Tamer Jandali

Easy Love

Nic verpasst seiner Freundin eine Intimrasur. Fotoquelle: mindjazz pictures Filmverleih
(Kinostart: 24.10.) Jenseits der monogamen Zweierbeziehung: Vier junge Personen und Paare in Köln experimentieren mit alternativen Modellen von Liebe, Sex und Eifersucht. Regisseur Tamer Jandali dokumentiert ihren amourösen Alltag – offenherzig und authentisch.

Back to the roots: Nachdem es in Liebesdingen in letzter Zeit schlecht für sie lief, zieht die Studentin Sophia wieder bei ihrer Mutter ein. Es wird eng im Frauenhaushalt, denn Sophies Schwestern wohnen auch noch dort. Zudem sorgt ihr Nebenverdienst für Konflikte mit ihrer feministisch gesonnenen Mutter: Sophia lässt sich für Sex bezahlen. Als Prostituierte sieht sie sich nicht; ihre Dates organisiert sie sich ganz selbstbestimmt über eine Online-Plattform.

 

Info

 

Easy Love

 

Regie: Tamer Jandali,

88 Min., Deutschland 2019;

mit: Stella Vivien Dhingra, Niclas Jüngermann,
 Sönke Andersen 

 

Weitere Informationen

 

Der notorische Aufreißer Sönke landet fast jeden Abend im Bett einer anderen Frau. Er steht chronisch unter Strom: Wenn er nicht gerade am Baggern ist, macht er sich mit exzessivem Sport dafür fit. Doch sein nomadischer Lifestyle hat zermürbende Seiten: Er ist derzeit ohne Wohnung und muss sich ‚durchschlafen‘, wenn er nicht auf den Sofas seiner Kumpel landen will. Außerdem gibt es da noch eine Frau, von der er ausnahmsweise mehr will.

 

Kein Ersatz für männermüde Frau

 

Die lesbische Lenny ist gerade zu Pia gezogen; beide wirken schwer verliebt. Doch als klar wird, dass sie Pias erste Geliebte ist, gerät Lenny ins Zweifeln – zu groß ihre Angst, wieder nur Übergangs-Partnerin für eine männermüde Frau zu sein. Offen für Experimente sind dagegen Neo-Hippie Stella und ihr Freund Nic – theoretisch zumindest. Sie wollen einander maximale Freiheit zugestehen. Ihre offene Beziehung bringt allerdings in der Praxis vor allem bei Stella starke Verlustängste zur Erscheinung.

Offizieller Filmtrailer


 

No actors, no script, no fake emotions

 

Soweit diese Versuchsordnungen: Das liest sich, als habe sich ein Drehbuchautor von einer soziologischen Studie über das Sexualverhalten großstädtischer Jungerwachsener inspirieren lassen – und anschließend mit Handlungssträngen aufgepeppt, die man eher im Privatfernsehen vermuten würde. Doch dieser Mix erweist sich auf der Leinwand als kurzweiliger, abwechslungsreicher Einblick in unterschiedliche Lebenswelten.

 

Dieser Film verspricht, es gebe in ihm weder professionelle Schauspieler noch ein Drehbuch oder simulierte Gefühle. Sieben Menschen aus Köln, geboren zwischen den frühen 1980er und späten 1990er Jahren, spielen sich im Regiedebüt von Tamer Jandali selbst. Die Biographien der Akteure sind zwar zum Teil schriftlich festgehalten, beruhen aber auf ihren tatsächlichen Erfahrungen; diesen Genrehybrid bezeichnet der Regisseur als dokumentarischen Spielfilm.

 

Kollision von Ideen + Realität

 

Mehr haben die Hauptfiguren nicht gemeinsam – außer, dass sie allesamt mit dem klassischen Modell einer monogamen, heterosexuellen Partnerschaft mit ein, zwei Kindern (noch) wenig anfangen können. In einem kurzen Prolog beschreiben die Protagonisten, wie sie sich ihre Beziehungen vorstellen; manchmal wird zugleich angedeutet, wie die Realität mit ihren Vorstellungen kollidiert. Die lose Handlung entstand dann im Laufe der Dreharbeiten.

 

Die Kamera folgt den Protagonisten vier Sommermonate lang; trotz der demonstrativen Beiläufigkeit der Inszenierung ist man über weite Strecken gerne dabei. Der Zuschauer darf Mäuschen spielen, wenn sich die Protagonisten durch die Nacht treiben lassen, Freunden ihr Leid klagen, im Badesee planschen oder Sex haben. Man muss aber auch Beziehungsdiskussionen zuhören, die oft genug nirgends hinführen – wie im richtigen Leben.

 

Artifizielle Authentizität

 

Das alles ist meist unterhaltsam, bisweilen aber auch redundant. Weil nicht mit den kinoüblichen Dramaturgien gearbeitet wird, weil Zuspitzungen fehlen und die Lebensentwürfe eher schlaglichtartig angedeutet werden, muss man ständig mitdenken – was sich gelegentlich mit der luftig-leichten Anmutung des Films beißt.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Berlin 4 Lovers" - Doku über Erfahrungen mit Partnersuche via Dating-Apps von Leonie Loretta Scholl

 

und hier eine Besprechung des Films "Liebe Mich!" – charmantes Low-Budget-Beziehungsdrama unter Berliner Twentysomethings von Philipp Eichholtz

 

und hier eine Besprechung des "Violently Happy" – eindrucksvolle Doku über SM-Erotik, Tanz + Körpererfahrungen in der Berliner "Schwelle 7" von Paola Calvo

 

und hier einen Bericht über den Film "Love Steaks" – rasant realistischer Film über Amour-Fou-Jugendliebe von Jakob Lass.

 

Bemerkenswert ist die Offenheit und der Mut der (Selbst)-Darsteller, die keineswegs durchgängig souverän wirken, sondern sich in vielerlei Hinsicht nackig machen. Auf eine Weise, die sie nicht wie im Unterschichtenfernsehen bloßstellt und proletenhaft erscheinen lässt, sondern in einem interessanten Grenzbereich angesiedelt ist: Artifizielle Authentizität könnte man diese Erzählhaltung nennen.

 

Verhandlungsintensive Freiheit

 

Zu Anfang schildert Lemmy ihr Dilemma, das paradigmatisch auch für die anderen Geschichten erscheint: Dass zwar jeder einzelne für seine Zufriedenheit selbst verantwortlich ist, die Verantwortung dafür aber oft auf der Partnerin oder dem Partner abgeladen wird. Und dass ihr oder ihm häufig nicht einmal klar ist, worin die Erwartung überhaupt besteht.

 

Je individualistischer das angestrebte Lebensmodell, umso genauer muss man aushandeln, was man überhaupt voneinander will und welche Grenzen wo gezogen werden. Mehr Möglichkeiten bedeuten eben auch weniger Konsens, der sich einfach voraussetzen ließe, und mehr Ungewissheit. Das veranschaulicht dieser Experimentalfilm auf lebensnahe und sehr persönliche Weise.

 

Theorie vs. Praxis

 

Zugleich geht es um Themen, mit der sich wohl jede Beziehung herumschlägt: etwa um die Reibung zwischen Theorie und Praxis, also dem Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit. So gesehen ist „Easy Love“ trotz seiner Special-Interest-Nische im Kinomarkt ein recht universeller Film über Sex, Liebe und was sonst noch Verwirrung stiftet.