
Im turbulenten Kinogeschäft gab es bislang eine Gewissheit: Jedes Jahr kommt ein neuer Film von Woody Allen ins Kino. 2018 klafft jedoch ein Loch in der ansonsten lückenlosen Werkliste des New Yorker Regisseurs. Nach dem Aufkommen der #MeToo-Bewegung wurde er plötzlich wieder mit alten Missbrauchsvorwürfen konfrontiert, an denen sich lange Zeit niemand in der Branche gestört hatte. 1992 – so behauptet seine Adoptivtochter Dylan Farrow – sei es zu einem sexuellen Übergriff gekommen; doch die Staatsanwaltschaft verzichtete auf die Einleitung eines Verfahrens.
Info
A Rainy Day in New York
Regie: Woody Allen,
95 Min., USA 2019;
mit: Timothée Chalamet, Elle Fanning, Selena Gomez
Schauspieler distanzieren sich
Etwas heuchlerisch wirkt auch das Verhalten einiger Darsteller: Nach den Dreharbeiten distanzierten sie sich unversehens von Allen und spendeten ihre Gagen öffentlichkeitswirksam für gute Zwecke. Für ihren Gesinnungswandel scheint das durch die #MeToo-Bewegung veränderte Meinungsklima maßgeblich gewesen zu sein.
offizieller Filmtrailer
Jung-Dandy begleitet Jung-Journalistin
Diese Begleitumstände kann man in einer Besprechung von „A Rainy Day in New York“ schon deshalb nicht ausblenden, weil Woody Allen mit diesem Film die Kontroversen auf geradezu provokante Weise selbst befeuert. Das von ihm entworfene Frauenbild wirkt wie ein schlechter Scherz, ist aber offenbar völlig ernst gemeint.
Wie so oft in seinen Filmen steht im Zentrum ein grübelnder, nostalgischer Intellektueller. In diesem Fall ist es der desinteressiert vor sich hin studierende Jung-Dandy Gatsby (Timothée Chalamet). Er begleitet seine Freundin Ashleigh (Elle Fanning) nach New York, wo sie einen bekannten Regisseur (Liev Schreiber) für die Zeitung ihres Colleges interviewen soll. Gatsby plant ein romantisches Wochenende, ist aber erst einmal auf sich gestellt. Denn Ashleigh lässt sich nach ihrer Unterredung mit dem von Selbstzweifeln geplagten Filmkünstler von einer unverhofften Begegnung zur nächsten treiben.
Fan-Girl lässt sich von Promis blenden
Gatsby, der als Allens Alter Ego auftritt, darf zumindest gelegentlich etwas Geistreiches einwerfen und einige hochkulturelle Anspielungen zum Besten geben. Ashleigh hingegen wird von Anfang an als naive, rehäugige Landpomeranze gezeichnet. Ihre Ausstrahlung soll betörend auf ihre Gesprächspartner wirken, kommt aber nie wirklich zur Entfaltung. Immer wieder gibt es hochnotpeinliche Momente, in denen ihr hyperventilierendes, aufgekratztes Wesen für dumme Witze herhalten muss.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Wonder Wheel" - Tragikomödie im New Yorker Vergnügungspark Coney Island von Woody Allen
und hier einen Bericht über den Film "Café Society" - romantische Komödie über Hollywood + Jazz-Clubs der 1930er Jahre von Woody Allen
und hier ein Beitrag über den Film "Magic in the Moonlight"- 1920er-Jahre-Komödie von Woody Allen mit Colin Firth + Emma Stone
und hier einen Beitrag über den Film "Mary Shelley" - schillerndes Biopic über die Frankenstein-Autorin von Haifaa Al Mansour mit Elle Fanning.
Bitte mit Filmemachen aufhören
Die nostalgisch gefärbten Filmbilder von Manhattan mögen noch so nett anzuschauen sein, und das Ensemble kann sich noch so sehr um Authentizität bemühen: Der Funke will einfach nicht überspringen. Schon die letzten Filme von Allen waren belanglos überraschungsarme Boulevardstorys; nun erreicht er einen kreativen Tiefpunkt. Nichtssagende Episoden treffen auf die denkbar größten Klischees und mit dem dramaturgischen Holzhammer vorbereitete Wendungen.
Emotionale Anteilnahme an den Irrungen und Wirrungen der Protagonisten lässt sich auf diese Weise nicht erzeugen. Die Filmfigur des mit sich hadernden Star-Regisseurs könnte man glatt als Selbstbeschreibung von Allen auffassen; er steckt schon seit einigen Jahren in einer künstlerischen Sackgasse. Wer nichts mehr zu erzählen hat und nur noch aus alten Schubladen abgegriffene Ideen hervorkramt, sollte vielleicht besser mit dem Filmemachen aufhören.