Robert Budina

Ein Licht zwischen den Wolken

Vilma (Esela Pysqyli) ist beeindruckt von dem schüchternen Hirten Besnik (Arben Bajraktaraj), der so vollkommen im Einklang mit sich und der Natur zu sein scheint. © Neue Visionen Filmverleih
(Kinostart: 19.9.) Madonnen-Erscheinung in der Moschee – sie stürzt das Dorf- und Familienleben in Turbulenzen. Seine so taktvolle wie vielschichtige Parabel verlegt Regisseur Robert Budina in die malerisch unberührte Hochgebirgslandschaft von Nordalbanien.

Auch das ist Europa: Auf der Alm, zwischen seinen Ziegen, betet Besnik (Arben Bajraktaraj) inbrünstig. Mit offenen Händen vor dem Gesicht, denn der Hirte ist Moslem – wie knapp 60 Prozent seiner Landsleute. Rund 17 Prozent der Albaner sind Christen; davon mehr als die Hälfte katholisch, die übrigen orthodox. Ob er zum Gott der Moslems oder dem der Christen gebetet habe, fragen ihn später Kinder. Zum „Gott der Ziegen“, antwortet Besnik verschmitzt.

 

Info

 

Ein Licht zwischen den Wolken

 

Regie: Robert Budina,

83 Min., Albanien 2018;

mit: Arben Bajraktaraj, Estela Pysqyli, Arben Spahija

 

Website zum Film

 

Seine Frömmigkeit ist unbestreitbar: Nach dem gemeinsamen Gebet verweilt er länger als alle anderen Gläubigen in der kleinen Dorfmoschee. In sich gekehrt, vor innerer Aufgewühltheit zitternd. Dann geht er zum Mihrab, der Gebetsnische an der Stirnwand – und klopft gegen den Putz, bis er bröckelt. Dahinter wird etwas Dunkles sichtbar, was alle zunächst nur „den Fleck“ nennen. Da ist aber mehr, wie bald zwei junge Restauratorinnen zeigen, die aus der Hauptstadt anreisen: Sie legen ein großes Madonnen-Fresko frei, das unter dem Putz verborgen war. Diese Moschee war früher eine christliche Kirche.

 

Konfessionswechsel einmal pro Woche

 

Was auf dem Balkan nicht ungewöhnlich ist; die ältesten Gotteshäuser von Istanbul, angefangen mit der weltberühmten Hagia Sophia, wurden als christliche Kirchen errichtet, bevor die osmanischen Eroberer sie nach 1452 in Moscheen umwandelten. Doch im Dorf ist die Überraschung groß. Zumal die Restauratorin Vilma (Esela Pysqyli) daran erinnert, dass man in Albanien historische Bespiele für Doppelnutzung von Gotteshäusern kennt: So gestattete ein Wesir einst einer christlichen Gemeinde, ihren Gottesdienst einmal wöchentlich in der Moschee abzuhalten. Sich mit diesem Vorschlag anzufreunden, fällt der muslimischen Mehrheit schwer.

Offizieller Filmtrailer


 

Keine fade Ökumene-Fabel

 

Konfessionelle Unterschiede spalten auch Besniks Familie, deren Angehörige zusammenkommen, um vom schwerkranken Patriarchen Abschied zu nehmen. Er war mit einer gläubigen Katholikin verheiratet, aber selbst überzeugter Kommunist; über seinem Bett hängen immer noch vergilbte Porträts von Marx, Stalin und Albaniens Diktator Enver Hodscha. Seine resolute Tochter Fitore (Irena Cahani) und ihre Familie bekennen sich zum Islam; sein Sohn Alban (Osman Ahmeti) ist dagegen zur Orthodoxie übergetreten, weil er sonst im griechischen Exil keine Arbeit gefunden hätte.

 

Denkbar viele weltanschauliche Gegensätze auf engstem Raum: Daraus könnte eine fad erbauliche Fabel über Glaubenseifer und Ökumene werden. Das vermeidet Regisseur Robert Budina durch seine Hauptfigur: Der Ziegenhirte Besnik ist alles andere als ein schlichtes Gemüt. Sehr empfindsam und leicht erregbar, hat er manchmal Halluzinationen und andere Empfindungen, für die der Begriff „psychische Störung“ nur ein nichtssagendes Etikett wäre.

 

Ähnelt rumänischem Neorealismus

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Babai – Mein Vater" – bewegend kühles Drama über einen jungen Kosovo-Emigranten von Visar Morina

 

und hier einen Beitrag über den Film "Der Albaner" – präziser Thriller über die Auswanderung eines Kosovaren nach Deutschland von Johannes Naber

 

und hier eine Besprechung des Films "Nomaden des Himmels" – Porträt von Pferdezüchtern in Kirgistan von Mirlan Abdykalykov.

 

Daher spricht er wenig und hält sich am liebsten fern von Menschen bei seinen Ziegen auf der Weide auf. Doch Besnik beobachtet aufmerksam und vermag zu schlichten, wenn die Rivalität zwischen seinen Geschwistern die Familie zu entzweien droht; Hauptdarsteller Bajraktaraj spielt ihn mit beeindruckender Intensität. Die lebenslustige Städterin Vilma nähert sich ihm ungeniert, muss aber letztlich Abstand wahren. Wie auch die Kamera, die das Geschehen begleitet, dabei stets taktvolle Distanz einhält und keinem zu nahe rückt.

 

Was als lineare Dorfchronik beginnt, verwandelt sich unversehens in eine vielschichtige Parabel; das erinnert im Aufbau an manche Meisterwerke des rumänischen Neorealismus. Geschickt verflicht Regisseur Budina Religion, Familienleben und Stadt-Land-Kontrast miteinander; unaufdringlich führt er vor, wie die Differenzen einander durchdringen und verstärken. Das spiegelt sich auf nationaler Ebene wider: Die unversöhnliche Polarisierung zwischen den regierenden Sozialisten und der oppositionellen „Demokratischen Partei“ lähmt seit mehr als einem Jahr das politische Leben im armen Balkanstaat.

 

Wie Kaschmir oder Kirgistan

 

Wobei Budina seine Geschichte nicht zufällig im äußersten Norden des Landes ansiedelt: In den albanischen Alpen begrenzen bis zu 2700 Meter hohe, schneebedeckte Gipfel tief eingeschnittene Täler. Ihre Bewohner hausen in archaisch ausgestatteten Bauernhöfen, angesiedelt in unberührter Natur; solche malerischen Panoramen würde man eher in Kaschmir oder Kirgistan vermuten. Doch sie sind kaum 300 Kilometer vom italienischen Bari entfernt – auch das ist Europa.