilte mit ihm Vilhelm Hammershøi: Dessen einzigartiger Stil wurde anfangs angefeindet, später international geschätzt. Inspiriert von Vermeer und anderen Niederländern, malte der zurückgezogen lebende Künstler vor allem Interieurs seiner eigenen Wohnung mit extrem reduzierter Farbigkeit, nahezu in Grautönen. Figuren – meist seine Schwester Anna oder seine Frau Ida – tragen Schwarz, sind in sich gekehrt oder wenden sich vom Betrachter ab. Möbel und andere Dinge sind erratisch im Raum verteilt; eher rätselhafte Objekte als Einrichtungsgegenstände.

 

Die Zeit scheint stillzustehen, das Dasein erstarrt – wie in einer der menschenleeren Kunst-Städte von Giorgio de Chirico oder in Bühnenbildern für Parabeln von Samuel Beckett. Diesen minimalistischen Realismus treibt Hammershøi 1900 bei seinem berühmten „Tanz der Staubkörnchen in den Sonnenstrahlen“ auf die Spitze. Durch ein leeres Zimmer fällt der Blick auf Tür und Sprossenfenster mit blinden Scheiben; beide scheinen gleichsam an der Wand zu schweben. Als Hintergrund für schrägen Lichteinfall, der die Luft selbst aufleuchten lässt – das begeisterte schon die Zeitgenossen.

 

Lob der Sonnenstrahlenpoesie

 

„Soviel ich weiß, ist keinem anderen Maler geglückt, die Sonnenstrahlenpoesie in gerade dieser Form wiederzugeben, an der er jahrelang arbeitete, ehe es ihm gelang, das herauszubekommen, was er hier gibt“, schrieb 1905 der Kritiker Alfred Bramsen. Die Schau in Hamburg wartet mit neun erstklassigen Gemälden von Hammershøi auf; allein dieses Ensemble lohnt den Besuch.