
Das Land auf dem Dach der Welt übt auf viele Westler eine besondere Anziehungskraft aus. Im deutschsprachigen Raum wurde diese Faszination vor allem vom österreichischen Bergsteiger Heinrich Harrer befördert, der im Zweiten Weltkrieg nach Tibet floh; in der Hauptstadt Lhasa freundete er sich als Privatlehrer mit dem jungen Dalai Lama an. Sein Erlebnisbericht „Sieben Jahre in Tibet“ (1952) wie dessen Verfilmung 1997 durch Jean-Jacques Annaud mit Brad Pitt in der Hauptrolle waren Welterfolge.
Info
Magie vom Dach der Welt – Der tibetische Kulturraum im Spiegel der Kunst
20.07.2019 - 10.11.2019
täglich außer montags
10 bis 17 Uhr
im Schaezlerpalais, Maximilianstr. 46, Augsburg
Katalog 24,80 €
3000 Jahre alte Tradition
Gelegenheit, sie kennen zu lernen, bietet nun das Schaezlerpalais in Augsburg – nach der ersten Station der Schau 2018 im Schloss Wernigerode. Rund 100 Exponate decken fast 3000 Jahre ab: von archäologischen Funden bis zu Arbeiten aus jüngster Zeit; die meisten stammen aus dem 19. Jahrhundert. Die Auswahl zeugt von eindrucksvoller Kontinuität in Motivwahl und Formensprache und belegt, wie konstant zugrunde liegende mythologische und religiöse Vorstellungen wirkmächtig waren und sind – seit 60 Jahren werden sie von der Besatzungsmacht systematisch unterdrückt.
Impressionen der Ausstellung
Einstieg mit Reitgarnitur + Münzen
Allerdings fällt die Präsentation der Kostbarkeiten etwas gewöhnungsbedürftig aus: Im Palais-Treppenhaus windet sich ein Spiralband aus Gebetsfahnen bis in den zweiten Stock. Dort empfängt den Besucher eine prunkvolle Reitgarnitur aus dem 15. Jahrhundert, die komplett verziert ist; welche Bedeutung ihre Ornamentik hat, erfährt man jedoch nur aus dem Katalog. Anstelle einer Einführung in Land und Leute folgt dann jedoch eine Abteilung zu „Münzen und Papiergeld im alten Tibet“ – als hätte das in der Subsistenzwirtschaft dieser dünn besiedelten Weltgegend je eine große Rolle gespielt.
Derart rhapsodisch sind auch die weiteren Abschnitte aneinander gereiht: kompetent und detailliert kommentiert, doch das zu ihrem Verständnis nötige Kontextwissen wird kaum oder gar nicht vermittelt. Da bleibt häufig nur Staunen: etwa über die „Thog-lcags“ (sprich: „Thoktschak“), magische Amulette, die nach tibetischem Volksglauben von Göttern und Himmelswesen stammen – manche sollen Eisen aus Meteoriten enthalten. Meist handelt es sich um Metall-Zierplatten, die filigran durchbrochen und reich mit floralen und Tier-Ornamenten geschmückt sind; ihre spirituelle Kraft soll alles Dämonische verjagen.
Nie ohne eigene Tasse unterwegs
Nomadenvölker müssen ihren gesamten Besitz auf Lasttieren transportieren. Daher werden Gebrauchsgegenstände zu Kunstwerken ausgearbeitet, die Wohlstand und sozialen Status ihres Besitzers ausdrücken. Wie die ledernen „‚ba ‚khug“-Börsen in Form einer Axt-Schneide: Verschwenderisch mit Applikationen aus Gold, Silber und Korallen besetzt, dürften sie selbst häufig wertvoller als ihr Inhalt sein.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Indiens Tibet – Tibets Indien" - hervorragende Einführung in Kulturen + Gesellschaften im Westhimalaya im Linden-Museum, Stuttgart
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Buddha – Sammler öffnen ihre Schatzkammern" - exzellente Überblicks-Schau mit Meisterwerken buddhistischer Kunst aus 2.000 Jahren in der Völklinger Hütte, Völklingen
und hier einen Bericht über den Film "Pawo" - opulent schlichtes Doku-Drama über tibetischen Widerstand gegen China von Marvin Litwak
Schnurrbart-Antlitz wehrt Unheil ab
Neben buddhistischer Symbolik taucht im Dekor der Exponate allerorten das so genannte „Kirtimukha“ („Ruhmesgesicht“) auf: Das freundliche Antlitz eines schnurrbärtigen Fabelwesens soll apotropäisch wirken, also den bösen Blick und anderes Unheil abwehren. Dagegen sind andere wichtige Elemente dieser Kultur nur als Fotografie vertreten. Etwa der „Perag“: eine in Westtibet verbreitete Schmuckhaube für Frauen, deren Schleppe überreich mit Türkisen, Edelsteinen und -metallen besetzt ist. Solche kostspieligen Kopftrachten sind zugleich Kapitalanlagen.
Besonders prächtig erscheinen natürlich Schmuckstücke im engeren Sinne, vor allem Armreifen mit Tierkopfenden, Zopfringe und Ohrpflöcke. Noch aufwändiger wurden „ga ‚u“-Amulettbehälter gestaltet: In die mittige Aussparung platzierte man Darstellungen einer Gottheit, meist „tsha-tsha“-Tonfigürchen – ähnlich wie bei einer Monstranz in der katholischen Liturgie.
Monumentales sucht man hier vergebens. Alles bleibt eher kleinräumig und -formatig; seine Schönheit enthüllt sich erst beim genauen Hinsehen. Damit der magische Funke überspringt, bedarf es jedoch der kundigen Erläuterungen im Katalog; die Schau allein leistet das nur ansatzweise.