Karlsruhe

Hans Baldung Grien – heilig | unheilig

Hans Baldung Grien: Lot und seine Töchter (Fragment), 1535/40. Staatliche Kunsthalle Karlsruhe. Erworben mit Hilfe der Ernst von Siemens Kunststiftung. Foto: © Staatliche Kunsthalle Karlsruhe.
Benannt nach seiner Lieblingsfarbe: Hans Baldung Grien war der talentierteste Mitarbeiter von Albrecht Dürer – und überflügelte seinen Meister bald durch Wagemut. Alle Facetten des Ausnahmekünstlers zeigt die grandiose Werkschau in der Staatlichen Kunsthalle.

Grien heißt nichts anderes als „Grün“. Nun tritt der Maler mit diesem Spitzennamen aus dem Schatten seiner berühmteren Kollegen heraus: Die Große Landesausstellung in Karlsruhe zeigt den Dürer-Freund als einen fulminanten Renaissancekünstler; exzentrisch, epochal und eigenwillig. Rund 200 Leihgaben zeigen die hinreißenden Bildwelten, die Hans Baldung Grien (1484/85-1545) zwischen Himmel und Hölle in Bewegung setzte.

 

Info

 

Hans Baldung Grien –
heilig | unheilig

 

 

13.11.2019 - 08.03.2020

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr

in der Staatlichen Kunsthalle, Hans-Thoma-Str. 2-6, Karlsruhe

 

Katalog 39,90 €

 

Weitere Informationen

 

Sein Werk steckt voller schillernder Widersprüche; es ist mal tief religiös, mal provokant erotisch. Er bespielte die ganze Klaviatur der Bildmedien um 1500 vom intimen Andachtsgemälde bis zum imposanten Glasfenster, vom breitenwirksamen Holzschnitt bis zum exquisiten Kabinettstück für gebildete Kenner. Der Künstler muss ein intellektueller Kopf gewesen sein – er war nicht bereit, Althergebrachtes einfach ungefragt zu übernehmen.

 

Von Schwäbisch-Gmünd nach Straßburg

 

Über Baldungs Person und Leben verraten die Quellen sehr wenig; nicht einmal das genaue Geburtsjahr ist bekannt. Die Familie kam aus Schwäbisch-Gmünd, in Straßburg verbrachte er den Großteil seines Lebens. Doch geprägt hat ihn Albrecht Dürer: In dessen Nürnberger Werkstatt heuerte der Jungspund um 1503 an. Da war er schon kein Anfänger mehr.

Feature zur Ausstellung. © Staatliche Kunsthalle Karlsruhe


 

Als 18-Jähriger in Dürers Werkstatt

 

Als Talentprobe präsentierte er dem berühmten Meister vielleicht sein virtuos gezeichnetes Selbstbildnis auf blaugrünem Papier. Sehr selbstbewusst blickt einem der etwa 18-Jährige entgegen, den zottelig modischen Hut verwegen ins Gesicht gezogen: ein junger Kreativkopf, wie er heute in einem Start-Up arbeiten könnte.

 

Künstlerisch war Baldung damals bereits voll auf der Höhe seiner Zeit. Warum Dürer ihn „Grien“ nannte? Wahrscheinlich hegte Hans für diese Farbe eine Schwäche. Außerdem gab es in Dürers Werkstatt schon zwei Gesellen mit Namen Hans, den Schäufelein und den Süß von Kulmbach. Das Monogramm HBG wurde jedenfalls zu Baldungs Markenzeichen; auf seinen Werken ist es allgegenwärtig. Diesen Kniff schaute er sich bei dem etwa 10 Jahre älteren Dürer ab.

 

Löffelholzfenster aus Kirche ausgebaut

 

Ob die beiden sich nach Baldungs Gesellenjahren in Nürnberg später noch persönlich begegnet sind, weiß man nicht. Aber der international vernetzte Dürer hatte, wie er in seinem Tagebuch notierte, Baldungs Grafiken – „des Grünhansen Ding“ – mit im Gepäck, als er die Niederlande bereiste: zum Verkaufen und Verschenken.

