Markus Schleinzer

Angelo

Angelo (Makita Samba). Foto: © Grandfilm
(Kinostart: 28.11.) Als Hofmohr durch halb Europa: Regisseur Markus Schleinzer erinnert an Angelo Soliman, der im 18. Jahrhundert unter Monarchen herumgereicht wurde – mit einer komplexen und ästhetisch ausgefeilten Reflexion über die Wurzeln von Rassismus.

Höfisches Casting um 1730: In einem kargen Raum steht eine Reihe farbiger Jungen vor einer weißen, adligen Frau, die einen von ihnen aussucht. Der Auserwählte wird auf den Namen Angelo – der erste Botschafter Gottes – getauft und erhält eine umfassende Bildung. Nach dem Willen der Comtesse (Alba Rohrwacher) soll er fortan ein leuchtendes Beispiel dafür sein, dass aus ‚Negern‘ Menschen werden können: „Du wirst das Leben eines Prinzen führen“, prophezeit sie ihm – doch sie wird ihren Schützling stets emotional auf Distanz halten.

 

Info

 

Angelo

 

Regie: Markus Schleinzer,

111 Min., Österreich/ Luxemburg 2018;

mit: Makita Samba, Alba Rohrwacher, Larisa Faber

 

Weitere Informationen

 

Jahre später wird Angelo (Makita Samba) als so genannter Hofmohr von Herrn zu Herrn weitergereicht; schließlich landet er beim Kaiser (Lukas Miko) in Wien. Prächtig ausstaffiert dient er dem Hofstaat als exotische Zierde und unterhält ihn bei Theater-Aufführungen mit erfundenen Schauergeschichten aus Afrika. Der Monarch liebt es, philosophische Selbstgespräche im Beisein seines Dieners zu führen, der sich dabei sichtlich beklommen fühlt.

 

Identität aus Märchensprüchen

 

Die wirklichen Bedürfnisse seines Untergebenen interessieren den Kaiser natürlich nicht. Aber als nett gemeinte Geste wird Angelo eines Tages mitten aus einem Kartenspiel bei Hofe gerissen und zu einem anderen Farbigen geführt, der in der Menagerie arbeitet, um sich mit diesem „aussprechen“ zu können. Da sitzen nun zwei Männer, die nichts gemeinsam haben außer ihrer Hautfarbe und schweigen sich betreten an. Diese innere Heimatlosigkeit fasst Angelo an anderer Stelle diplomatisch in Worte: Er sei ein „Sohn Afrikas und Mann Europas“; im Grunde gehört er nirgends hin.

 

Später gelingt es Angelo, sich aus der Abhängigkeit seines Besitzers zu befreien und eine eigene Familie zu gründen. Seine Frau Magdalena (Larisa Faber) ist der erste Mensch, der ihn nach seinem wahren Selbst fragt. Aber wie soll jemand eine tragfähige Identität entwickeln, der sein Leben lang Projektionsfläche für die Ängste und Sehnsüchte seiner Mitmenschen war? Als Antwort stammelt der junge Mann nur die auswendig gelernten Märchen über seine Herkunft.

Offizieller Filmtrailer


 

Aus Westafrika nach Europa verschleppt

 

Dieser Film beruht auf den nachgelassenen Fragmenten von Angelo Soliman (um 1721-1796); er wurde als Kind aus Westafrika nach Europa verschleppt und brachte es als Kammerdiener, Prinzenerzieher und Freimaurer in Wien zu großer Bekanntheit. Regisseur Markus Schleinzer macht daraus allerdings kein Biopic im geläufigen Sinne, das darzustellen vorgibt, wer Soliman eigentlich war. Ohnehin gibt es nur wenige gesicherte Fakten über sein Leben.

 

Anstelle einer biografischen Nacherzählung auf dünner Grundlage wählt Schleinzer, dessen Debütfilm „Michael“ über einen entführten und eingekerkerten Jungen 2011 im Wettbewerb von Cannes lief, einen ganz anderen Ansatz. Sein Film ist in erster Linie eine komplexe Reflektion über lebenslange Fremdheit und die Wurzeln des europäischen Rassismus, die bis in die heutige Zeit nachwirken – inhaltlich und ästhetisch radikal umgesetzt.

 

Über ihn sprechen, nicht mit ihm

 

Dafür genügen dem Filmemacher reduzierte Mittel aus dem Repertoire des Sprechtheaters. Sein Kammerspiel kommt mit wenig Text aus, die Hauptfigur sagt kaum ein Wort. Man spricht über Angelo, nicht mit ihm. Die höfische Welt mit ihren genau festgeschriebenen Ritualen bot kaum Raum für entspanntes menschliches Miteinander auf Augenhöhe. Stattdessen waren die Menschen eingeschlossen in ihren starren sozialen Rollen, einschließlich der Kaiser selbst.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Monsieur Chocolat" - Biopic über den ersten schwarzen Clown mit Omar Sy von Roschdy Zem

 

und hier einen Bericht über den Film "Heute bin ich Samba" - beschwingte Tragikomödie über einen schwarzen illegalen Einwanderer in Frankreich von Olivier Nakache + Eric Toledano mit Charlotte Gainsbourg + Omar Sy

 

und hier eine Besprechung des Films "Dido Elizabeth Belle" - Biopic einer schwarzen Aristokratin im England des 18. Jahrhunderts von Amma Asante mit Emily Watson.

 

Wo Worte fehlen, sagen Blicke und Gesten umso mehr. „Angelo“ ist ein herausragendes Beispiel dafür, wie visuelles Erzählen beeindruckend funktionieren kann; aufgenommen im leicht antiquiert wirkenden 4:3 Format. Jede Szene ist präzise arrangiert und auf den Punkt gespielt: Mit wenigen Einstellungen vermittelt sich eine ganze Welt.

 

Keine Geschichts-Simulation

 

Das 18. Jahrhundert scheint auf der Leinwand zum Greifen nah – paradoxerweise gerade wegen der artifiziellen Machart des Filmes. Dabei versucht Regisseur Schleinzer gar nicht erst, die üblichen Simulationen von Geschichte im Historienkino nachzustellen; er vermeidet jegliche lehrbuchhafte Didaktik und optische Überwältigung. Das ist schlichtweg erfrischend.

 

Die chronologische, aber ausgesprochen fragmentarische Erzählweise setzt auf aufmerksame Zuschauer, die trotz vieler Auslassungen die einzelnen Puzzleteile von Angelos Leben im Kopf zusammensetzen. Das gelingt wegen der bis ins Detail ausgefeilten Szenen-Arrangements und einer großartigen Ensemble-Leistung um die Hauptdarsteller Makita Samba und Alba Rohrwacher.

 

Der letzte Akt dieses ungewöhnlichen Lebens findet erst nach Angelos Tod statt – rund 20 Minuten vor Filmende. Er erschüttert in seiner Absurdität und  Grausamkeit. Leider ist er keine Erfindung, sondern verbürgte historische Realität.