Stellan Skarsgård

Pferde stehlen

Trond (Stellan Skarsgård) hackt Holz vor seinem Haus. Foto: MFA+ FilmDistribution e.K.
(Kinostart: 21.11.) Flashback ins Jugendtrauma: Regisseur Hans Petter Moland reißt in seiner Bestsellerverfilmung große Themen an und holt aus der komplexen Vorlage tatsächlich viel heraus. Bisweilen führt seine Werktreue jedoch zur Überfrachtung.

Sie kennen und schätzen sich: Bei der Romanadaption „Pferde stehlen“ arbeiten der norwegische Regisseur Hans Petter Moland und der schwedische Schauspieler Stellan Skarsgård bereits zum fünften Mal zusammen. Ihr letzter Film, die rabenschwarze Gangsterkomödie „Einer nach dem anderen“ (2014), stand mit seiner absurden Eskalations-Spirale allerdings im deutlichem Kontrast zu diesem grüblerischen Drama, das auf Per Pettersons gleichnamigem Bestseller von 2006 basiert.

 

Info

 

Pferde stehlen

 

Regie: Hans Petter Moland,

122 Min., Norwegen/ Schweden/ Dänemark 2019;

mit: Stellan Skarsgård, Bjørn Floberg, Tobias Santelmann

 

Weitere Informationen

 

Erschütterndes ereignet sich auch hier zuhauf. Zunächst dominiert jedoch ein Gefühl von Resignation. Nach dem Tod seiner Ehefrau will Trond (Stellan Skarsgård) von der Welt nichts mehr wissen und zieht sich in die Einöde Norwegens zurück. Gleichgültig blickt er dem anstehenden Jahrtausendwechsel entgegen. Doch dann reißt ihn eine Begegnung mit seinem Nachbarn Lars (Bjørn Floberg) aus seiner Lethargie.

 

Zurück ins Jahr 1948

 

In dem alten Mann erkennt der Einsiedler den Bruder seines Jugendfreundes Jon (Sjur Vatne Brean) wieder. Fortan denkt er immer häufiger an die Ereignisse des Sommers 1948. Im Teenager-Alter half Trond (einprägsam: Jon Ranes) seinem Vater (Tobias Santelmann) in der Wildnis beim Holzfällen und wurde Zeuge einer Tragödie – was nur der Auftakt für weitere verstörende Erlebnisse sein sollte.

Offizieller Filmtrailer


 

Erinnerung setzt Kräfte frei

 

Eine ständig zwischen den Zeitebenen wechselnde Romanvorlage ist nicht leicht auf die große Leinwand übertragbar. Die steten Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit bewerkstelligt der Regisseur, der auch das Drehbuch schrieb, zwar recht ordentlich. Doch auf das beliebte Mittel des einordnenden Voice-Overs hätte Moland oft besser verzichtet; bisweilen wirken diese über den Bildern liegenden Erklärungen einfach bequem und einfallslos.

 

Die Frage nach der Kraft der Erinnerungen, die bei Petterson eine zentrale Rolle spielt, nimmt auch in der Verfilmung viel Raum ein. Wie prägen Geschehnisse den Lebensweg eines Menschen? Was setzt ein unerwarteter Rückblick frei? Und wie begegnet man den dabei aufkommenden Gefühlen?

 

Ton bereichert Bildebene

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Rückkehr nach Montauk" - beeindruckende Verfilmung des Liebesdramas von Martin Walser mit Stellan Skarsgård von Volker Schlöndorff

 

und hier einen Bericht über den Film "Das Mädchen aus dem Norden" - berührendes Porträt einer schwedischen Sami-Frau von Amanda Kernell

 

und hier einen Beitrag über den Film "Was werden die Leute sagen" - norwegisches Melodram über Einwanderer aus Pakistan von Iram Haq.

 

Große Themen werden hier behandelt: Die erste Liebe, ein ambivalentes Vater-Sohn-Verhältnis, das Grauen des Zweiten Weltkriegs. Der inhaltliche Reichtum des Romans scheint in Molands Film durchaus durch. Einige Passagen fühlen sich jedoch arg gehetzt an, insbesondere ein Ausflug in die Nazi-Ära. Dementsprechend leicht verpufft ihre Wirkung.

 

Gleichzeitig überrascht „Pferde stehlen“ mit spannungsgeladenen, mysteriösen und ergreifenden Szenen: etwa der unbeabsichtigten Ermordung eines Kindes oder einem Unterwasser-Albtraum. Reizvoll ist bisweilen auch das Zusammenspiel von Bild und Ton. Imposante, fast unwirklich anmutende Landschaftsaufnahmen treffen auf ein bemerkenswertes Sounddesign.

 

Sparsame Mimik, große Wirkung

 

Durch die Überhöhung von Umgebungsgeräuschen steigert Moland die Intensität. In Verbindung mit Impressionen in Zeitlupe wird der flirrend-subjektive, leicht entrückte Charakter von Erinnerungen wirklich spürbar. Selbst wenn nicht jeder Aspekt überzeugend zu Ende gedacht ist, entfaltet dieses Drama eine eigenwillige Anziehungskraft.

 

Das ist nicht zuletzt dem Hauptdarsteller Stellan Skarsgård zu verdanken. Der legt mit seiner sparsamen Mimik ganze Seelenlandschaften offen. Tronds Trauer und seine Müdigkeit sind mit Händen zu greifen, ohne dass er dafür große Gesten braucht. Der schwedische Charakterkopf ist das Herz des Films – obwohl seine Figur aufgrund der vielen Rückblenden gar nicht so häufig zu sehen ist.