 

Wie Baldung sich in seiner Frühphase an Dürer schulte, inspirierte und dann zunehmend rieb, lässt sich in der Ausstellung etappenweise verfolgen. Mit Grafiken und Auftragsbildern für Altäre kam er ins Geschäft. Das fulminante „Löffelholzfenster“, benannt nach seinem Stifter, wurden eigens für die Ausstellung aus der Nürnberger Lorenzkirche ausgebaut. In der äußerst fein ausgeführten Schwarzlotmalerei auf farbintensivem Glas sehen Experten den jungen Baldung eigenhändig am Werk, nicht nur als Lieferant von Entwürfen.

 

Christi Himmelfahrt kopfüber

 

Dass der begabte Kolorist von seiner Erfahrung als Glasmaler profitierte, zeigen Gemälde wie das zauberhafte „Blumenwunder der Heiligen Dorothea“ von 1516: Mitten in einer eisigen Schneelandschaft kniet die Märtyrerin im hellroten Kleid. Der Wind weht ihr in die Haare, während ein Knabe ihr mitten im strengen Winter ein Körbchen frischer Äpfel und Rosen bringt. Damals galt so etwas noch als Wunder. Lebensnah und phantasievoll durchdenkt Baldung die gängigen Glaubensinhalte neu. In seinen religiösen Auftragsarbeiten erzählt er packend, setzt auf Lebensnähe und expressive Gefühlsdynamik.

 

Im Dialog mit Werken Dürers führen die Kuratoren dies vor Augen. Während Dürer stets klassisch ausgewogene Kompositionen liefert, brodelt es bei Baldung vor Erregung. Den verstorbenen Christus lässt er in gewagter Kopfüberhaltung mit steil nach oben gereckten Beinen gen Himmel fahren, anstatt ihn in sanfte Symmetrie zu betten.

 

Erotische Marien-Darstellungen

 

Dürer knobelt immer an idealen Proportionen, um antiken Vorbildern das Geheimnis ihr Schönheit zu entlocken. Baldung dagegen interessiert sich für emotionale Spannungen, das Widerspiel der Kräfte. In seinem Werk spiegeln sich auch die religiösen und gesellschaftlichen Umbrüche der Zeit: Er agiert an der Schwelle zwischen spätmittelalterlicher Frömmigkeit und dem kritischen Denken der Reformation.

 

Ein Raum versammelt seine Porträts, ein anderer fächert die emotionale Bandbreite der Madonnen-Gemälde auf. Solche sakralen Aufträge blieben auch nach Luthers Kritik am Marienkult weiterhin ein lukratives Schaffensfeld. Pikant und irritierend für heutige Augen ist die offensichtliche Erotik mancher Muttergottes-Darstellungen. Wie diese Marien ihre Brüste entblößen, um das Neugeborene zu stillen, und ihr wallendes Blondhaar glänzen lassen, das wirkt alles andere als vergeistigt – und nicht nur spirituell berückend.

 

Waffen der Männer + Frauen

 

„heilig | unheilig“ nennt Kurator Holger Jacob-Friesen seine umfassende Retrospektive, die erste seit 60 Jahren. Er betont, dass Baldung wie kein anderer Zeitgenosse die Vorzüge und Nachteile der Sexualität in den Blick nimmt. Etwa auf einem Bild von Adam und Eva, das aus Madrid entliehen wurde. In Lebensgröße und sinnlicher Umarmung aneinander geschmiegt, fixieren beide den Betrachter: Und wie hältst du es mit der Sünde?

