Juliette Binoche

So wie du mich willst

Er sieht sie nicht, weil er eine andere erwartet: Claire (Juliette Binoche) und Alex (François Civil). Foto: Alamode Filmverleih
(Kinostart: 8.8.) Betrug und Selbstbetrug beim Online-Dating: Eine 50-Jährige hat eine heiße virtuelle Affäre mit einem Jüngeren – scheut aber vor realen Treffen zurück. Im Psychothriller von Safy Nebbou brilliert Juliette Binoche als Grande Dame im zweiten Frühling.

Jemand anders sein; jünger, schöner und interessanter: Im Internet ist das problemlos möglich. Vor allem beim Online-Dating wird geflunkert, was das Zeug hält. Photoshop verschönert jedes Porträt, oder man lädt Jugendfotos hoch, und beim Alter wird sowieso geschummelt. Wer will sich schon mit einer vermeintlich alten Schachtel oder einem alten Zausel einlassen? Denn spätestens ab 50 Jahren wird das Parkett sehr glatt.

 

Info

 

So wie du mich willst

 

Regie: Safy Nebbou,

101 Min., Frankreich/ Belgien 2019;

mit: Juliette Binoche, Nicole Garcia, François Civil

 

Weitere Informationen

 

Bisher focht das Literaturprofessorin Claire (Juliette Binoche) nicht an. Die 50-Jährige ist allein erziehende Mutter und fühlt sich beileibe noch nicht alt. Erst als sie von ihrem wesentlich jüngeren Liebhaber Ludo kalt abserviert wird, kommt sie ins Grübeln. Um ihm online ein wenig nachzuspionieren, legt sie sich ein falsches Facebook-Profil an; darin ist sie Clara, 24 Jahre alt, blond und schön.

 

Als Alter Ego heftig flirten

 

Ludos Mitbewohner Alex (Francois Civil) wird alsbald auf diese Clara aufmerksam; beide schreiben sich und telefonieren. Alex verliebt sich rasch in das virtuelle Wesen. Auch Claire fühlt sich geschmeichelt von seiner Aufmerksamkeit und flirtet als ihr Alter Ego heftig mit dem jungen Fotografen. Unmerklich werden die Gefühle der beiden immer intensiver, bis Alex diese Clara unbedingt treffen will. Claire muss nun eine Entscheidung treffen, die für sie in keinem Fall günstig ausfallen wird.

Offizieller Filmtrailer


 

Wie in Gefährliche Liebschaften von 1782

 

Regisseur Safy Nebbou strukturiert seinen über weite Strecken fesselnden Film durch eine Rahmenhandlung, zu der er immer wieder zurückkehrt. Darin erzählt eine sichtbar mitgenommene Claire ihrer Therapeutin (Nicole Garcia) von dieser Online-Amour Fou. Ihre Zuhörerin verlässt zusehends die Rolle einer analysierenden Beobachterin und zeigt Mitgefühl, denn auch ihr ist Claires Dilemma nicht fremd. Diese zweite Ebene verstärkt die Wirkung der Geschichte; sie findet zwar größtenteils am Telefon und auf Bildschirmen statt, wirkt aber keineswegs langweilig oder künstlich.

 

Reichlich Spannung entsteht durch ein raffiniert inszeniertes Spiel mit Identitäten, Selbst- und Fremdbildern; zudem reflektiert es auch die Altersproblematik von Frauen. Für den Bezug auf das französische Kulturerbe sorgt passenderweise Claires Beruf; sie referiert in einer Uni-Vorlesung über den Romanklassiker „Gefährliche Liebschaften“ (1782) von Choderlos de Laclos. Anleihen an das Erfolgsdrama „Cyrano de Bergerac“ (1897) von Edmond Rostand, in dem ein unansehnlicher Dichter seiner Angebeteten im Namen ihres schönen Schwarms Gedichte schreibt, sind ebenfalls offensichtlich.

 

Spieglein, Spieglein im Film

 

Regisseur Nebbou interessiert sich aber mehr für die Möglichkeiten und Fallstricke beim virtuellen Dating; sie behandelt er in einem nahezu philosophischen Kontext. Auch optisch reflektiert der Film das Spiel mit Identitäten, indem er Claire sich häufig in Spiegeln oder Fenstern betrachten lässt. Auf der Tonspur schlägt sich dagegen der technische Aspekt der Affäre nieder; etwa wenn das Klappern auf der Computer-Tastatur organisch mit der einsetzenden Musik verschmilzt.

 

Trotz seines intellektuellen Überbaus ist der Film sehr sinnlich, was vor allem an der überragenden Juliette Binoche liegt. Glaubhaft verkörpert sie eine Frau, an der unausgesprochen das Wissen um ihr Alter nagt – und ebenso eine frisch Verliebte, die vor neuer Energie sprüht, weil zigmal am Tag ein grünes Lämpchen aufleuchtend signalisiert, dass Alex wieder online ist.

 

Cybersex auf dem Parkplatz

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Zwischen den Zeilen" - Seitensprung-Sittenbild von Olivier Assayas mit Juliette Binoche

 

und hier eine Besprechung des Films "Die schönen Tage" - sinnliches Mehrgenerationen-Liebesdrama von Marion Vernoux mit Fanny Ardant

 

und hier einen Bericht über den Film "Die Liebesfälscher - Copie Conforme" – komplexes Beziehungs-Drama von Abbas Kiarostami mit Juliette Binoche

 

und hier einen Beitrag über den Film "Monsieur Pierre geht online" - muntere Komödie über Online-Dating für Silver Surfer von Stéphane Robelin.

 

Ihr Liebhaber mag virtuell sein, doch ihre Gefühle sind real; sie machen Claire wieder begehrenswert und damit sichtbar. Das scheint ihr ein Quäntchen ihrer verlorenen Jugend zurück zu  geben. Binoche füllt ihre Rolle mit solch authentischer Hingabe aus, dass man ein wirkliches Gegenüber als Gesprächspartner kaum vermisst, denn ihr Gesicht sagt alles. So wird ihr Mobiltelefon zum emotional aufgeladenen Fetisch, der sie auf Schritt und Tritt begleitet.

 

Immer beschwingter eilt sie durch Paris, wobei die Stadt hier zur Abwechslung einmal aus kastigen Neubauten besteht; sie tanzt spontan auf einer distinguierten Cocktailparty und hat, als die erotische Anspannung zu groß wird, im Auto auf dem Parkplatz wilden Cybersex. Das ist eine der besten und eindrucksvollsten Szenen des Films, die weder voyeuristisch noch peinlich ausfällt.

 

Zu viele Schluss-Alternativen

 

Damit hat auch der Film seinen erzählerischen Höhepunkt erreicht. Dem Rausch folgt der Kater: Claire scheut vor einem richtigen Treffen mit Alex panisch zurück und vermeidet es mit allen Mitteln. Zudem wirkt der bislang so ausgewogene konstruierte Film in der zweiten Hälfte überfrachtet, weil Regisseur Nebbou gleich mehrere alternative Auflösungen aneinander reiht. Das schmälert etwas die Überzeugungskraft dieser anfangs so überzeugenden, berührenden und zugleich tragischen Liebesgeschichte.