Berlin

Durch Mauern gehen

Regina Silveira: Intro 2 (Irruption Series), 2019 Digitalbild, Vinylfolien, variable Dimensionen Installationsansicht Durch Mauern gehen, Gropius Bau, Berlin, 2019 Foto: Mathias Völzke, Courtesy: die Künstlerin
Vom Elend der Polit-Kunst: Die Gruppenausstellung im Martin-Gropius-Bau zum 30. Jahrestag des Mauerfalls wirkt so diffus wie beliebig. Doch sie passt zum Programm der neuen Direktorin, die ein Massenpublikum mit Avantgarde-Positionen zwangsbeglücken will.

Walls come tumbling down: Der alte Northern-Soul-Hit (1985) von „The Style Council“ wäre eine passende Erkennungsmelodie für diese Ausstellung. Denn die Kuratoren Sam Bardaouil und Till Fellrath können sich Mauern nur als trennend, spaltend, behindernd und isolierend vorstellen; kurzum: als etwas Schlechtes und Böses. Dass Mauern zuallererst stützend und schützend wirken – ohne sie kommt keine Behausung aus –, ist ihnen wohl entgangen.

 

Info

 

Durch Mauern gehen

 

12.09.2019 - 19.01.2020

täglich außer dienstags

10 bis 19 Uhr

im Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, Berlin

 

Katalog 25 €

 

Weitere Informationen

 

Was am Anlass dieser Ausstellung liegen dürfte: 30 Jahre Mauerfall. Die Brutalität der Berliner Mauer war am Martin-Gropius-Bau besonders offensichtlich: Die Frontseite des Gebäudes lag so nah am Grenzverlauf, dass der Haupteingang kaum zugänglich war – Jahrzehnte lang mussten alle Besucher die Hintertüren benutzen.

 

Doch die Erinnerung an konkrete Sachverhalte wäre viel zu banal für eine Ausstellung, die „den mit Grenzen und Trennungen verbundenen Vorstellungen in einem breiten gedanklichen und geografischen Kontext nachspürt und emotionale, psychologische und physische Bedeutungsschichten offenlegt, die weit über das Augenscheinliche hinausgehen.“

Impressionen der Ausstellung


 

Untaugliche Großmetapher

 

So wolkig und diffus wie der programmatische Anspruch fällt auch das Ergebnis aus: Nirgends wird deutlich, was die 27 Arbeiten von zeitgenössischen Künstlern miteinander verbindet. Außer, dass sie den tristen Zustand der globalen Verhältnisse Anfang des 21. Jahrhunderts beklagen; die Träume nach 1989 vom Ende der Geschichte und einer friedlichen Weltgemeinschaft zerstoben ja rasch. Doch für diesen Befund sind Mauern als Großmetapher nicht nur untauglich, sie werden auch von den meisten Beiträgen schlicht ignoriert.

 

Tauchen tatsächlich Mauern auf, dann in der trivialsten Form. Die 2010 gestorbene Fotografin Sibylle Bergemann wurde zu DDR-Zeiten mit experimentierfreudigen Modefotos bekannt, doch ihre Aufnahmen von Mauerresten kurz vor dem Abbruch sind so trist und leblos wie ihr Gegenstand. Der Mexikaner José Davila hat eine große Marmorplatte mit Spanngurten mitten im Raum aufgestellt, damit die Besucher „mit dem reinen Gewicht des monumentalen Steinstückes konfrontiert werden“ – noch spürbarer wäre es, sänke die Platte auf sie herab.

 

Schallkanone mit Vogelstimmen

 

Der 2017 verstorbene Gustav Metzger baute eine kleine Ecke des „Denkmals für die ermordeten Juden Europas“ südlich des Brandenburger Tors nach. Mit mannshohen Pappschachteln, eher Raumteilern als Mauern – das wahrhaft eindrucksvolle Original ist weniger als einen Kilometer entfernt. Daneben hat Tagreed Darghouth Überwachungs-Kameras schlampig in Öl gepinselt – damit werden heutzutage Mauern oft bestückt. Oder mit einer Schallkanone, die Samson Young im Lichthof des Gropiusbaus installiert hat: Fixiert sie eine Person, lässt sie Vogelstimmen erklingen.

