Mikhaël Hers

Mein Leben mit Amanda

David (Vincent Lacoste) kümmert sich nun um seine Nichte Amanda (Isaure Multrier). Foto: © 2018 Nord-Ouest Films - Arte France Cinema. Fotoquelle: Polyfilm Verleih
(Kinostart: 12.9.) Luftige Pariser Sommertage lindern Trauer: Der Regisseur Mikhaël Hers erzählt so beiläufig wie glaubwürdig von einem jungen Mann und seiner kleinen Nichte; ein Terroranschlag nahm ihnen die Schwester beziehungsweise Mutter.

In Mikhaël Hers Filmen ist scheinbar immer Sommer. Freundliche, sympathisch normale Menschen tun sympathisch normale Dinge. Sie arbeiten, reden viel und verlieben sich manchmal. Dann aber passiert das Unerwartete, eine kleine oder große Katastrophe. Die Routine gerät aus dem Tritt. Nun schauen wir dabei zu, wie die Protagonisten eine neue Normalität suchen.

 

Info

 

Mein Leben mit Amanda

 

Regie: Mikhaël Hers,

107 Min., Frankreich 2018;

mit: Vincent Lacoste, Stacy Martin, Isaure Multrier

 

Website zum Film

 

So war es in dem teilweise in Berlin angesiedelten Film „Dieses Sommergefühl“ (2015), in dem der plötzliche Tod seiner Freundin einen jungen Mann und ihre Familie aus der Bahn wirft. So ist es auch in „Mein Leben mit Amanda“. In dem Drama genießt der 24-jährige David (Vincent Lacoste) sein Leben auf relativ ambitionsfreie Weise. Er arbeitet als Baumpfleger in Parks und außerdem für einen Vermieter von Ferienappartments; dafür wohnt er mietfrei in der Pariser Innenstadt.

 

Terror beim Picknick

 

Durch seinen Job lernt er die Klavierlehrerin Léna (Stacy Martin) kennen; vielleicht könnten sich die beiden verlieben. Seine ältere Schwester Sandrine (Ophélia Kolb) ist Lehrerin und zieht ihre siebenjährige Tochter Amanda (Isaure Multrier) alleine groß; David unterstützt sie sporadisch. Der Film nimmt sich viel Zeit, die enge Bindung der Geschwister zu beschreiben. Dann geschieht das Unfassbare: Sandrine kommt bei einem Anschlag ums Leben – während eines Picknicks!

Offizieller Filmtrailer OmU


 

Trauer und Alltag

 

Wie David und Amanda mit diesem Verlust und ihrer Trauer umgehen, beobachtet der Regisseur mit respektvollem Einfühlungsvermögen, ohne melodramatische oder kitschige Momente. Das gelingt ihm mit schlaglichtartigen, undramatischen Schilderungen der Ereignisse, die auf die Tragödie folgen. Hers vermeidet jede konkrete Verortung, doch Assoziationen zu den Pariser Anschlägen von 2015 stellen sich von allein ein.

 

Trost finden David und Amanda bei ihrer Tante Maud und langen Spaziergängen durch das sommerliche Paris. Das wirkt seltsam leer und touristenfrei, aber auch hochgerüstet. Selbst im Park gibt es Wachschutz – eine Folge des Anschlags. Es sind die kleinen Momente, die ihren Trauerprozess so wahrhaftig und anrührend wirken lassen. Die Handlung fokussiert aber nicht nur darauf, sondern öffnet auch den Blick auf das Leben, das weitergeht.

 

Schwierige Entscheidung

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "So wie du mich willst" - französisches Drama von Safy Nebbou mit Juliette Binoche

 

und hier einen Beitrag über den Film "Das Haus am Meer" - subtiles französisches Familien-Drama von Robert Guédiguian

 

und hier einen Bericht über den Film "Das unbekannte Mädchen" - sozialrealistisches Alltags-Drama von Jean-Pierre + Luc Dardenne

 

Während Davids und Amandas Bezugspunkt Sandrine für immer verschwunden ist, setzen Bilder von Straßenzügen quasi statische Fixpunkte, die für eine gewisse Normalität stehen. Halt gibt auch die Alltagsroutine: Amanda muss zur Schule, David arbeiten. Zudem muss er sich entscheiden, ob er Amandas Vormund werden möchte; aufgrund der schwierigen Familienverhältnisse gibt es dazu kaum eine Alternative. Sein Vater ist tot, seine Mutter verschwand nach England, als die Geschwister noch klein waren.

 

Diese weitreichende Entscheidung überfordert den jungen Mann. Léna, die bei dem Anschlag ebenfalls verletzt wurde, kann ihm dabei nicht helfen; auch die Ratschläge seiner Freunde bringen ihn nicht weiter. Amanda geht auf ihre Weise mit dem Verlust um. Sie klammert sich an David, will nicht zwischen ihm und Maud pendeln.

 

Abschied und Neuanfang

 

Hers gelingt das Kunststück, diese Tragödie mit ernsthafter Anteilnahme, dabei zugleich leicht, fast schwebend zu erzählen – und mit einer Zuversicht, dass die Zeit vieles leichter werden lässt, auch wenn sie keine Wunden heilt. Dazu trägt sicher auch die sommerliche Stimmung bei. Was den Film aber besonders macht, ist das authentische Zusammenspiel der Schauspieler, insbesondere der beiden Hauptdarsteller.

 

Die wunderbar natürlich agierende Isaure Multrier ist eine Eindeckung. Sie spielt weder besonders naseweis noch keck, lässt ihr Gesicht aber Bände sprechen. Als Amanda und David zum Wimbledon-Turnier nach London fahren, ist das zugleich Abschied und Neuanfang. Die Reise wurde noch Sandrine organisiert. Für die beiden bedeutet sie jedoch, dass vielleicht nun auch Davids Mutter wieder ein Teil ihres Lebens wird.