Saarbrücken

Starke Stücke – Feminismen und Geographien

Natalia LL: Consumer Art, 1972, Fotografien, 100 x 100 cm, Foto: Rémi Villaggi © Natalia LL, Collection 49 Nord 6 Est Frac Lorraine Metz (FR). Fotoquelle: Stadtgalerie Saarbrücken
Ein halbes Jahrhundert Kunst für Frauen-Emanzipation: Die Stadtgalerie präsentiert feministisch inspirierte Arbeiten aus dem FRAC in Metz. Der Blick über die Grenze zeigt: Nationale Herkunft spielt keine Rolle – doch ältere Werke wirken meist frischer.

Grenzüberschreitungen sind derzeit nicht nur bei Geschlechterverhältnissen angesagt: Verschiedene Spielarten sexueller Orientierung fordern mehr öffentliche Anerkennung. Grenzüberschreitungen pflegt seit jeher auch der Kunstbetrieb: Wenn Museen und Galerien ihre Ausstellungsprojekte nicht allein stemmen können, tun sie sich mit ihresgleichen zusammen.

 

Info

 

Starke Stücke - Feminismen und Geographien

 

07.06.2019 - 08.09.2019

täglich außer montags

12 bis 18 Uhr,

am Wochenende ab 11 Uhr

in der Stadtgalerie, St. Johanner Markt 24, Saarbrücken

 

Weitere Informationen

 

Nun verbindet die Stadtgalerie Saarbrücken beides miteinander. Sie zeigt eine Bestandsaufnahme feministischer Kunst seit den 1970er Jahren – als Import aus dem nahen, befreundeten Ausland: Alle Werke von 23 Künstlerinnen zählen zum Bestand des „Fonds régional d’art contemporain de Lorraine“ (FRAC; „Regionalfonds zeitgenössischer Kunst von Lothringen“) im benachbarten Metz. Wobei die Herkunft keine Rolle spielt: Das FRAC hat Arbeiten namhafter Künstlerinnen weltweit gesammelt – ohne frankophone Ausrichtung.

 

Kompakter Einstieg ins Thema

 

Das hat Nach- und Vorteile. Einerseits ist diese Zusammenstellung zu schmal, um Tendenzen und Trends in dieser Strömung engagierter Kunst lückenlos dokumentieren zu können; das leistet etwa die ähnlich aufgebaute Wiener „Sammlung Verbund“ deutlich umfassender. Andererseits bietet die FRAC-Kollektion einen kompakten Überblick über Ansätze, die in der feministischen Kunst wichtig waren und sind – quasi als bündigen Einstieg ins Thema.

Impressionen der Ausstellung


 

Hula Hoop mit Stacheldraht in Israel

 

Dabei fällt auf, dass etliche ältere Beiträge frischer und aktueller wirken als jüngere; ihr Esprit und ihre Experimentierlust hat sich in den verflossenen Jahrzehnten gut gehalten. Bereits Anfang der 1970er Jahre provozierte Natalia LL in Polen ihre konservativ-katholischen Landsleute mit Fotoserien voller anarchischem Bildwitz – selbst bei Uralt-Kalauern wie laszivem Essen von Bananen. Ebenso zeitlos erscheint ein Auftritt der Spanierin Esther Ferrer 1977: Vor der Kamera vermaß und markierte sie ihren Körper – wie jedes Möchtegern-Model in heutigen Casting-Shows.

 

Die Radikalität, mit der zur gleichen Zeit Marina Abramović ihren Leib nahezu masochistisch mit Messern, Rasierklingen und Peitschen malträtierte, bleibt ohnehin unüberbietbar – gottlob. Eine so schlichte wie vielschichtige Variante solcher Performances mit vollem Körpereinsatz erfand im Jahr 2000 die Israelin Sigalit Landau. Vor wüstenhafter Küsten-Kulisse ließ sie einen Stacheldraht-Ring um ihre nackten Hüften kreisen: „Barbed Hula“ prägte sich ein als raffiniert einfaches Symbolbild für das paradoxe Amalgam aus Strandleben-Hedonismus und politischer Repression, Selbst- und Fremdeinschließung im jüdischen Levante-Staat.

