Milan Peschel

Das Auerhaus

Zigaretten anzünden leicht gemacht: Hoeppner (Damian Hardung) und Vera (Luna Wedler). Foto: Warner Bros.
(Kinostart: 5.12.) WG-Gründung zur Suizid-Prävention: Sechs Teenager beziehen ein Dorf-Haus, um einen von ihnen am Leben zu halten. Den Bestseller-Roman von Bov Bjerg verfilmt Regisseurin Neele Leana Vollmar atmosphärisch dicht, aber ohne thematischen Fokus.

Um das Auerhaus herum herrscht Kleinstadt-Tristesse: eine Fußgängerzone, ein Supermarkt, Eisdiele und Pizzeria – mehr hat dieses beige-graue Städtchen im Württembergischen nicht zu bieten. Noch bevor sie mit der Schule fertig ist, fühlt sich für die örtliche Jugend das Leben nach Stagnation an. Bevor anderswo, im fernen Berlin etwa, ihr wahres Leben beginnen wird.

 

Info

 

Das Auerhaus

 

Regie: Neele Leana Vollmar,

104 Min., Deutschland 2019;

mit: Milan Peschel, Luna Wedler, Damian Hardung

 

Weitere Informationen

 

1983: Im Radio läuft dauernd „Our House“ von Madness. Also nennen die Jugendlichen, die sich hier zu einer Wohngemeinschaft zusammentun, ihr neues Zuhause in Anlehnung an den Pop-Hit „Auerhaus“. Anlass für die WG-Gründung ist der fehl geschlagene Selbstmordversuch von Frieder (Max von der Groeben); seine Figur steht im Zentrum der Geschichte. Bei seinem Vater kann er künftig nicht mehr wohnen, allein aber auch nicht. Eine andere Lebensform muss her, damit Frieder die Psychiatrie verlassen darf: eine Art betreutes Wohnprojekt.

 

Größer mit abgehängten Decken

 

Er und der sensible, aber bodenständige Höppner (Damian Hardung) sind zwar keine engen Freunde. Doch für eine Zweckgemeinschaft reicht es, denn auch Höppner hat gute Gründe, aus seinem Elternhaus auszuziehen. Etwa wegen seines autoritären Stiefvaters (Milan Peschel): „Er hängt Decken ab, damit er sich größer fühlt“, so kommentiert Höppner dessen verbissenes Handwerker-Treiben, und nennt ihn „fieser Freund meiner Mutter“.

Offizieller Filmtrailer


 

Auf 40 Theaterbühnen gespielt

 

Höppners lebenshungrige Freundin Vera (Luna Wedler), die brave Cäcilia (Devrim Lingnau), die Pyromanin Pauline (Ada Philine Stappenbeck), die Frieder aus der Psychiatrie mitgebracht hat, und der schwule Kiffer Harry (Sven Schelker) komplettieren die Sechs-Personen-Notgemeinschaft, aus der zumindest vorübergehend echte Freunde werden.

 

Allerdings wird diese Clique daran scheitern, ihrem Kumpel eine neue Perspektive aufzuzeigen. Dass Frieders zweiter Selbstmordversuch erfolgreich war, lässt Höppner den Zuschauer ganz beiläufig bereits nach fünf Filmminuten in einem Off-Kommentar wissen. Diese Verfilmung von Bov Bjergs gleichnamigem „Coming of Age“-Bestseller von 2015, der bereits auf mehr als 40 Theaterbühnen adaptiert wurde, ist also eine einzige Rückblende.

 

Keine Nostalgie-Kalauer

 

Regisseurin Neele Leana Vollmar hat gemeinsam mit Lars Hubrich (Skript-Koautor bei „Tschick“ von Fatih Akin, 2016) das Drehbuch verfasst. Der Regisseurin war zuvor mit den Verfilmungen von „Rico, Oskar und die Tieferschatten“ (2014) und dem Nachfolger „Rico, Oskar und der Diebstahlstein“ (2016) so charmantes wie kluges Kinderkino gelungen. Diesmal verzichtet sie, dem Grundton der Romanvorlage entsprechend, auf überraschende Wendungen und Zuspitzungen – trotz der dramatischen Ausgangsituation.

 

Ihr Kalkül geht zum Teil auf. So fehlen erfreulicherweise die Kalauer, die solche nostalgiegesättigten Rückblicke in die jüngere Vergangenheit im Kino allzu oft begleiten – jüngst etwa in der leicht überdrehten Milieustudie „Petting statt Pershing“ von Petra Lüschow, die ebenfalls in der westdeutschen Provinz der 1980er Jahre spielte.

 

Statische Zustandsbeschreibung

 

In „Das Auerhaus“ wird dieses Jahrzehnt nicht schrill und bunt in Szene gesetzt. Alles kommt authentisch trist und farbentsättigt daher; trotzdem scheint ein eigener, eher stiller Humor durch. Ebenso passend wirkt der oft beinahe dokumentarisch wirkende, realitätsnahe Blick auf die Lebensphase, in der sich die Figuren befinden.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Petting statt Pershing" - 80er-Jahre-Sittenkomödie in der westdeutschen Provinz von Petra Lüschow

 

und hier eine Besprechung des Films "Tschick" – herrlich anarchische Verfilmung des Jugendbuch-Bestsellers von Wolfgang Herrndorf durch Fatih Akin

 

und hier einen Beitrag über den Film "About a Girl" - subtile Selbstmörderin-Tragikomödie von Mark Monheim mit Heike Makatsch.

 

Auf Dauer trägt das jedoch nicht. Spätestens nach der Hälfte erweist sich der Film als dramaturgisch zu flach; er bleibt eher eine statische Zustandsbeschreibung als eine Erzählung, die den Zuschauer mitnimmt. Die psychische Erkrankung, an der Frieder offenkundig leidet, wird weitgehend ausgeblendet. Einmal sagt er: „Ich wollte mich nicht umbringen, ich wollte bloß nicht mehr leben. Ich glaube, das ist ein Unterschied“. Worin genau der bestehen soll, bleibt offen.

 

Energie durch Selbstmordplan

 

Schlüssiger erscheint, dass die Handlung von einem entscheidenden Punkt bei suizidgefährdeten Depressiven ausgeht. Angehörige berichten oft: Sobald jemand einen konkreten Selbstmordplan hat, sieht es für sein Umfeld zunächst so aus, als gehe es mit dem Betroffenen aufwärts; sein Vorhaben scheint dem Kranken paradoxerweise Lebensenergie und Trost zu spenden.

 

Anders lässt sich der Spaß kaum erklären, den die sechs Gelegenheitsfreunde miteinander haben. Doch auch hierbei hapert es. Der Film hat stimmig inszenierte Momente, doch es fehlt ein klarer Fokus, worum es eigentlich geht: um einen suizidalen Teenager oder ein paar junge Menschen auf dem Absprung in ein neues Leben.