München

In einem neuen Licht – Kanada und der Impressionismus

Marc-Aurèle de Foy Suzor-Coté: Symphonie Pathétique (Detail), 1925; 125 × 112 cm, Öl auf Leinwand. © Musée national des beaux-arts du Québec. Foto: MNBAQ, Denis Legendre. Fotoquelle: Kunsthalle München
Die Moderne des nördlichsten Amerika begann in Paris: Ab 1880 reisten fast alle kanadischen Künstler dorthin. Ihre Spielart des Impressionismus feierte ihre Heimat in stilisierten Visionen als wildes und raues Land – eine prächtige Auswahl führt die Kunsthalle vor.

Die pralle Sonne scheint, es duftet nach Meer und windzersaustem hohen Gras: Auf Helen McNicolls Gemälde „Sunny September“ genießen drei Mädchen in wehenden Sommerkleidern den Moment. Sogar ein weißer Sonnenschirm wurde aufgeklappt, um den blassen Teint zu schützen – und fertig ist das klassische, im Licht flirrende Impressionismus-Motiv! Aber der Eindruck des Motivs auf dem Plakat zur Ausstellung täuscht.

 

Info

 

In einem neuen Licht – Kanada und der Impressionismus

 

19.07.2019 - 17.11.2019

täglich 10 bis 20 Uhr

in der Kunsthalle München, Theatinerstr. 8, München

 

Katalog 29 €

 

Weitere Informationen

 

Auf den meisten Werken in der Münchner Kunsthalle herrscht klirrende Kälte – so wie in Kanada auch während der längsten Zeit des Jahres. So bietet sich diese Schau als erfrischende Abkühlung während sommerlich heißer Tage an: Sie bietet eine Expedition in recht unbekannte Regionen des globalen Phänomens Impressionismus.

 

Meist erstmals in Europa gezeigt

 

Rund 35 Künstler, darunter überraschend viele Frauen, werden vorgestellt; die meisten waren noch nie in Europa zu sehen. Die Schau zeichnet nach, wie sie sich ab den 1880er Jahren aus ihrer als Nation noch jungen Heimat Kanada aufmachten, um in Paris oder London ihren Traum vom Künstlerdasein zu verwirklichen. Hier gibt es Tüpfel-Malerei, atmosphärische Lichtstimmungen und lebendige Alltagsszenen in Hülle und Fülle.

Feature zur Ausstellung. @ ganz-muenchen.de


 

Eis-Ernte + Ahornsirup-Sammeln

 

Nebenbei sind interessante kulturhistorische Phänomene zu sehen: etwa die Eis-Ernte auf dem Sankt-Lorenz-Strom, wenn die Türkis schillernden Blöcke herausgeschnitten und von Pferdefuhrwerken abtransportiert werden. Oder Ahornsirup, der an den ersten Frühlingstagen in kleine Sammelgefäße an den Baumstämmen rinnt. Auch die Totempfähle der Indigenen kommen als farbstarkes Motiv in den Blick.

 

Was sich beim Rundgang durch rund 120 Exponate, die meisten Leihgaben aus der National Gallery of Canada in Ottawa, ebenfalls herauskristallisiert, ist das Ringen um eine eigenständige kanadische Nationalkultur. Sie tritt in den Werken der „Group of Seven“ und der „Beaver Hall Group“ im letzen Kapitel der Ausstellung selbstbewusst hervor: entstanden aus den Impulsen des Pariser Impressionismus.

 

Neureiche kauften Alte Meister

 

Gegen verstaubte akademische Traditionen rebellieren, wie es die Franzosen Monet oder Pissarro taten, wollten die kanadischen Impressionisten nicht. In Montréal, Toronto oder Quebec entwickelte sich eine eigenständige Kunstszene Ende des 19. Jahrhundert erst langsam, nachdem Kanada ab 1867 durch den Zusammenschluss mehrere zuvor britischer und französischer Kolonien zu einem neuen Staat entstanden war. Später kamen weitere Provinzen im arktischen Norden hinzu.

 

In diesem Kanada gab es anfangs weder Akademien noch Museen, professionelle Händler oder potenten Sammler mit Sinn für moderne Kunst. Neureiche Eisenbahnmagnaten und Bankiers, die in dem boomenden Einwandererland dicke Gewinne machten, investierten meist lieber in Alte Meister aus der Alten Welt. Also hieß es für junge Kunsteleven: ab nach Europa, am besten nach Paris, damals der Nabel der Kunstwelt.

 

Künstlerkolonie in Giverny

 

Einer der ersten, die dort eintrafen, war William Blair Bruce. Er wird im ersten Raum mit einer frappierenden Reihe von Gemälden vorgestellt. Sein Großformat „Picking Pears in Barbizon“ malte er noch ganz traditionell in der gedämpften Braunton-Palette der Realisten. Wenige Jahre später gründete er in Monets ländlichem Rückzugsort Giverny mit amerikanischen Malerfreunden eine Künstlerkolonie – und brillierte in schönster Tüpfelmanier mit rotblühenden Mohnfeldern: Impressionismus pur. Bruce blieb dauerhaft in Europa.

 

Sein Landsmann William Brymner hingegen exportierte den Impressionismus nach Montreal, wo er als Lehrer an der „Art Association“ ganze Generationen von Künstlern prägte. Viele davon sind ebenfalls in der Ausstellung vertreten – auch sie traten fast ausnahmslos die Bildungsreise nach Europa an. Etwa die hochbegabte Helen McNicoll; ihre kraftvoll gemalten Bilder sind eine echte Entdeckung und zeigen meist weibliche Lebenswelten. Oder Clarence Gagnon: Der enorm reisefreudige Maler begeisterte mit seinen ländlichen Winterlandschaften aus Kanada sogar die Pariser Kritiker.

