Ewan McGregor + Rebecca Ferguson

Stephen Kings Doctor Sleeps Erwachen

Danny Torrance (Ewan McGregor). Fotoquelle: © 2019 Warner Bros. Entertainment Inc.,Photo Credit: Jessica Miglio
(Kinostart: 21.11.) Spagat zwischen Stanley Kubrick und Stephen King: Regisseur Mike Flanagan adaptiert das Sequel des Grusel-Klassikers "Shining“ mit viel Sinn für Atmosphäre – schafft es aber nicht, aus dem Schatten seines Vorgängers zu treten.

Romanverfilmungen, zumal von Bestsellern, sind eine knifflige Angelegenheit. Soll man sich den Fans zuliebe sklavisch an die Vorlage halten? Oder aber das Ursprungsmaterial als Ausgangspunkt für eine eigene Vision benutzen? Regielegende Stanley Kubrick tendierte zu Letzterem, als er Stephen Kings Roman „Shining“ (1977) verfilmte. Längst gilt der Film von 1980 als Meilenstein des Horrorgenres; nach Erscheinen löste er zunächst jedoch gemischte Reaktionen aus. King selbst zeigte sich enttäuscht über Kubricks Leinwandadaption.

 

Info

 

Stephen Kings Doctor Sleeps Erwachen

 

Regie: Mike Flanagan,

151 Min., USA/ Großbritannien 2019;

mit: Ewan McGregor, Rebecca Ferguson, Kyliegh Curran

 

Website zum Film

 

In seinen Augen hatte sich der Filmemacher zu sehr von den Figuren im Roman und den dort verhandelten Themen entfernt. Vermutlich beeinflusste die Unzufriedenheit auch seinen Nachfolgeroman „Doctor Sleep“ (2013). Dieser Fortsetzung nahm sich nun der horrorerprobte Regisseur Mike Flanagan an; er hat sich unter anderem mit der Netflix-Serie „Spuk in Hill House“ einen Namen gemacht. Bei dem „Shining“-Sequel nimmt er nun eine vermittelnde Rolle ein. Einerseits versucht er, der Romanvorlage treu zu bleiben. Andererseits baut er bewusst auf Kubricks Interpretation auf und stellt sogar ikonische Szenen aus dem Klassiker nach.

 

Zurück ins gruselige Berghotel

 

Horrorfans dürften die Ohren spitzen, wenn gleich zu Anfang die unheilschwangeren Klänge aus dem „Shining“-Auftakt ertönen. Gleichzeitig nähert sich die Kamera aus der Vogelperspektive einem Waldstück und weckt Erinnerungen an das geisterhaft fliegende Auge, das Kubricks Angsttrip einläutete. Noch konkreter werden die Bezüge mit dem Auftreten von Danny Torrance (Roger Dale Floyd). Mit seiner Mutter Wendy (Alex Essoe) konnte der kleine Junge seinerzeit aus dem von unheimlichen Mächten beherrschten Berghotel und vor seinem wahnsinnig gewordenen Vater fliehen.

Offizieller Filmtrailer


 

Ein Netz von Bezügen

 

Im Jahr 1980 sind die beiden in Florida gelandet, weit weg von den Rocky Mountains – und versuchen, zur Ruhe zu kommen. Die Ereignisse aus der verschneiten Herberge lassen Danny aber nicht los; zudem verfügt das Kind über eine seherische Gabe, die es ihm nicht leicht macht. In akribisch ausgestatteten Rückblenden, die das berüchtigte Overlook-Hotel zu neuem Leben erwecken, knüpft Flanagan an die Schreckensszenarien von damals an.

 

Nach einem Zeitsprung ins Jahr 2011 drosselt der Regisseur sein Spiel mit den Kubrick-Referenzen. Abgewrackt, versoffen und aggressiv ist hier ein erwachsener Danny (Ewan McGregor) zu sehen, der sein Leben offenkundig nicht in den Griff bekommen hat. Flanagan, der auch das Drehbuch schrieb, nimmt sich bemerkenswert viel Zeit, um seine Figuren vorzustellen und Bezüge zu früher zu knüpfen. Dan, wie sich Torrance inzwischen nennt, glaubt, seinem alkoholabhängigen Vater immer ähnlicher zu werden.

 

Menschendämpfe gegens Altern

 

Nur langsam begreift er, dass er seine telepathischen Fähigkeiten, besagtes Shining, auch sinnvoll einsetzen kann. Er lernt den hilfsbereiten Billy Freeman (Cliff Curtis) kennen, der ihn in eine Selbsthilfegruppe integriert. Zudem findet er Arbeit in einem Hospiz und kann dort seine Gabe nutzen, um Menschen die Angst vor dem Tod zu nehmen. Dadurch erhält er den Spitznamen Doctor Sleep.

 

Hintergrund

 

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Richtig ins Rollen kommt die Geschichte erst Jahre später, als Dan von Abra Stone (Kyliegh Curran) kontaktiert wird; sie verfügt ebenfalls über eine übernatürliche Begabung. Zufällig ist das Mädchen Zeuge von Ritualmorden einer Sekte geworden, die systematisch Kinder mit Shining-Veranlagung tötet. Anführerin Rose the Hat (Rebecca Ferguson) und ihre Handlanger saugen die Dämpfe ein, die bei diesen grausamen Zeremonien freigesetzt werden, um so ihr eigenes Älterwerden aufzuhalten. Abra will die Mörder stoppen und bittet Dan um Hilfe. Der erteilt ihr zunächst eine Abfuhr.

 

Ambivalente Zitierfreude

 

In der umfangreichen Schilderung der Ausgangssituation beleuchtet Flanagan zentrale Themen aus Kings Vorlage, den Alkoholmissbrauch etwa oder die schmerzhaften Seiten der Shining-Gabe. Dabei lässt er mehr Sorgfalt walten, als man es aus dem Horrorgenre gewöhnt ist – auch wenn manchmal etwas Potential der Vorlage verschenkt wird. Doch immerhin setzen die Macher des Films auf eine Atmosphäre der Beklemmung statt auf platte Buh-Effekte. Zur unheimlichen Stimmung trägt unter anderem die suggestive Kameraführung von Michael Fimognari bei.

 

Leider sackt die Spannungskurve ab, als Dan und Abra sich dann doch zusammentun. Ihre Entscheidungen und auch die ihrer Gegenspieler wirken überhastet und unmotiviert. Im letzten Akt beweist Flanagan dann aber doch noch einmal, dass er souverän echtes Schaudern heraufbeschwören kann. Der hier wieder deutlicher spürbare Einfluss des Kubrick-Films entpuppt sich allerdings als zweischneidiges Schwert.

 

Nur ein zahmer Bruder

 

Zwar funktioniert Flanagans Spagat zwischen einer werktreuen Adaption der Vorlage und dem Anknüpfen an den Klassiker „Shining“ weitgehend; einige Referenzen sind jedoch allzu offenbar seiner Begeisterung für das Original geschuldet. Nicht zuletzt macht „Doctor Sleeps Erwachen“ bewusst, weshalb „Shining“ als Meisterwerk gefeiert wird. Mit seinen schaurig-schönen Bildern, den markerschütternden Tönen und seinen Tour-de-Force-Darbietungen gräbt sich Kubricks Abstieg in den Wahnsinn tief in die Eingeweide ein. Flanagans Regiearbeit wirkt daneben wie ein zahmer kleiner Bruder.