Louis-Julien Petit

Der Glanz der Unsichtbaren

Die Mitarbeiterinnen des Tageszentrums für wohnungslose Frauen Hélène (Noémie Lvovsky) und Audrey (Audrey Lamey) erleben einen der wenigen Triumphe ihrer Arbeit. Foto: © JC Lother. Fotoquelle: Piffl Medien
(Kinostart: 10.10.) Aus dem Zeltlager zurück in die Gesellschaft: Regisseur Louis-Julien Petit porträtiert obdachlose Frauen, die sich um Reintegration bemühen. Berührende Momente sind eingebettet in krachenden Komödien-Dialogwitz und plakative Botschaften.

Obdachlosigkeit und Komödie, geht das überhaupt? In Frankreich auf jeden Fall: Dort bastelt man inzwischen aus jedem noch so abseitigen oder brisanten Thema ein Lustspiel. Ein neues Beispiel für komödiantische Verwurstung randständiger Bevölkerungsgruppen ist „Der Glanz der Unsichtbaren“; der Titel enthält bereits die Kernaussage des Films. Regisseur Louis-Julien Petit nimmt sich derer an, die ansonsten von der Gesellschaft meist übersehen werden.

 

Info

 

Der Glanz der Unsichtbaren

 

Regie: Louis-Julien Petit,

102 Min., Frankreich 2018;

mit: Corinne Masiero, Noémie Lvovsky, Audrey Lamey

 

Website zum Film

 

In diesem Fall sind es wohnungslose Frauen, die sich regelmäßig in einer nordfranzösischen Provinzstadt in der Tagesstätte „L‘ Envol“ (deutsch etwa: „Abflug“ oder „Aufbruch“) einfinden. Sie tarnen sich mit Namen berühmter Geschlechtsgenossinnen wie Lady Di, Brigitte Macron oder Edith Piaf. Jeden Morgen kommen sie hierher für einen warmen Kaffee, zum Duschen oder einfach nur zum Plaudern mit anderen Frauen.

 

Hilfsbereites Frauen-Trio

 

Leiterin Manu (Corinne Masiero) und Sozialarbeiterin Audrey (Audrey Lamy) bemühen sich um ihre Versorgung mit dem Nötigsten – aber auch darum, den oft resignierten Frauen auf die Beine zu helfen, ihnen einen Job oder wenigstens eine feste Unterkunft zu verschaffen. Unterstützt werden sie dabei von Helène (Noemy Lvovski), die als freiwillige Helferin nicht alle strengen Regeln der Einrichtung kennt, dafür aber mit unkonventionellen Ideen und viel Elan dabei ist.

Offizieller Filmtrailer


 

Basislager der „Operation Reintegration“

 

Das erweist sich als Segen, denn die Kommunalbehörden planen, diese Anlaufstelle wegen angeblich mangelnder Effizienz binnen drei Monaten dichtzumachen, obwohl sich die Beschäftigten tagtäglich für ihren Job aufreiben. Diese traurige Aussicht mobilisiert bei den eigentlich von Burn-Out Bedrohten noch einmal sämtliche Energiereserven, die in einen unkonventionellen Plan münden.

 

Sie wollen ihre Schützlinge in einer Art Intensiv-Coaching mit schickem Styling und Gesprächstraining wieder fit machen für ein normales Leben, was bei den wohnungslosen Frauen sehr gut ankommt. Doch das Zeltlager, in dem die meisten von ihnen wohnen, wird von der Stadt geräumt. Kurz entschlossen verwandelt Audrey unerlaubt die Tagesstätte in das Basislager einer „Operation Reintegration“; in dieser Gemeinschaft entwickeln die obdachlosen Frauen trotz aller charakterlichen Unterschiede neue Kräfte.

 

Ein Tag Praktikum als Berufserfahrung

 

Das ist zu schön, um wahr zu sein. Allein durch die gemischte Besetzung aus Schauspiel-Profis und Laiendarstellerinnen hat der Film einige komische und realistische Momente; etwa, wenn die Sozialarbeiterinnen krampfhaft versuchen, lange verschüttete Stärken aus den Frauen herauszukitzeln. Indem sie ihre überschaubaren Berufserfahrungen sehr optimistisch einschätzen: „Ein Tag Praktikum im Immobilienbüro, das ist doch was“.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Rebellinnen - Leg dich nicht mit ihnen an!" - schwarzhumorige Gangster-Groteske von Allan Mauduit mit Audrey Lamy

 

und hier einen Bericht über den Film "Parked – Gestrandet" - eindrucksvolles Kammerspiel über Obdachlose in Irland von Darragh Byrne

 

und hier einen Beitrag über den Film "Ich, Daniel Blake" - packendes Sozialdrama im englischen Prekariat von Ken Loach, prämiert mit der Goldenen Palme in Cannes 2016

 

Unübersehbar orientiert sich Regisseur Louis-Julien Petit an britischen Vorbildern wie „Ganz oder gar nicht“ („The Full Monty“, 1997) von Peter Cattaneo oder dem Werk von Ken Loach, des Altmeisters der Autorenfilm-Sozialkritik. Wie auch dem Prinzip der belgischen Brüder Dardenne, wichtige Nebenrollen mit Laien zu besetzen: in diesem Fall wohnungslosen Frauen, die sehr wohl neben den Profis bestehen können und das eigentliche Pfund des Films sind.

 

Handwerk im Knast gelernt

 

Ihnen sieht man gerne zu, wie sie sehr lebendig reale oder auch erfundene Lebenserfahrungen in die Handlung einbringen. Das sorgt auch für die nötigen ernsten Zwischentöne. Ansonsten ist die Regie stärker auf krachende Dialogwitze und – meist recht gut getimte – Situationskomik hin orientiert; beispielsweise, wenn eine Klientin mit handwerklichen Fähigkeiten bei jeder Gelegenheit darauf hinweist, dass sie das im Gefängnis gelernt habe. Sie will schließlich nicht lügen.

 

Insgesamt variiert der Film einmal mehr das Motiv der Selbstermächtigung von Benachteiligten und feiert die Kraft, die Solidarität und Mitgefühl entfalten können. Auch die Schicksale seiner Figuren berühren, doch sie können nicht über die plakative Botschaft hinwegtrösten. Regisseur Petit will vor allem unterhalten und bemüht dafür auch überdeutliche Symbolik wie „Smiley“-T-Shirts, welche die Frauen als Zeichen ihrer Gemeinschaft tragen, die sich nicht unterkriegen lässt. Doch Obdachlosigkeit und Wohlfühlkomödie passen leider nur auf der Leinwand zusammen.