 

Von Paris nach Nordafrika

 

Man staunt, wie mobil die Künstler waren: Für den Reise über den großen Teich scheute man weder Kosten noch Mühen; die Herkunft aus einer großbürgerlichen Familien half dabei vielfach. Einer der wichtigsten Impulsgeber des kanadischen Impressionismus, Maurice Cullen, musste allerdings finanzielle Durststrecken überstehen. Eine ganze Reihe von Werken zeichnen seinen Weg nach: In Moret-sur-Loing, ein Lieblingsort der Impressionisten südlich von Paris, malte er auf dem Fluss treibende Eisschollen im Abendlicht.

 

Später trifft man ihn in Nordafrika, wo er sein impressionistisches Handwerk auf das grelle Wüstenlicht anwendet – nur um schließlich nach Kanada zurückzukehren. Dort schätzte man seine Malerei anfangs überhaupt nicht und fand sie zu skizzenhaft. Aber er blieb dabei; heute wird er als Spezialist für die Darstellung von Schnee in all seinen Erscheinungsformen und Lichtstimmungen gefeiert.

 

Unschuld in Weiß + Bohème-Dame

 

Die thematisch aufgebaute Ausstellung setzt in Paris und dem ländlichen Frankreich an, legt einen Zwischenstopp an der Küste mit Meeres-, Regatta- und Strandszenen ein und widmet auch den häufigen Kinder- und Frauendarstellungen des kanadischen Impressionismus ein eigenes Kapitel. Marc-Aurèle de Foy Suzor-Coté setzt in „Youth and Sunlight“, wirkungsvoll, aber etwas kitschig ein Mädchen in Weiß und Rosa auf eine Parkbank; natürlich mit Sonnenschirm. Dagegen lässt die Malerin Florence Carlyle ihr weibliches Modell im farbglühenden Kimono auf dem Ateliersofa eine Kunstzeitschrift lesen: lässiges Bohèmeleben in Kanada.

 

Als im Ersten Weltkrieg die europäischen Reiseziele wegfielen, schifften sich viele kanadische Maler in fernere Regionen ein: Franklin Brownell malte in der Karibik den kolonialen Alltag als pittoreskes Motiv. James Wilson Morrice ging mit Matisse in Marokko auf Maltour, tauchte aber auch gern in das verschwimmende Fluidum Venedigs ein. Auffällig ist, dass die kanadischen Impressionisten ihre Motive selten so radikal in kleine Farbtupfen auflösten und zerlegten, wie Monet oder andere französische Maler dies taten.

 

Heimat als künstlerisches Neuland

 

Die Kanadier legten Wert auf klare, plastische Form und solide Komposition. Im Grunde versuchten sie den Spagat zwischen klassisch bewährter Bildstruktur und gemäßigter Modernität. Das kam im frühen 20. Jahrhundert, also mit einiger Verspätung, dann auch in Kanada gut an: Impressionistisch gemalt wurde dort noch bis in die 1920er Jahre.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Impressionismus – Die Kunst der Landschaft" - erstklassige Überblicksschau im Museum Barberini, Potsdam

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Pissarro – Der Vater des Impressionismus" - große Retrospektive im Von Der Heydt-Museum, Wuppertal

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Monet und die Geburt des Impressionismus" im Städel Museum, Frankfurt am Main

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Es war einmal in Amerika: 300 Jahre US-amerikanische Kunst" - hervorragende Themenschau im Wallraf-Richartz-Museum, Köln.

 

In der zweiten Hälfte der Schau ist spannend, wie die Maler nach der Rückkehr nach Kanada ihre Heimat als künstlerisches Neuland entdeckten. Montreal im dichten Schneetreiben,  herbstliches Laub im Algonquin-Nationalpark oder qualmende Schlote in Toronto: Jeder Künstler fand neue Motive, die ihn reizten. Oft geriet dabei weniger das moderne, industrialisierte Kanada mit seinen boomenden Städten in den Blick, sondern wilde, ursprüngliche Natur.

 

Kanadas Wesen feiern

 

Die gerade erst erschlossenen Nationalparks mit ihren Felsen, Wäldern und Flüssen wurden vor allem für die jungen Maler der „Group of Seven“ zum Ausgangspunkt bei ihrer Suche nach einer eigenständigen kanadischen Malerei. Ein Ahornwäldchen im klirrend kalten Winter oder eine urige Waldläufer-Hütte waren nicht einfach stimmungsvolle Naturmotive – für die Künstler war genau dies Kanada pur: Sie wollten das Wesen ihres Landes und seinen Nationalcharakter feiern.

 

Mit diesem ideologisch gefärbten Vorstoß hatten sie beim kanadischen Publikum großen Erfolg: Bis heute genießt die „Group of Seven“ aus Toronto einen legendären Ruf als Begründer der kanadischen Moderne. Dass es gleichzeitig auch andere interessante Positionen gab, betont das Kuratorenteam durch Werke der „Beaver Hall Group“ aus Montréal.

 

Bis heute prägendes Bild

 

Dabei wandten sich viele Künstler mit ihrer Malweise nun entschieden vom längst überlebten Impressionismus ab. Großzügige Farbflächen, leuchtend übersteigerte Farben und ein plakativer Bildaufbau wurden typisch für die „Group of Seven“. Ihre stilisierten Visionen eines wilden, rauen und menschenleeren Landes prägten das von ihm verbreitete Bild bis heute entscheidend mit. Doch Kanadas Reise in die Moderne begann in Paris; das macht die Ausstellung auf facettenreiche Weise deutlich.