Bong Joon-ho

Parasite

Für kostenloses Internet kriechen Ki-jung (Park So Dam) und ihr Bruder Ki-woo (Choi Woo Shik) in die entlegensten Ecken ihrer Behausung. Foto: Koch Films
(Kinostart: 17.10.) Umverteilung in Südkorea: Eine Arbeitslosen-Sippe nistet sich bei einer reichen Familie ein und reißt sich deren Wohlstand unter den Nagel. Die gallig originelle Satire von Regisseur Bong Joon-ho gewann in Cannes die Goldene Palme.

„Die Menschen sind immer so freundlich, wie sie es sich leisten können“, bemerkt eine Protagonistin in Bong Joon-hos neuem Film „Parasite“. Damit bringt sie diese Satire auf den Punkt; der südkoreanische Regisseur zeichnet das markante Bild einer Gesellschaft im Stellungskrieg. Wie schon in seinen früheren Filmen: Hatte er dafür zuvor Monster- oder Zukunfts-Szenarien gewählt, entfaltet sich diesmal der Horror über weite Strecken fast naturalistisch. Bongs Vision spinnt aktuelle soziale Schräglagen nur ein wenig weiter.

 

Info

 

Parasite

 

Regie: Bong Joon-ho,

132 Min., Süd-Korea 2019;

mit: Choi Woo-shik, Park So-dam, Song Kang-ho, Chang Hyae-jin

 

Weitere Informationen

 

In ruhigen Einstellungen und zurückgenommener Farbigkeit zeigt er eine Gesellschaft, in der abgehängte Arme und schwerreiche Leistungseliten getrennte Welten bewohnen. Beide kommen fast nie miteinander in Berührung. Dennoch gibt es für diejenigen, die unten sind, kaum andere vorstellbare Richtungen als die nach oben – zum Reichtum. Er soll als Allheilmittel alle hässlichen Falten des menschlichen Daseins wegbügeln, heißt es einmal.

 

WLAN-Suche im Wohnkeller

 

Zu den am Arbeitsmarkt Aussortierten, die ganz unten angekommen sind, zählt Familie Kim. Vater Gi-taek (Song Kang-ho), seine Frau Chung-sook (Chang Hyae-jin) sowie die erwachsenen Kinder Ki-Jung (Park So-dam) und ihr Bruder Ki-woo (Choi Woo-shik) fristen ihr Dasein in einem schimmligen Keller voller Gerümpel. Dauernd sind sie auf der Jagd nach Aushilfsjobs oder einem WLAN-Zugang, der ihnen den Anschluss an die übrige Welt ermöglichen soll.

Offizieller Filmtrailer


 

Familienbande kämpft gegen Elend

 

Als ein privilegierter Jugendfreund Ki-woo anbietet, er könne seine Nachhilfeschülerin Da-hye (Jung Ziso) aushilfsweise betreuen, erhält er Zutritt zur Welt der Familie Park; sie ist vom Schicksal begünstigt. Vom ersten Augenblick an setzt er alles daran, das Vertrauen nicht nur seiner neuen Schülerin, sondern ihrer ganzen Familie zu gewinnen. Psychologisch versiert gelingt es ihm nach und nach, die Angehörigen seiner eigenen Sippe in den noblen Haushalt seiner neuen Arbeitgeber einzuschmuggeln.

 

List und Familienzusammenhalt als Waffen im Kampf gegen das Versinken im Elend: Damit erinnert der Siegerfilm beim diesjährigen Festival in Cannes an „Shoplifters – Familienbande“ von Hirokazu Kore-eda, der die Goldene Palme im Vorjahr gewonnen hatte. Andererseits zeigt sich sein koreanischer Kollege Bong ein weiteres Mal als Meister des Genre-Mixes.

