Potsdam

Wege des Barock – Meisterwerke aus den Sammlungen der Palazzi Barberini und Corsini in Rom

Caravaggio (1571–1610): Narziss (Detail), 1597–1599, Gallerie Nazionali di Arte Antica, Rom, © Gallerie Nazionali di Arte Antica, Rom Photo: Mauro Coen. Fotoquelle: © Museum Barberini, Potsdam
#MeToo im 17. Jahrhundert: Eine eindrückliche Ausstellung zeichnet die verschlungenen Wege des Barock nach. Obwohl die neue Epoche in Rom entstand, sorgte sie bald in ganz Europa für frischen Wind und eine neue Emotionalität in der Kunst.

Wenn Paläste reisen: Eine ganzer Palazzo voller barocker Visionen, Phantasien und Dramen gastiert derzeit in Potsdam. Das Museum Barberini knüpft mit der fulminanten Altmeisterschau „Wege des Barock“ an seine römischen Wurzeln an. Denn letztlich verdankt sich das 2016 eröffnete Haus der Italiensehnsucht Friedrichs des Großen. Der Preußenkönig ließ das Palais Barberini als Bürgerhaus nach dem Vorbild des römischen Palazzo der Papstfamilie Barberini errichten.

 

Info

 

Wege des Barock - Meisterwerke aus den Sammlungen der Palazzi Barberini und Corsini Rom

 

13.07.2019 - 06.10.2019

täglich außer dienstags

10 bis 19 Uhr,

donnerstags bis 21 Uhr

im Museum Barberini, Am alten Markt, Potsdam

 

Weitere Informationen

 

In die Ewige Stadt reiste Friedrich allerdings nie. Ihm reichten Stichwerke, um sich architektonisch inspirieren zu lassen. So stellte er in seiner Residenzstadt Potsdam nicht nur Macht, sondern auch seine kulturelle Bildung aus. Finanzielle Potenz bewies auch Investor Hasso Plattner, als er das kriegszerstörte Barberini-Palais als modernes Museum wiederaufbauen ließ: innen neu, außen nach historischem Vorbild. Böse gesagt, ist es das Imitat eines Imitats. Doch die Wege des Barock sind auch hier verschlungen. Und es lohnt sich, ihnen nachzugehen.

 

Farbgluten und Gefühlsstürme

 

Vor weinroten Wänden lässt sich schwelgen in den Farbgluten und Gefühlsstürmen des Barock. Nicht nur Malerstar Michelangelo Merisi, den man nach dem Geburtsort seiner Eltern kurz Caravaggio nennt, glänzt hier mit Inszenierungskunst. Die Ausstellung erzählt auch davon, wie diese ausdrucksgeladene Kunstströmung sich von Rom aus bis in die Paläste und Bildergalerien Nordeuropas ausbreitete.

Fünf Kurzinterviews mit Kuratoren + Experten zur Ausstellung. © Museum Barberini, Potsdam


 

Digitales Deckengemälde

 

Überraschenden Schlusspunkt der Schau bildet ein Bilderpaar der bedeutendsten Malerin des italienischen Barock, Artemisia Gentileschi. Ihre Großformate hängen seit über 250 Jahren im Neuen Palais in Potsdam und schalten sich nun, brandaktuell, in die #MeToo-Debatte ein: mit der gänzlich unverblümten Darstellung von Gewalt gegen Frauen. Emotionalen Sprengstoff bietet das Barock allemal. Genau das war auch schon im Zeitalter der Gegenreformation gewollt, als eine neu entfachte Gefühligkeit die Gläubigen mitreißen sollte; die antiken Mythen las man wie Dramenstoffe.

 

Überwältigend ist schon der erste Ausstellungssaal: Man wähnt sich sogleich im Gran Salone des römischen Palazzo Barberini. Mit einer ausgefuchsten Digitalprojektion gelingt es, Pietro da Cortonas gewaltiges Deckengemälde von dort an die Decke des Ausstellungssaals zu zaubern. Illusionismus 2.0. Aufs Schönste lässt sich hier genießen, wie der römische Barockmaler mit Perspektivtricks den realen Raum erweiterte, um Platz zu schaffen für Heerscharen von festlichen Göttern und Personifikationen. Im Zentrum triumphiert, freischwebend, die Göttliche Vorsehung als Frauengestalt.

