Grenzüberschreitungen sind derzeit nicht nur bei Geschlechterverhältnissen angesagt: Verschiedene Spielarten sexueller Orientierung fordern mehr öffentliche Anerkennung. Grenzüberschreitungen pflegt seit jeher auch der Kunstbetrieb: Wenn Museen und Galerien ihre Ausstellungsprojekte nicht allein stemmen können, tun sie sich mit ihresgleichen zusammen.
Info
Starke Stücke - Feminismen und Geographien
07.06.2019 - 08.09.2019
täglich außer montags
12 bis 18 Uhr,
am Wochenende ab 11 Uhr
in der Stadtgalerie, St. Johanner Markt 24, Saarbrücken
Kompakter Einstieg ins Thema
Das hat Nach- und Vorteile. Einerseits ist diese Zusammenstellung zu schmal, um Tendenzen und Trends in dieser Strömung engagierter Kunst lückenlos dokumentieren zu können; das leistet etwa die ähnlich aufgebaute Wiener „Sammlung Verbund“ deutlich umfassender. Andererseits bietet die FRAC-Kollektion einen kompakten Überblick über Ansätze, die in der feministischen Kunst wichtig waren und sind – quasi als bündigen Einstieg ins Thema.
Impressionen der Ausstellung
Hula Hoop mit Stacheldraht in Israel
Dabei fällt auf, dass etliche ältere Beiträge frischer und aktueller wirken als jüngere; ihr Esprit und ihre Experimentierlust hat sich in den verflossenen Jahrzehnten gut gehalten. Bereits Anfang der 1970er Jahre provozierte Natalia LL in Polen ihre konservativ-katholischen Landsleute mit Fotoserien voller anarchischem Bildwitz – selbst bei Uralt-Kalauern wie laszivem Essen von Bananen. Ebenso zeitlos erscheint ein Auftritt der Spanierin Esther Ferrer 1977: Vor der Kamera vermaß und markierte sie ihren Körper – wie jedes Möchtegern-Model in heutigen Casting-Shows.
Die Radikalität, mit der zur gleichen Zeit Marina Abramović ihren Leib nahezu masochistisch mit Messern, Rasierklingen und Peitschen malträtierte, bleibt ohnehin unüberbietbar – gottlob. Eine so schlichte wie vielschichtige Variante solcher Performances mit vollem Körpereinsatz erfand im Jahr 2000 die Israelin Sigalit Landau. Vor wüstenhafter Küsten-Kulisse ließ sie einen Stacheldraht-Ring um ihre nackten Hüften kreisen: „Barbed Hula“ prägte sich ein als raffiniert einfaches Symbolbild für das paradoxe Amalgam aus Strandleben-Hedonismus und politischer Repression, Selbst- und Fremdeinschließung im jüdischen Levante-Staat.
Klageweib + Durchhalteparolen
Dagegen erscheint ein Video der Südafrikanerin Tracey Rose von 2012, in dem sie unbekleidet die Namen diverser Widerstandshelden von Steve Biko bis Salvador Allende deklamiert, als arg eindimensional: ein Klageweib im simpelsten Sinne. Ähnlich die Porträtaufnahmen, die Clarisse Hahn aus Paris 2011 von zwei inhaftierten Türkinnen im Hungerstreik gedreht hat: Sie verbreiten nur Durchhalteparolen wie „Mein Körper ist eine Waffe, die auf Sieg zielt“.
Beim Genre Agitprop bieten die „Guerilla Girls“ wesentlich mehr. Das 1985 in New York gegründete Frauenkollektiv mischt seither mit provokanten Fotocollagen und Plakatparolen den internationalen Kunstbetrieb auf; eine bunte Mischung davon ist in der Schau zu sehen.
Nur nackte Frauen im Museum
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Feministische Avantgarde der 1970er Jahre aus der Sammlung VERBUND, Wien" - hervorragender Epochen-Überblick im ZKM, Karlsruhe
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Gewalt und Geschlecht: Männlicher Krieg - Weiblicher Frieden?" mit einer "Östrogen-Bombe" der "Guerilla Girls" im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr, Dresden
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Queensize – Female Artists from the Olbricht Collection" im me Collectors Room/Stiftung Olbricht, Berlin
und hier einen Beitrag über die Doku “The Artist is Present” von Matthew Akers über eine Dauer-Performance von Marina Abramović im New Yorker MoMA
und hier eine Kritik der Ausstellung "Frontera" von Teresa Margolles mit Kunst zur Gewalt in Mexiko im Fridericianum, Kassel.
Gleichfalls rabiat, aber ohne Worte tritt die Mexikanerin Teresa Margolles auf, wenn sie Gewalt gegen Frauen anklagt. Ihre fünf Fotografien aus der Grenzstadt Ciudad Juárez von 2018 wirken jedoch allzu lapidar: Prostituierte in Arbeitskleidung posieren in den Ruinen von abgerissenen Nightclubs – Rotlichtästhetik trifft auf shabby chic à la Berlin style.
Palästinas Staub aufsaugen
Ohnehin wirkt die geläufige Kritik an weiblicher Fremdbestimmung visuell recht erschöpft. Sei es diejenige an Oberflächenreizen: Patty Chang schlürft im Video das Wasser ihres eigenen Bildes auf nassem Spiegel ein – als postmodern weiblicher Narziss kann sie den Mund nicht voll genug bekommen. Sei es die Kritik an Vermarktung: Die Schweizerin Ursula Biermann hat um 2000 Internet-Kontaktanzeigen von Frauen aus armen Ländern collagiert. Sie wirken 19 Jahre später geradezu rührend altmodisch – wie archäologische Ausgrabungen des Online-Datings.
Und die Palästinenserin Raeda Saadeh kam 2007 auf die schon damals angestaubte Idee, die karstigen Hügel ihrer Heimat mit einem Staubsauger abzugrasen. Zumindest dieses Stereotyp der Unterdrückung von Frauen durch Hausarbeit dürfte sich in wenigen Jahren durch die Verbreitung günstiger Saugroboter erledigen.
Dagegen hat die Bildsprache der raumfüllenden Installation „Red“ von Madeleine Berkheimer aus den Niederlanden hoffentlich noch eine lange Zukunft vor sich: Ihr Gespinst aus roten Nylonstrümpfen um diverse kugelige Objekte verströmt eine diffuse Erotik, deren Reiz sich weder man noch frau entziehen kann.