 

Gegenüber verkeilen sich zwei splitternackte Männerkörper im erbitterten Kampf. In Humanistenkreisen galten die Kontrahenten „Herkules und Antäus“ als Sinnbild für den Kampf zwischen selbstbeherrscht mannhafter Tugend und ungezügelter Triebhaftigkeit. Baldungs Antäus greift seinem Gegner beherzt zwischen die Beine – wie unfair! Im Ringen der Triebenergien wird eben mit allen Mitteln gekämpft. Die Waffen der Frau sind aber auch nicht ohne: Baldungs berühmte Hexen setzen sie höchst provokant ein.

 

Höllenbrand der Syphilis

 

Den schillerndsten Gastauftritt hat das berühmte Hexenduo aus dem Frankfurter Städel. Hinter den beiden Frauenfiguren („Zwei Hexen“) lodert grellorangegelb ein Höllenbrand, der nach aktueller Forschung auf die Ausbreitung der Syphilis anspielen könnte. Die Damen, die dabei ungeniert ihre körperlichen Vorzüge einsetzen, sind jedenfalls Prostituierte, keine Frage. Baldung aber denunziert sie nicht, sondern zeigt sie als starke, schöne Frauen.

 

Dass die beiden mit teuflischen Mächten im Bunde stehen, verrät eine versiegelte Glasphiole, die die Ältere empor hält: Darin hockt ein gefangener Drache. Noch expliziter geht es auf Baldungs erotisch aufgeladenen Hexen-Zeichnungen zur Sache; die virtuos ausgeführten Arbeiten waren Sammlerstücke. Eines der Blätter diente als Neujahrsgruß für einen Kleriker, wie die Widmung verrät.

 

Inzest als Weiberlist

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Meister der Dürerzeit" mit Grafik von Hans Baldung, gen. Grien, in der Gemäldegalerie, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Dürer. Kunst - Künstler - Kontext" - opulente Werkschau im Städel Museum, Frankfurt am Main

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Dürer, Michelangelo, Rubens - Die 100 Meisterwerke der Albertina" - große Grafik-Schau mit Werken von Hans Baldung, gen. Grien, in der Albertina, Wien.

 

Selbst der Tugendhafteste ist eben vor Anfechtungen nicht gefeit. Darum geht es auch in einer erstmals präsentierten Neuerwerbung der Kunsthalle: Wie eine Venus räkelt sich die Tochter des alttestamentarischen Lot auf einem rotsamtenen Kanapee. Ihren tugendhaften Vater hatte Gott bei der Vernichtung der Sündenstadt Sodom verschont.

 

Doch kaum dem Inferno entronnen, schwängerte der Alte betrunken seine Töchter, um für Nachkommenschaft zu sorgen. Das Spätmittelalter verbuchte diese Bibel-Episode unter „Weiberlist“. Jahrhunderte später empfand man die Inzestgeschichte als heikel und zersägte Baldungs Holztafel in unverfängliche Einzelfiguren. Eines der Fragmente ist verschollen und wird noch gesucht.

 

HBG besaß Dürer-Locke

 

Wie Hans Baldung Grien sich seinen reichhaltigen Motivfundus aneignete, was ihn interessierte und wie er als Künstler dachte, lässt das „Karlsruher Skizzenbuch“ erahnen, ein einzigartiges Kompendium mit mehr als 100 eigenhändigen Zeichnungen. Dieser Schatz wird mithilfe digitaler Großprojektionen und Medienstationen jetzt erstmals einem breiten Publikum erschlossen. Es ist ein Vergnügen, sich hineinzublättern in diese Bilderwelt; die Skizzen stammen aus drei Jahrzehnten.

 

Als Baldung 1545 starb, war er in Straßburg längst zu einem überregional berühmten Meister seiner Zunft und angesehenen Ratsherr aufgerückt. Bis zum Schluss verwahrte er eine Locke des 1528 verstorbenen Albrecht Dürer in seinem persönlichen Besitz. Auch sie wird ausgestellt: eine kuriose Reliquie der Freundschaft zwischen zwei herausragenden Kollegen und Konkurrenten.