 

Machtdemonstration durch Kunst

 

Natürlich diente der ganze Zauber vor allem dazu, die Auftraggeberfamilie zu verherrlichen. Der 1623 zum Papst aufgerückte Maffeo Barberini und sein Clan investierten im großen Stil in Kunst, um ihren Herrschaftsanspruch zu verdeutlichen. In Florenz mit Textilien zu Wohlstand gekommen, verstand es die Aufsteigersippe, sich machtpolitisch aufzustellen. Alle Schlüsselpositionen im Kirchenstaat und der Stadt Rom wurden mit Gefolgsleuten besetzt; Nepotismus nannte man das.

 

Papst Urban VIII., wie Barberini später hieß, sorgte dafür, dass Rom zur Hauptstadt des Barock wurde. Seine lebensgroße Marmorbüste aus der Werkstatt seines Lieblingskünstlers Gian Lorenzo Bernini ist in Potsdam ausgestellt. Bescheidener und privater wirkt der Kirchenfürst auf einem gemalten Bildnis Berninis. Dessen vielseitiges Genie forderte der Papst auch mit architektonischen Aufträgen, etwa für das Großprojekt Petersdom.

 

Genese des Barock

 

Wie der Barberini-Papst sich als Kunstmäzen und Politiker in Szene setzte, zeigen meterhohe Wandteppichentwürfe für die von ihm gegründete Gobelin-Manufaktur. So sieht man ihn inmitten muskulöser Bauarbeiter, die auf sein Geheiß hin den notorisch überschwemmten Trasimenischen See trockenlegen. Auch für wirkungsmächtige Musik hatte der Clan ein Ohr, wie eine barbusige Personifikation der Musik andeutet: Auf ihrer Goldharfe prangt das Barberini-Familienwappen mit den drei goldenen Bienen.

 

Sie flattern in vielen Exponaten herum und signalisieren bis in die Gegenwart im römischen Stadtbild die seinerzeit einflussreiche Präsenz der Familie. Der Palazzo Barberini am Quirinalshügel beherbergt heute, zusammen mit dem Palazzo Corsini, die italienische Nationalgalerie alter Kunst. 54 Meisterwerke aus dem Bestand durften nach Potsdam reisen. Sie verwandeln das Obergeschoss der Ausstellung in eine fulminante Lehrstunde zur Genese des Barock.

 

Effektvolles Helldunkel

 

Unangefochtenes Spitzenstück ist der „Narziss“ von Caravaggio: ein Frühwerk, um 1597–1599 entstanden. Der Maler mit dem hitzigen Temperament, der sich immer wieder in Rangeleien verwickelte und schließlich unter Mordverdacht aus Rom fliehen musste, zeigt sich hier als nachdenklich-subtiler Bildregisseur. Der antike Jüngling Narziss beugt sich selbstverliebt über sein Spiegelbild, das vor ihm auf der glatten Oberfläche eines Sees erscheint.

 

Er wird, wie man weiß, seiner Selbstliebe zum Opfer fallen und nach seinem Tod in eine Narzisse verwandelt; so erzählte es zumindest Ovid. Caravaggios knapper Bildausschnitt, das effektvolle Helldunkel und sein realistischer Zugriff wirken bis heute modern. Die Zeitgenossen waren hingerissen von dieser völlig neuen, radikalen Darstellungsweise. Mit Caravaggio begann die Entwicklung der römischen Barockmalerei.

 

Unbekannte Könner

 

In den üppig vertretenen Werken seiner Generation und ihrer Nachfolger lässt sich verfolgen, wie auf einmal allenthalben scharfe Licht-Schatten-Kontraste aufblitzten. Wie die Malerei sich auch emotional zuspitzte. Und wie eine neue Realitätsnähe in die religiösen und mythologischen Bildwelten einzog. Der halbnackte Bacchus quetscht seinem betrunkenen Zechkumpan die Trauben mit bloßer Hand ins Trinkglas, wie von einem Scheinwerfer beleuchtet.