 

Gags, Suspense + Blutvergießen

 

Sozialrealistische Momente kombiniert er mit Komödiantischem und Suspense-Szenen, die wie einst bei Alfred Hitchcock genussvoll mit dem Wissensvorsprung des Zuschauers spielen. Zudem kommt auch das Schwelgen im blutigen Exzessen nicht zu kurz; derlei ist spätestens seit den Filmen von Park Chan-wook (etwa „Old Boy“, 2003) ein Markenzeichen des südkoreanischen Kinos.

 

Ähnlich wie bereits im SciFi-Film „Snowpiercer“ (2013), der Verfilmung einer Graphic Novel, zieht Bong auch diesmal wieder alle Register der jeweiligen Genres, ohne dabei den Blick für Zusammenhänge zu verlieren. Jeder Einfall ordnet sich der klaren und zugleich raffiniert doppelbödigen Struktur des Films unter. In „Snowpiercer“ herrschte eine horizontale Ordnung: Rebellen mussten sich vom hinteren Ende eines Zuges nach vorn ins Führerhaus vorkämpfen.

 

Im sozialen Treppenhaus

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Snowpiercer" - SciFi-Drama über eine endlose Zugfahrt im ewigen Eis von Bong Joon-ho

 

und hier eine Besprechung des Films "Shoplifters - Familienbande" - Porträt einer japanischen Prekariats-Familie von Hirokazu Kore-Eda, Gewinner der Goldenen Palme 2018

 

und hier einen Bericht über den Film "On the Beach at Night Alone" - subtiles Drama über Einsamkeit im Showbusiness von Hong Sangsoo, prämiert mit Silbenem Bären 2017

 

und hier einen Beitrag über den Film "Die Taschendiebin - The Handmaiden" - eleganter Erotik-Thriller aus Südkorea von Park Chan-wook.

 

Dagegen benutzt „Parasite“ nun die eingängige vertikale Logik von Oben und Unten. Auf der Leinwand wird das immer wieder durch Treppen repräsentiert – zwischen Stockwerken oder Stadtteilen, die mehr oder weniger prestigeträchtig sind. Erfolg im Kampf um sozialen Status hängt davon ab, ob es gelingt, Raum in begehrten Lagen zu besetzen; für Familie Kim bedeutet das konkret, sich im Anwesen der Parks auf Dauer einzurichten.

 

Was nicht einfach ist: Da tun sich immer wieder Abgründe auf. Doch die Figuren sind vielschichtig genug angelegt, um die Engführung der Fabel als schlichten Gegensatz von Arm gleich Gut gegen Reich gleich Böse zu vermeiden. So klar die Absichten der Charaktere durch ihre Lage und Leiderfahrungen geprägt sind, so sehr unterscheiden sich ihre Handlungen und Haltungen. Bisweilen lässt sich kaum vorausahnen, ob Handgreiflichkeiten bei liebevollem Geplänkel bleiben oder in blanke Gewalt ausarten werden.

 

Sozial bedingte Wetterlage

 

Alle Protagonisten verfügen über unerwartete Trümpfe: die Unterschicht über Zugang zu Wissen und kulturellen Codes, die Oberschicht über einen verfeinerten Geruchssinn, der sie Bedrohungen gleichsam erschnüffeln lässt. Den Geruch von feuchten Kellern und billigen Waschmitteln werden die Kims trotz ihrer Findigkeit einfach nicht los. Selbst das Wetter wird je nach gesellschaftlicher Position verschieden erlebt – als romantisches Ambiente beim Sex auf dem Sofa, oder als lebensbedrohliche Katastrophe, wenn Wohnkeller vom Regen überflutet werden.

 

Dabei ist entscheidend, ob jemand einen Plan hat, um der jeweiligen Misere zu entkommen und nach oben aufzurücken. Werden die Demütigungen allerdings zu unerträglich, gibt es nur noch eins: die vollständige Eskalation, auf die sowieso alles von Beginn an zuläuft – dann kann selbst ein Pfirsich zur tödlichen Waffe werden.