Stuttgart

Tiepolo – Der beste Maler Venedigs

Giovanni Battista Tiepolo: Rinaldo und Armida im Zaubergarten, um 1752, Öl auf Leinwand, 105 x 140cm, Residenz Würzburg, Filialgalerie der Bayerischen. Fotoquelle: © Staatsgalerie Stuttgart Staatsgemäldesammlungen, Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen © Bayerische Schlösserverwaltung
Giovanni Battista Tiepolo war der wohl bedeutendste Maler des 18. Jahrhunderts – keiner verband Erhabenes und Verspieltes so geschickt wie er. Zum 250. Todestag präsentiert die Staatsgalerie sein Gesamtwerk – ein Fest fürs Auge in delikaten Pastellfarben.

Der Venezianer Giovanni Battista Tiepolo (1696-1770) war der vielleicht größte Malerstar des 18. Jahrhunderts. Kein Format war ihm zu groß, kein Thema zu hochfliegend. Mit seinem Pinsel verwandelte Tiepolo gewaltige Deckenwölbungen in farbenstrahlende Bilderhimmel; dabei verherrlichte er wunschgemäß stets auch den Ruhm seiner fürstlichen Auftraggeber.

 

Info

 

Tiepolo –
Der beste Maler Venedigs

 

11.10.2019 - 02.02.2020

täglich außer montags

10 bis 17 Uhr,

donnerstags bis 20 Uhr

in der Staatsgalerie Stuttgart, Konrad-Adenauer-Str. 30 - 32

 

Katalog 29,90 €

 

Weitere Informationen

 

Das weltgrößte zusammenhängende Deckenfresko schuf er im Auftrag des Würzburger Fürstbischofs für das Treppenhaus in der Residenz. Auf dieses Hauptwerk muss die Stuttgarter Staatsgalerie natürlich verzichten in ihrer Werkschau zum 250. Todestag Tiepolos. Doch mit zahlreichen Leihgaben aus Europa und Übersee gelingt es der klug kuratierten Ausstellung, das gesamte Schaffens-Spektrum des Künstlers auszubreiten.

 

Humor, Ironie + Irritationen

 

Dabei zeigt sich: Tiepolos hinreißend lichte und farbintensive Werke sind auch intellektuell spannend. Wer genau hinschaut, entdeckt Humor und Ironie, stößt auf Irritationseffekte und erstaunlich moderne Seiten des berühmten Altmeisters. Wie sich sein Wirkungsradius bis in den deutschsprachigen Raum, nach England und Spanien ausdehnte, schildert die Ausstellung in lockerer Chronologie. Ein Schmankerl sind die Handzeichnungen: virtuose Talentproben eines geistreichen Künstlers zwischen Barock und Aufklärung.

Videotrailer der Ausstellung; © Staatsgalerie Stuttgart


 

Apelles als dümmlicher Hofkünstler

 

Mit Selbstironie nimmt Tiepolo seinen eigenen Berufsstand in dem frühen Gemälde „Apelles und Campaspe“ unter die Lupe. Das verkappte Selbstbildnis des etwa 30-jährigen Künstlers zeigt den antiken Maler Apelles mit dümmlichem Gesichtsausdruck; er porträtiert gerade die Mätresse Alexanders des Großen. Um sein Modell sehen zu können, muss er sich höchst unbequem über die Schulter umwenden. Der legendäre Apelles erscheint hier als von der Gunst seines Gönners abhängiger Hofkünstler: ein kritisch-ironischer Kommentar Tiepolos auf seine Arbeitsbedingungen. Immer wieder griff Tiepolo gängige Themen aus Mythologie und Religion auf, um sie eigenwillig zu interpretieren.

 

Der im venezianischen Viertel Castello geborene Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns startete seine beispiellose Karriere in der Werkstatt des venezianischen Malers Gregorio Lazzarini. Mit Anfang Zwanzig schrieb er sich in die Fraglia ein, die Künstlergilde Venedigs. Seine Heirat mit Cecilia Guardi brachte den jungen Tiepolo in engste Bindung zu einer der wichtigsten Künstlerdynastien der Serenissima. Schon bald trafen prestigeträchtige Aufträge ein.

