Um das Auerhaus herum herrscht Kleinstadt-Tristesse: eine Fußgängerzone, ein Supermarkt, Eisdiele und Pizzeria – mehr hat dieses beige-graue Städtchen im Württembergischen nicht zu bieten. Noch bevor sie mit der Schule fertig ist, fühlt sich für die örtliche Jugend das Leben nach Stagnation an. Bevor anderswo, im fernen Berlin etwa, ihr wahres Leben beginnen wird.
Info
Das Auerhaus
Regie: Neele Leana Vollmar,
104 Min., Deutschland 2019;
mit: Milan Peschel, Luna Wedler, Damian Hardung
Größer mit abgehängten Decken
Er und der sensible, aber bodenständige Höppner (Damian Hardung) sind zwar keine engen Freunde. Doch für eine Zweckgemeinschaft reicht es, denn auch Höppner hat gute Gründe, aus seinem Elternhaus auszuziehen. Etwa wegen seines autoritären Stiefvaters (Milan Peschel): „Er hängt Decken ab, damit er sich größer fühlt“, so kommentiert Höppner dessen verbissenes Handwerker-Treiben, und nennt ihn „fieser Freund meiner Mutter“.
Offizieller Filmtrailer
Auf 40 Theaterbühnen gespielt
Höppners lebenshungrige Freundin Vera (Luna Wedler), die brave Cäcilia (Devrim Lingnau), die Pyromanin Pauline (Ada Philine Stappenbeck), die Frieder aus der Psychiatrie mitgebracht hat, und der schwule Kiffer Harry (Sven Schelker) komplettieren die Sechs-Personen-Notgemeinschaft, aus der zumindest vorübergehend echte Freunde werden.
Allerdings wird diese Clique daran scheitern, ihrem Kumpel eine neue Perspektive aufzuzeigen. Dass Frieders zweiter Selbstmordversuch erfolgreich war, lässt Höppner den Zuschauer ganz beiläufig bereits nach fünf Filmminuten in einem Off-Kommentar wissen. Diese Verfilmung von Bov Bjergs gleichnamigem „Coming of Age“-Bestseller von 2015, der bereits auf mehr als 40 Theaterbühnen adaptiert wurde, ist also eine einzige Rückblende.
Keine Nostalgie-Kalauer
Regisseurin Neele Leana Vollmar hat gemeinsam mit Lars Hubrich (Skript-Koautor bei „Tschick“ von Fatih Akin, 2016) das Drehbuch verfasst. Der Regisseurin war zuvor mit den Verfilmungen von „Rico, Oskar und die Tieferschatten“ (2014) und dem Nachfolger „Rico, Oskar und der Diebstahlstein“ (2016) so charmantes wie kluges Kinderkino gelungen. Diesmal verzichtet sie, dem Grundton der Romanvorlage entsprechend, auf überraschende Wendungen und Zuspitzungen – trotz der dramatischen Ausgangsituation.
Ihr Kalkül geht zum Teil auf. So fehlen erfreulicherweise die Kalauer, die solche nostalgiegesättigten Rückblicke in die jüngere Vergangenheit im Kino allzu oft begleiten – jüngst etwa in der leicht überdrehten Milieustudie „Petting statt Pershing“ von Petra Lüschow, die ebenfalls in der westdeutschen Provinz der 1980er Jahre spielte.
Statische Zustandsbeschreibung
In „Das Auerhaus“ wird dieses Jahrzehnt nicht schrill und bunt in Szene gesetzt. Alles kommt authentisch trist und farbentsättigt daher; trotzdem scheint ein eigener, eher stiller Humor durch. Ebenso passend wirkt der oft beinahe dokumentarisch wirkende, realitätsnahe Blick auf die Lebensphase, in der sich die Figuren befinden.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Petting statt Pershing" - 80er-Jahre-Sittenkomödie in der westdeutschen Provinz von Petra Lüschow
und hier eine Besprechung des Films "Tschick" – herrlich anarchische Verfilmung des Jugendbuch-Bestsellers von Wolfgang Herrndorf durch Fatih Akin
und hier einen Beitrag über den Film "About a Girl" - subtile Selbstmörderin-Tragikomödie von Mark Monheim mit Heike Makatsch.
Energie durch Selbstmordplan
Schlüssiger erscheint, dass die Handlung von einem entscheidenden Punkt bei suizidgefährdeten Depressiven ausgeht. Angehörige berichten oft: Sobald jemand einen konkreten Selbstmordplan hat, sieht es für sein Umfeld zunächst so aus, als gehe es mit dem Betroffenen aufwärts; sein Vorhaben scheint dem Kranken paradoxerweise Lebensenergie und Trost zu spenden.
Anders lässt sich der Spaß kaum erklären, den die sechs Gelegenheitsfreunde miteinander haben. Doch auch hierbei hapert es. Der Film hat stimmig inszenierte Momente, doch es fehlt ein klarer Fokus, worum es eigentlich geht: um einen suizidalen Teenager oder ein paar junge Menschen auf dem Absprung in ein neues Leben.