 

In diesem Sammelsurium finden sich auch ein paar überzeugende Werke. Etwa zwei komplexe Ölgemälde des Chinesen Yuan Yuan; sie veranschaulichen plastisch das Gefühl von Klaustrophobie zwischen Zäunen und Gittern wie in engen Hinterhöfen. Oder eine Toninstallation von Smadar Dreyfus: In einem dunklen Raum projiziert sie englische Sätze an die Wand, die zugleich auf Arabisch erklingen. Wie gespenstische Rufe aus dem Jenseits; solche Grüße und Wünsche riefen sich Drusen beiderseits der Grenzlinie auf den Golan-Höhen zu – bis der syrische Bürgerkrieg das verunmöglichte.

 

Neuausrichtung unter Rosenthal

 

Doch die meisten Exponate bebildern nur plakativ oder kryptisch aktuelle Weltprobleme. Etwa Flüchtlinge: Michael Kvium malt Urlauber, die auf Rettungsboote starren, als Mega-Wandbild. Emeka Ogboh lässt die deutsche Nationalhymne in afrikanischen Sprachen nachsingen. Für Javier Téllez führten Asylsuchende in der Schweiz ihre Erlebnisse und Hoffnungen als Schattenspiel auf. Beliebt bei Zuschauern im Kindesalter – und sehr beliebig. Die Kuratoren Bardaouil und Fellrath haben hierzulande schon kenntnisreiche Ausstellungen zu Nahost-Themen inszeniert, etwa dem Nofretete-Motiv oder Surrealismus in Ägypten. Aber zu dieser eher abstrakten Aufgabenstellung haben sie nichts Interessantes beizutragen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "This Place" - facettenreiche Fotoschau über Israel, Palästina und die beide Länder trennende Mauer im Jüdischen Museum Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Point of No Return - Wende und Umbruch in der ostdeutschen Kunst" im Museum der bildenden Künste, Leipzig

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Art et Liberté - Surrealismus in Ägypten (1938-1948)" - erste Überblicksschau zum Thema, kuratiert von Sam Bardaouli + Till Fellrath in der Kunstsammlung NRW, K20, Düsseldorf

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Nofretete - tête-à-tête - Wie Kunst gemacht wird" zur Verwendung altägyptischer Motive, kuratiert von Sam Bardaouli + Till Fellrath im Ägyptischen Museum, München.

 

Das passt zur Neuausrichtung unter Direktorin Stephanie Rosenthal, die im März 2018 ihr Amt antrat. Zuvor hatte der Martin-Gropius-Bau – neben der Bonner Bundeskunsthalle die größte Ausstellungshalle des Bundes und von ihm finanziert – ein Programm geboten, wie man es von einem Haus dieser Größenordnung erwarten darf: opulente Event-Ausstellungen von Archäologie bis Zukunftsperspektiven in Wissenschaft und Technik. Nicht jede war gelungen, aber alle richteten sich an das breite Publikum – und zogen es in Scharen an.

 

Richtungslos und anbiedernd

 

Das hat Rosenthal, engagiert und protegiert vom Intendanten der Berliner Festspiele Thomas Oberender, radikal geändert: Sie will mit missionarischem Eifer kaum bekannte und schwer zugängliche Gegenwartskünstler popularisieren – als sei sie die Leiterin eines Kunstvereins in der Provinz. Also ist nur noch das zu sehen, was ohnehin allerorten in der Stadt gezeigt wird: etwa von den Staatlichen Museen mit mäßigem Zuspruch im Hamburger Bahnhof oder in Dutzenden von kommerziellen Galerien. Damit hat Rosenthal im Nu den Gropiusbau leergefegt. Die derzeit erfolgreichste Ausstellung „Garten der irdischen Freuden“ hatte bislang laut eigenen Angaben knapp 65.000 Besucher in drei Monaten – früher waren es bis zu vier Mal so viele.

 

Zudem wirkt das Repertoire so richtungslos wie anbiedernd. Die Gruppenschau „And Berlin Will Always Need You“ mit vorwiegend ausländischen Künstlern, die ihr Atelier in der Hauptstadt haben, blieb verwaist – sie erschien als Insider-Aktion zur Auftragsbeschaffung und Marktwertsteigerung. Die „Garten“-Schau spekuliert offenbar auf den wachsenden Trend zu Fauna und Flora, dürfte aber viele Betrachter enttäuschen.

 

Ebenso wie die jetzige „Mauern“-Ausstellung all diejenigen, die sich davon künstlerische Anschauung und Aufschluss über die Mauerstadt einst und jetzt erwarten. Man darf gespannt sein, wie lange Kulturstaatsministerin Monika Grütters noch ihre schützende Hand über das Duo Infernale Rosenthal und Oberender hält.