 

Brutales Schicksal ohne Effekthascherei

 

Sein erstes großes Projekt für den venezianischen Adel war das Deckengemälde im Palazzo Sandi. Die ausgestellte Entwurfsskizze in Öl muss dem Auftraggeber gefallen haben. Sie verherrlicht die „Allegorie der Beredsamkeit“ – eine Tugend, die der Rechtsanwalt zweifellos auch für sich in Anspruch nahm. Für die Darstellung antiker Götter und Symbolfiguren nutzte Tiepolo gängige allegorische Handbücher. Später ging er mit dem überlieferten Motivfundus der barocken Tradition freier um; aber schon im Frühwerk zeigt er sich als eigensinniger Arrangeur.

 

Dass Tiepolo auch als Maler religiöser Motive gut im Geschäft war, beleuchtet ein eigener Ausstellungsraum. Das brutale Schicksal der Heiligen Agathe schildert ein gewaltiges Altargemälde aus der Berliner Gemäldegalerie mit Feingefühl und ohne Effekthascherei. Nur an wenigen Stellen im Bild blitzt hellrot das Blut; doch auf dem blassen Gesicht Agathes spiegeln sich Schmerz und Erschöpfung. Der Legende nach wurden der Märtyrerin die Brüste abgeschnitten.

 

Verwesungsgeruch unter Pestkranken

 

Befremdlich wirkt das ungerührte Verhalten der bärtigen Männer im Hintergrund: Sie sind reine Beobachter und erwidern unseren Blick. Solche irritierenden Nebenfiguren begegnen einem bei Tiepolo vielfach. Er erzählt nicht einfach überlieferte Geschichten nach, sondern lenkt die Aufmerksamkeit zugleich auf den Akt des Sehens. So schildert der Maler die Auswirkungen einer Pestepidemie auf seinem Altargemälde „Die Hl. Thekla von Este betet für die Pestkranken“ erschütternd realitätsnah: Im Vordergrund zerrt ein Mann sein Kind von der toten Mutter weg, wobei er sich wegen des Verwesungsgeruchs die Nase zuhält.

 

Wie Tiepolo sich seinen scheinbar unerschöpflichen Fundus an Menschentypen, emotionalen Gesten und Bewegungsmotiven erarbeitete, verraten seine lebendigen Zeichnungen. Bildwitz blitzt nicht nur in seinen Karikaturen auf; etwa, wenn er einen beleibten Mann behäbig auf seinem Toilettenstuhl thronen lässt, wobei aus jeder Konturlinie die Spannung und Anspannung dieses Vorgangs spricht.

 

Der Nil als alter Mann

 

Oft zeichnete Tiepolo mit Rötelstift auf blauem Papier und setzte mit weißer Kreide einzelne Lichtreflexe. Die duftige, skizzenhafte Leichtigkeit der Striche, Punkte und Schraffuren rühmten schon Zeitgenossen als typisch venezianisch. In Aktstudien bereitete Tiepolo auch die einzelnen Figuren seiner monumentalen Fresken vor. Während diese Gestalten in den Würzburger Deckengemälden hoch oben schweben, weit entfernt über den Köpfen der Betrachter, sind sie hier in den Vorskizzen aus nächster Nähe zu bewundern.

 

Der Flussgott Nil etwa ist ein schwerfälliger alter Mann. Schilfgras raschelt, Sonnenschirme werden ausgeklappt. Ein Vogel Strauß stürmt höchst naturalistisch übers Skizzenblatt; im Würzburger Fresko gehört er zur Entourage der Personifikation Afrikas. Alle vier damals bekannten Erdteile fasste Tiepolo in seinem vor Fantasie sprühenden, perspektivisch ausgeklügelten Monumentalwerk zusammen; einen Eindruck davon vermittelt in der Staatsgalerie eine verkleinerte Reproduktion an der Decke.

