Alija andersherum: Nach seinem Militärdienst in Israel wandert Yoav (Tom Mercier) fluchtartig aus – nach Frankreich. Von seiner Heimat will er nichts mehr wissen; kein Wort Hebräisch soll künftig noch über seine Lippen kommen. In jeder freien Minute paukt er Französisch-Vokabeln. Doch sein Start in der gelobten Stadt Paris geht gründlich schief. Die aus der Ferne gebuchte Wohnung ist völlig leer; zudem wird ihm beim Baden sein Rucksack mit allen Habseligkeiten gestohlen. Splitternackt und vor Kälte zitternd übersteht er kaum die erste Nacht.
Info
Synonymes
Regie: Nadav Lapid,
123 Min., Israel/ Frankreich/ Deutschland 2019;
mit: Tom Mercier, Louise Chevillotte, Quentin Dolmaire
Israels Botschaft für alle öffnen
Yoav bleibt mit ihnen eng in Kontakt, schlägt sich aber ansonsten allein durchs Pariser Leben. Mit seltsamen Jobs: Zwar will er mit seiner Herkunft abschließen, doch er heuert als Sicherheitsmann bei der israelischen Botschaft an. Dort kommt nicht gut an, dass er die Landessprache verweigert – und als er im Regen Wartende mit der Parole „offene Grenzen“ unkontrolliert in die Botschaft eindringen lässt, fliegt er schnell wieder raus.
Offizieller Filmtrailer
Porno-Dreh in Uniform
Dann gerät Yoav an einen Porno-Produzenten; der drängt ihn, sich nackt einen Finger in den Anus zu stecken und dabei Hebräisch zu reden. Später soll er für Sex-Szenen vor der Kamera eine Uniform anziehen; daraufhin weigert sich eine Libanesin, mit ihm zu drehen. Derlei demoralisiert ihn zunehmend, während Emile sein ereignisreiches Leben bewundert. Caroline beginnt eine Affäre mit Yoav und heiratet ihn sogar, damit er schneller eingebürgert werden kann – was nicht lange hält.
All das klingt arg konstruiert und sieht auch so aus. Obwohl der Film in Grundzügen auf autobiographischen Erlebnissen des Regisseurs beruht: Nach seiner Militärzeit reiste Nadav Lapid gleichfalls überstürzt nach Paris, wollte sich um jeden Preis assimilieren, lebte von Billigjobs und entdeckte die Welt des Kinos für sich – bis er seine Lage als Sackgasse empfand und zurückkehrte. Mit seiner „Yerida“ genannten Emigration war er nicht allein: Laut Israels Statistik-Behörde ging zwischen 1990 und 2014 rund eine halbe Million Staatsbürger ins Exil; knapp die Hälfte von ihnen kam später wieder zurück.
Jede Episode ein Symbol
Ihre Motive spielen für Lapid keine Rolle: Sein Held türmt scheinbar ohne Anlass in einem acte gratuit. Dann jagt ihn der Regisseur durch eine lockere Folge von Episoden, von denen jede überdeutlich als Symbol für ein gegenwärtiges Phänomen herhalten soll: Der Flüchtling als mittelloser Neuankömmling in Europa. Reiche Müßiggänger, die erst gerührt helfen, sich danach aber gelangweilt abwenden.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Policeman – Ha Shoter" - israelischer Terror-Thriller von Nadav Lapid
und hier einen Bericht über den Film "Tel Aviv on Fire" - geistreiche israelische Seifenoper-Komödie über den Nahost-Konflikt von Sameh Zaobi
und hier einen Beitrag über den Film "Ein Tag wie kein anderer" - Tragikomödie aus Israel über Sterbefall-Bewältigung durch Kiffen von Asaph Polonsky
und hier eine Besprechung des Films "Am Ende ein Fest" - warmherzige Sterbehilfe-Tragikomödie aus Israel von Sharon Maymon + Tal Granit.
Alles egal weil tiefgekühlt
Dieser plakative Reigen wird dadurch kaum genießbarer, dass der Regisseur sehr distanziert auf ebenso emotionsarme Akteure blickt; sie sagen ihre Dialogzeilen so leidenschaftslos auf wie Yoav routiniert seine Vokabeln wiederholt.
Solch eine kühle Versuchsanordnung überzeugte in Lapids Film „Policeman – Ha-Shoter“ von 2011, weil es darin um Polizisten und Terroristen ging; beide Milieus praktizieren spiegelbildlich ähnliche Rituale der Selbstkontrolle und -aufopferung. Doch die Dauer-Gefühlskälte im neuen Film verhindert jede Empathie des Zuschauers; dass nichts klappt, bleibt einem herzlich egal.
Animiertes Memory-Spiel
Zumal Tom Mercier den jugendlichen Starrsinn der Hauptfigur mit stechendem Blick und reglosen Zügen darstellt, die zusätzlich frösteln lassen. In jedem Polit-Thriller gäbe er einen überzeugenden Selbstmordattentäter ab; statt Französisch sollte er erst einmal Leben lernen.
Außer ein paar geistreichen Wortwechseln bietet der Film nur den Eindruck, einem animierten Memory-Spiel zuzusehen: Welche Szene lässt sich welchem aktuellen Polit-Problem zuordnen? Das reichte offenbar aus, um die Jury der Berlinale 2019 zu überzeugen: Sie prämierte „Synonymes“ mit dem Goldenen Bären.