Seamus Murphy ist ein großartiger Fotograf. Er weiß intuitiv, was man weglassen und abschneiden kann, wie man die Perspektive verschieben oder kippen muss, um einem Bild die richtige Spannung zu verleihen. Seine Qualitäten stellt Murphy auch dann unter Beweis, wenn er nicht mit Fotoapparat und Stativ agiert, sondern mit einer wackeligen Filmkamera, spontan aus der Hüfte oder einem fahrenden Auto heraus. Einige seiner Reportagereisen in den letzten Jahre unternahm Murphy gemeinsam mit Polly Jean Harvey, der Grande Dame der britischen Alternativ-Rockmusik.
Info
PJ Harvey –
A Dog called Money
Regie: Seamus Murphy,
90 Min., Irland/ Großbritannien 2019;
mit: PJ Harvey
Nur ein Bilderbuch zum Album
Der wirbt zwar schon im Titel mit Harvey, kommt aber erst dreieinhalb Jahre nach Veröffentlichung des Albums in die Kinos. Am ehesten lässt sich „PJ Harvey – A Dog Called Money“ als nachgereichtes Bilderbuch zur Entstehung des Albums verstehen, das etwa als DVD einer Vinyl-Deluxe-Version beiliegen könnte; obwohl man dann nicht allzu viel erwarten würde. Vielleicht liegt die Verzögerung einfach an schlechtem Timing – oder das Material soll noch einmal kommerziell ausgeschlachtet werden.
Offizieller Filmtrailer
Ernüchternd langweilige Einblicke
Der Film zeigt, wie PJ Harvey unterwegs ihre Eindrücke notiert, die teilweise eins zu eins zu Songtexten werden und beinahe ein neues Genre begründen: den Dokumentar-Blues. Außerdem sucht sie Inspiration bei traditionellen Musikern; immer wieder auch bei religiösen Zeremonien. Im zweiten Schritt wird das gesammelte Material in London zu Songs geformt, in einem eigens dafür eingerichteten Studio im „Somerset House“. In diesem klassizistischen Palast, der auch als Museum dient, durften zahlende Besucher die Aufnahmen durch ein Fenster beobachten.
Murphy dokumentiert jeden dieser Schritte und montiert aus seinen Aufnahmen eine assoziative Collage. Dabei kann man ihm zugute halten, dass er auch im Tonstudio seine Reporterpflicht tut. Das Geschehen dort wird nicht etwa glamourös in Szene gesetzt, sondern in seiner ganzen ernüchternden Langeweile eingefangen.
Starke Szenen ohne Kontext
In Murphys Bildern aus Afghanistan entdeckt man oft, manchmal erst auf den zweiten Blick, ein zusammengekauertes Häuflein Mensch in der Einöde. Was wie ein Fremdkörper wirkt, ist PJ Harvey, die in ihrer Daunenjacke fast verschwindet. In den Bergen des Kosovo trottet sie der Prozession zur Beschneidung zweier Jungen hinterher. Danach drückt sie in Washington neben religiös verzückten Afroamerikanerinnen die Kirchenbank und lächelt verlegen, wenn Teenager in Anacostia, einem ärmlichen Viertel der Stadt, Musik hören und ins Mikrofon rappen: „Sex, sex, sex, money, sex.“
Zwischendurch springt der Film unvermittelt zu den EU-Grenzzäunen zwischen Nordmazedonien und Griechenland, wo Murphy ohne Harvey unterwegs war. Es gibt zudem Impressionen aus dem letzten US-Wahlkampf: Trump-Unterstützer, die lautstark nach einer Mauer im Süden der USA rufen. Warum? Das weiß Murphy allein. Er hat ein Gespür für starke Szenen und ist ein guter Beobachter. Aber Kontext und Kommentar sind nicht seine Stärken: Er scheint irgendwie suggerieren zu wollen, dass alles mit allem zusammenhängt. Dabei geht er offenbar davon aus, dass durch seine Aufnahmen sonnenklar wird, wie und warum alles ist, wie es ist. Dem ist aber nicht so.
In den Trümmern anderer Leute
Hintergrund
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und hier einen Beitrag über den Film "Django – Ein Leben für die Musik" - über die Jazzlegende Django Reinhardt von Étienne Comar.
Eine der ersten Einstellungen zeigt einen Kinosaal in Trümmern. Harvey berichtet aus dem Off, dass man früher den Eintritt mit Patronen bezahlen konnte; so habe man es ihr zumindest erzählt. „A Dog Called Money“ zeigt etwas sehr Banales: eine Künstlerin und Touristin auf der Suche nach echten Erfahrungen und Authentizität. Bevorzugt ist sie in den Trümmern anderer Leute unterwegs: in geplünderten Häuserruinen oder zerbombten Kirchen. Schließlich kann sie die schnell und bequem wieder verlassen.
Frustrierend trotz visueller Kraft
Eine einzige Person wird näher vorgestellt: Paunie, eine androgyne Straßenrapperin aus Anacostia. Ihr gehört der Hund namens „Money“, der im Filmtitel auftaucht. Alle anderen Akteure bekommen keine Namen, geschweige denn eine Geschichte. Sie sind Statisten in der diffusen Inspirationsroutine einer global erfolgreichen Musikerin, die offenbar ihr politisches Bewusstsein unter Beweis stellen muss. Der Junge, der in Kabul sein verdrecktes Gesicht von außen an die Autoscheibe presst, soll trotzdem draußen bleiben.
Die visuelle Kraft von Murphys Bildern wiegt einiges von dem auf, was an diesem Film so frustrierend ist. Aber reicht das? Letztlich ist „A Dog Called Money“ nicht nur ein ziemlich schwacher Dokumentarfilm über eine Musikerin und den Entstehungsprozess ihres letzten Albums – er ist ein Elendsporno.