 

Erhaben und verspielt zugleich

 

Innerhalb weniger Monate hatte er 1752/53 den Großauftrag mit Hilfe der Söhne erledigt. Vor dem Treppenhausfresko hatte der Familienbetrieb bereits den „Kaisersaal“ der Residenz mit einer deckenfüllenden „Allegorie auf die Hochzeit Kaiser Friedrichs I. Barbarossa“ ausgemalt. Dazu wird eine detaillierte Ölskizze ausgestellt. Das vorgegebene, komplexe Bildprogramm strafft Tiepolo als versierter Arrangeur resolut, statt es buchstabengetreu umzusetzen; nebenbei erlaubt er sich allerlei Scherze am Rande.

 

Unverblümt poussiert etwa ein greiser Flussgott mit einer nackten Nymphe, während – in der Hauptszene unmittelbar darüber – der Genius des Reiches in aller Würde die kaiserliche Braut in ihrer Staatskutsche empfängt. Tiepolo beherrschte eben beides zugleich: das Erhaben-Festliche und das Heiter-Verspielte. Die herrschende Elite des 18. Jahrhunderte liebte ihn dafür.

 

Grafikkabinett als Herzstück

 

Auch in Stockholm, Dresden und Ludwigsburg riss man sich um den Maler. Doch Tiepolo kehrte 1753 nach Venedig zurück und zeigte wenig Lust, seine Heimat noch einmal zu verlassen. Sogar den spanischen König Karl III. ließ er warten. Erst als die venezianische Regierung Druck machte, brach der Künstler 1761 zu seiner letzten Lebensstation auf; er starb 1770 in Madrid.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Tizian und die Renaissance in Venedig" - farbenprächtige Übersichtsschau im Städel Museum, Frankfurt

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Tintoretto - A star was born" - originelle Retrospektive des Frühwerks des venezianischen Malers im Wallraf-Richartz-Museum, Köln

 

und hier ein Bericht über die Aussetllung "Florenz und seine Maler - Von Giotto bis Leonardo da Vinci" - exzellenter Epochen-Überblick in der Alten Pinakothek, München.

 

Dass der Schnell- und Vielmaler Tiepolo neben seinen offiziellen Großprojekten auch noch Zeit und Ideen für Grafik fand, zeigt ein eigener Raum. Das reich bestückte Kabinett ist kein Nebenschauplatz, wie sonst oft in Altmeister-Ausstellungen, sondern bildet quasi das Herzstück des Ganzen; daher wurde es mitten im Zentrum des Parcours platziert. In Radierungen spielte der Künstler seinen ganzen Erfindungsreichtum aus.

 

Landschaft als Seelenspiegel

 

Er nutzte das kleine und private Medium als Spielplatz für freie Improvisation; das erlaubte die Gattung des „Capriccio“ – wörtlich „Laune“ oder „Einfall“. Hierin konnten sich Künstler abseits akademischer Regeln und Konventionen entfalten. Langbärtige Magier, Ziegen und Eulen treten auf, Rauch steigt von antike Opferaltären empor, Tierschädel liegen herum. Geheimnisvolle Rituale deuten sich an. Aber was soll das alles? Tiepolo spielt mit Vieldeutigem, gibt Rätsel auf, lässt den Betrachter im Ungewissen.

 

So greift er das Bibelthema der „Ruhe der Heiligen Familie auf der Flucht nach Ägypten“ in seiner letzten Schaffensphase mehrfach auf. Vielleicht fand er im Madrider Exil darin auch seine persönlich Lage wieder. Auf einem kleinformatigen Gemälde lässt er Maria, Josef, Christuskind und Esel am Ufer eines unüberwindlichen Wasserlaufs kauern. Hinüber führt kein Steg, die schroff abweisende Gebirgslandschaft wirkt lebensfeindlich, die Atmosphäre bedrohlich. Landschaft wird so zum Stimmungsträger, zum Spiegel der seelischen Verfassung. Mit diesem künstlerischen Konzept, das auf die kommende Romantik verweist, löste sich der betagte Tiepolo endgültig aus der barocken Bildtradition.