Leipzig

Point of No Return – Wende und Umbruch in der ostdeutschen Kunst

Cornelia Schleime: o. T. (aus: Horizontebilder), 1985/86, Sammlung Leo Lippold, Foto: InGestalt/Michael Ehritt, © Künstlerin. Fotoquelle: Museum der bildenden Künste, Leipzig
Kunst ohne Wiederkehr: 30 Jahre nach dem Ende der DDR blickt das Museum der bildenden Künste auf Bilder vor und nach dem Mauerfall zurück. Reich bestückt und vollmundig präsentiert – das große Angebot vermittelt wenig neue Erkenntnisse.

An Diversität mangelt es dem Museum der bildenden Künste Leipzig (MdbK) nicht. Derzeit werden im Untergeschoss die süffigen Likör-Aquarelle von Rockstar Udo Lindenberg gezeigt, darüber die Dauerausstellung mit alten und jüngeren Meistern jeglicher Couleur, oben sperrige Ostkunst vor und nach der Wende – im quaderförmigen Bau soll es das ganze Kunst-Deutschland sein.

 

Info

 

Point of No Return - Wende und Umbruch in der ostdeutschen Kunst

 

23.07.2019 - 03.11.2019

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr,

mittwochs 12 bis 20 Uhr

im Museum der bildenden Künste, Katharinenstraße 10, Leipzig

 

Katalog 35 €

 

Weitere Informationen

 

Die Messestadt hat einen – manchmal fatalen – Hang zur (Über-)Größe; so wollte sie schon die Olympischen Spiele austragen. Und für genauso vielfältig wie Berlin, nur viel besser, hält man sich hier sowieso. Dazu passt, wie das MdbK seine Sonderschau vollmundig anpreist: „Als symbolischer Hauptort der Friedlichen Revolution ist gerade Leipzig prädestiniert für die deutschlandweit erste große Exposition zu diesem Thema, die als wichtigste Ausstellung im 30. Jubiläumsjahr der Friedlichen Revolution gelten kann.“

 

Nur Nachwende-Schau ist neu

 

Das mag allenfalls für den Ansatz gelten, die ostdeutsche Kunstproduktion nach dem Wendejahr 1990 weiter zu verfolgen. Denn ambitionierte Überblicks-Ausstellungen zur Entwicklung der DDR-Kunst gab es in den vergangenen Jahren bereits einige in Ost- und Westdeutschland – ohne dass sie revolutionäre neue Erkenntnisse zutage gefördert hätten.

Impressionen während der Museumsnacht 2019; © MdbK


 

Aus dem Nachlass von Peter Ludwig

 

Ihren Anspruch auf Superlative untermauern die Kuratoren Paul Kaiser, Christoph Tannert und MdbK-Direktor Alfred Weidinger mit Zahlen. Sie haben 300 Werke von 106 Künstlern und Künstlerinnen zusammengetragen; neben Malerei auch Skulpturen, Installationen und Fotografien. Viele Arbeiten stammen aus der Stiftung von Peter Ludwig, teilweise als Dauerleihgabe; der 1996 verstorbene Großsammler hatte seit den 1970er Jahren Kunst aus der ehemaligen DDR gekauft.

 

Natürlich sind in der Jubiläumsausstellung Bilder der bekanntesten ostdeutschen Maler zu sehen – von Werner Tübke und Willi Sitte über Wolfgang Mattheuer, Berhard Heisig und Arno Rink bis zu Neo Rauch. Der Großteil der Exponate jedoch stammt von Künstlern, die in der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt sind; der eigentliche Vorteil dieser Ausstellung.

 

Existentielle Mauerfall-Erfahrung

 

Zwar überzeugt nicht jedes Werk, doch in ihrer Gesamtheit bieten sie einen sehenswerten Querschnitt an künstlerischen Positionen. Dabei kreisen sie um den „Point of No Return“ im Titel, mit dem der Mauerfall gemeint ist – was sonst? Dieses Ereignis war ein tiefgehender Einschnitt im Leben jedes ehemaligen DDR-Bürgers; es markiert den grundlegenden Erfahrungsunterschied zwischen Menschen mit west- und ostdeutscher Sozialisation.

 

Allerdings fasst die Ausstellung diesen Zeitraum sehr weit; so werden neben Arbeiten aus der unmittelbaren Wendezeit und dem ersten Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung auch solche aus den 1970er und 1980er Jahren gezeigt. In diesen Werken findet sich schon die Brüchigkeit und Ambivalenz des „real existierenden Sozialismus“.

 

Mauerbilder in Pop-Art-Manier

 

Insgesamt sieht man viel Beklemmendes und Düsteres, zum Beispiel die Bilderserie „Klage“ von Einar Schleef. Er stellt stark verfremdet Menschen in Telefonzellen dar; sie wirken wie Gefängnisräume. Oder ein todtrauriges Selbstporträt von Eve Rub; sie war gemeinsam mit ihrem Mann Frank Rub vor ihrer Ausreise in den Westen jahrelang der Bespitzelung durch die Stasi ausgesetzt.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Doppel-Ausstellung "Kunsthalle Rostock 69/19" + "Palast der Republik" in der Kunsthalle Rostock zum 50-jährigen Bestehen

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Ostdeutsche Malerei und Skulptur 1949 – 1990" - große Bestandsaufnahme im Albertinum, Dresden

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Hinter der Maske - Künstler in der DDR" - umfassende DDR-Überblicks-Schau im Museum Barberini, Potsdam

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "geteilt | ungeteilt: Kunst in Deutschland 1945 bis 2010" - Ost-West-Vergleichs-Schau in der Galerie Neue Meister im Albertinum, Dresden.

 

Hingegen setzte Wasja Götze aus Halle 1988 einer rosa Pop-Art-Mauer farbige Stacheldrahtspitzen auf. Und Cornelia Schleimes filigrane Figurenkompositionen, etwa in ihren „Horizontebildern“, schaffen ein ganz eigenes Zeichenuniversum jenseits politischer Fragestellungen. Doch solche helleren Töne sind die Ausnahme. Mit großformatiger Systemkritik –  etwa auf Bildern wie „99,9%“ oder „Der Kuß“ – überrascht der sonst vor allem als Illustrator bekannte Hans Ticha, der eine originell plakative Spielart der Pop-Art kultivierte. Er versteckte solche Bilder jahrelang in seinem Berliner Atelier.

 

Zeit verwandelt Bilder in Chiffren

 

Auch nach 1989/90 leuchtet nicht gerade Optimismus von den Leinwänden. In ihrem ausdrucksstarken „Passagen“-Zyklus reflektiert die Leipziger Künstlerin Doris Ziegler die Umbrüche in einer Übergangsgesellschaft: Die Menschen setzen sich neue Masken auf die alten Gesichter.

 

Solche mehrere Jahrzehnte alten Arbeiten werden durch Werke jüngerer Künstler ergänzt. Auffällig ist, dass sie sich oft an den Insignien der ostdeutschen Vergangenheit abarbeiten. Peggy Meinfelder etwa katalogisiert all die Abzeichen, die sie in ihrer Kindheit erhalten hat, während Martin Mannig in „Abendgruß“ ein verzerrtes Abbild des TV-Sandmännchens schafft. Je größer der Zeitabstand zum Erleben in der damaligen DDR wird, desto stärker wandeln sich die vielfach gebrochenen Bilder dieses verschwundenen Landes zu reinen Chiffren.