 

Klageweib + Durchhalteparolen

 

Dagegen erscheint ein Video der Südafrikanerin Tracey Rose von 2012, in dem sie unbekleidet die Namen diverser Widerstandshelden von Steve Biko bis Salvador Allende deklamiert, als arg eindimensional: ein Klageweib im simpelsten Sinne. Ähnlich die Porträtaufnahmen, die Clarisse Hahn aus Paris 2011 von zwei inhaftierten Türkinnen im Hungerstreik gedreht hat: Sie verbreiten nur Durchhalteparolen wie „Mein Körper ist eine Waffe, die auf Sieg zielt“.

 

Beim Genre Agitprop bieten die „Guerilla Girls“ wesentlich mehr. Das 1985 in New York gegründete Frauenkollektiv mischt seither mit provokanten Fotocollagen und Plakatparolen den internationalen Kunstbetrieb auf; eine bunte Mischung davon ist in der Schau zu sehen.

 

Nur nackte Frauen im Museum

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Feministische Avantgarde der 1970er Jahre aus der Sammlung VERBUND, Wien" - hervorragender Epochen-Überblick im ZKM, Karlsruhe

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Gewalt und Geschlecht: Männlicher Krieg - Weiblicher Frieden?" mit einer "Östrogen-Bombe" der "Guerilla Girls" im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr, Dresden

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Queensize – Female Artists from the Olbricht Collection" im me Collectors Room/Stiftung Olbricht, Berlin

 

und hier einen Beitrag über die Doku “The Artist is Present” von Matthew Akers über eine Dauer-Performance von Marina Abramović im New Yorker MoMA

 

und hier eine Kritik der Ausstellung "Frontera" von Teresa Margolles mit Kunst zur Gewalt in Mexiko im Fridericianum, Kassel.

 

Den Mitgliederinnen, die nur mit Gorillamasken auftreten, geht es immer um eines: Mehr Präsenz, Einfluss und Geld für ihre Geschlechtsgenossinnen. Doch sie verpacken diese Botschaft stets neu und originell, etwa mit dem Bild einer hingegossenen Grazie: „Müssen Frauen nackt sein, um ins Metropolitan Museum zu kommen? Dort sind weniger als fünf Prozent der modernen Künstler weiblich, aber 85 Prozent der Nacktdarstellungen.“

 

Gleichfalls rabiat, aber ohne Worte tritt die Mexikanerin Teresa Margolles auf, wenn sie Gewalt gegen Frauen anklagt. Ihre fünf Fotografien aus der Grenzstadt Ciudad Juárez von 2018 wirken jedoch allzu lapidar: Prostituierte in Arbeitskleidung posieren in den Ruinen von abgerissenen Nightclubs – Rotlichtästhetik trifft auf shabby chic à la Berlin style.

 

Palästinas Staub aufsaugen

 

Ohnehin wirkt die geläufige Kritik an weiblicher Fremdbestimmung visuell recht erschöpft. Sei es diejenige an Oberflächenreizen: Patty Chang schlürft im Video das Wasser ihres eigenen Bildes auf nassem Spiegel ein – als postmodern weiblicher Narziss kann sie den Mund nicht voll genug bekommen. Sei es die Kritik an Vermarktung: Die Schweizerin Ursula Biermann hat um 2000 Internet-Kontaktanzeigen von Frauen aus armen Ländern collagiert. Sie wirken 19 Jahre später geradezu rührend altmodisch – wie archäologische Ausgrabungen des Online-Datings.

 

Und die Palästinenserin Raeda Saadeh kam 2007 auf die schon damals angestaubte Idee, die karstigen Hügel ihrer Heimat mit einem Staubsauger abzugrasen. Zumindest dieses Stereotyp der Unterdrückung von Frauen durch Hausarbeit dürfte sich in wenigen Jahren durch die Verbreitung günstiger Saugroboter erledigen.

 

Dagegen hat die Bildsprache der raumfüllenden Installation „Red“ von Madeleine Berkheimer aus den Niederlanden hoffentlich noch eine lange Zukunft vor sich: Ihr Gespinst aus roten Nylonstrümpfen um diverse kugelige Objekte verströmt eine diffuse Erotik, deren Reiz sich weder man noch frau entziehen kann.