 

In schönster Caravaggio-Manier steigert auch Giovanni Baglione den Eros männlicher Körper, die er als Vertreter der „Himmlischen und irdischen Liebe“ im Kampf aufeinandertreffen lässt. Im Halbdunkel bleckt ein Teufel die Zähne: Er gleicht Caravaggio – ein fieser Seitenhieb unter Kollegen und Konkurrenten. Giovanni Serodine, Bartolomeo Manfredi oder Tommaso Donini: Viele der Caravaggio-Nachfolger sind hierzulande kaum bekannt. Aber malen können sie, und darauf kommt es an.

 

Rohes Neapel

 

Mit den heftig gesteigerten Hell-Dunkel-Effekten des Frühbarock wurde zugleich der Kampf um den richtigen Glauben ausgetragen. Die Papstkirche rüstete im Zeitalter der Gegenreformation medial auf, um die katholische Linie mit neuer Wucht vorzutragen. Auch das Heilige gewinnt nun eine greifbar körperliche, naturalistische Gestalt. Gewalt wird ausagiert und detailscharf vorgezeigt: Kopf ab, mit Goliath. Tot, der schöne Christus. Den Heiligen Franziskus stützt ein sanft zupackender Engel.

 

Reichlich roh sind die Themen vor allem in Neapel. Die Stadt galt schon damals als Brennpunkt von Armut, Gewalt und Verbrechen. Zwei kurze Caravaggio-Aufenthalte hinterließen ihre Spuren in der örtlichen Malerschule. Mit Jusepe Ribera und Luca Giordano sind deren prominenteste Vertreter in Potsdam zugegen. Ein anonymer Meister hingegen porträtierte einen Fischverkäufer: Mit bloßen Händen zerrt er die Eingeweide aus dem blutigen Fang.

 

Exportschlager Barock

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension "Hommage an Caravaggio 1610 - 2010" - zum 400. Todestag des Malers mit zwei Originalen + Werken der Caravaggisten in der Gemäldegalerie, Berlin

 

und hier ein Beitrag über die Ausstellung "Utrecht, Caravaggio und Europa" - in der Alten Pinakothek, München

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Zurbarán - Meister der Details" - grandiose Werkschau des spanischen Caravaggio im Museum Kunstpalast, Düsseldorf

 

Das Heilige und das Unheilige, das Sinnliche und das Glaubensstrenge treffen auch in den Werken nordalpiner Maler ungebremst aufeinander. Sie reisten in Scharen nach Rom, das als Nabel der Kunstwelt galt, und exportierten Caravaggios Stil in ihre Heimatländer. Vor allem im niederländischen Utrecht, aber auch in Frankreich, in der Ile-de-France entstanden Zentren des Caravaggismus.

 

Hier rückte Simon Vouet nach seiner Romreise zum Hofmaler des Königs und zum Begründer des französischen Barock auf. Er ist mit einem ungewöhnlichen Selbstbildnis vertreten. Die allegorische Gestalt der abgebildeten Malerin, die er den Pinsel führen lässt, trägt die Züge der in Rom geborenen Artemisia Gentileschi. Sie war schon zu Lebzeiten berühmt.

 

Vergewaltigungsszene als Mahnung

 

Dass sie die barocke Inszenierungskunst perfekt beherrschte und auch Caravaggios Lichtschattenführung verinnerlichte, zeigen ihre beiden Gemälde im letzten Raum. Die Malerin spielt hier perfekt auf der Klaviatur der Gefühle. In Blicken und Handgreiflichkeiten spitzt sie die vertrackte Verbindung von Eros und Gewalt dramatisch zu. Geht es bei ihrer „Bathseba im Bade“ nur um Voyeurismus, so werden wir bei „Lukretia und Sextus Tarquinius“ Zeuge einer brutalen Vergewaltigung, die sich quasi auf offener Bühne abspielt.

 

Das Thema hat autobiografische Bezüge, wie die Potsdamer Kunsthistorikerin Franziska Windt betont: Gentileschi selbst war ein Opfer sexualisierter Gewalt geworden. Als Friedrich II. die beiden Gemälde in Italien erwerben ließ, wusste er nicht, dass sie von einer Frau gemalt waren. Er hängte sie seinem Neffen Friedrich Wilhelm II. im Neuen Palais vor die Tür: als Ermahnung für den notorisch untreuen Kronprinzen. Wirkungswege des Barock!