Berlin

Micro Era – Medienkunst aus China

Lu Yang: Electromagnetic Brainology Brain Control Messenger, 2017, Zwei-Kanal Video, Farbe, Ton / Two-channel video, colour, sound, 10'8", © Lu Yang / Société. Fotoquelle: smb
Alles so schön bunt hier: Zur Feier von 25 Jahren Städtepartnerschaft Berlin-Beijing wird im Kulturforum Sino-Medienkunst gezeigt. Vier Kuratoren präsentieren nur vier Künstler – mit beliebigen Bilderbögen, die Kritik und Kontroverses weitgehend aussparen.

Diese Ausstellung könnte aktueller kaum sein: Über Rotchinas Aufstieg zur Informations-Supermacht wird heftig debattiert. Die einen wollen verhindern, dass diese totalitäre Digital-Diktatur mit Schlüsseltechnologien wie Komponenten für 5G-Funknetze tief in die lebenswichtige Infrastruktur westlicher Nationen eindringt – um sie künftig ausspionieren, beeinflussen und sogar steuern zu können.

 

Info

 

Micro Era –
Medienkunst aus China

 

05.09.2019 - 26.01.2020

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr,

donnerstags bis 20 Uhr

im Kulturforum, Matthäikirchplatz, Berlin

 

Katalog 30 €

 

Weitere Informationen

 

Die anderen – vor allem die üblichen Verdächtigen unter den Großkonzernen, die am Geschäft mit China Milliarden verdienen – rollen Beijing überall den roten Teppich aus, um weiter abzukassieren; ihr Sprachrohr ist Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Ob er für die Zeit nach seiner politischen Laufbahn bereits lukrative Angebote für Aufsichtsratsposten bei Sino-Holdings in der Tasche hat, wie weiland Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) 2005 von Gazprom? „Die Kapitalisten verkaufen uns den Strick, an dem wir sie aufhängen werden“, wusste schon Lenin.

 

Wichtige Richtungsentscheidungen

 

Jedenfalls stehen im Umgang mit Rotchina Richtungsentscheidungen an, die Jahrzehnte lang nachwirken werden. Was wäre da im Kultur-Kontext sinnvoller als eine Bestandsaufnahme, wie chinesische Künstler mit der explodierenden Vielfalt multimedialer Möglichkeiten umgehen? Daran versucht sich „Micro Era“ – und scheitert komplett.

Impressionen der Ausstellung: © Action Media


 

Chinesische Familien-Angelegenheit

 

Schon der Ansatz ist hanebüchen. Hauptkuratorin Anna-Catharina Gebbers hat zwei chinesische Kollegen engagiert, Victor Wang und Yang Beichen. „Begleitet“ werden sie von Pi Li, dem „Sigg Senior Curator“ des monumentalen „M+“-Museums für zeitgenössische Kunst, das 2020 oder 2021 in Hongkong eröffnet werden soll. Der steinreiche Schweizer Uli Sigg, offenbar Finanzier von Pi Lis Posten, ist der wohl bedeutendste westliche Sammler von chinesischer Gegenwartskunst.

 

Das Kuratoren-Quartett beauftragte die chinesischen Künstlerinnen Cao Fei und Lu Yang, Beiträge zu liefern. Beide durften sich einen „Dialogpartner“ wünschen; Cao Fei wählte den jungen Multimediakünstler Fang Di, Lu Yang ihren ehemaligen Professor Zhang Peili. Also eine sehr familiäre Angelegenheit, wie in China üblich.

 

Mahjongg spielen zum Zeitvertreib

 

Vier Kuratoren für vier Künstler: Ein so intensives Betreuungsverhältnis dürfte auch im versippten Kunst-Versorgungsbetrieb einmalig sein. Zumal nur 22 meist kleine Arbeiten zu sehen sind: Was haben die Beteiligten wohl in der ganzen Vorbereitungszeit gemacht – Mahjongg gespielt?

 

Die ältesten Exponate steuert Zhang bei: Ein- oder Mehr-Kanal-VHS-Videoinstallationen, die zwischen 1988 und 1996 entstanden sind. Sehr schlichte Aufnahmen einfacher Vorgänge: Personen rasieren sich, kratzen ihre Haut oder üben sich in konzeptuell-seriellen Spielereien. Da probiert offenbar jemand ein ihm unvertrautes Medium aus. Interaktiv in einer Doppelkabine von 1995: Betritt ein Besucher die eine Hälfte, wird sein Videobild in die andere übertragen, ohne dass er es merkt. Vorsicht, Überwachungskameras!

 

Papua-Tänze im Baströckchen

 

Cao Fei, die von der internationalen Großgalerie „Sprüth Magers“ vertreten wird und in europäischen Museen sehr präsent ist, hat die aufwändigste Installation aufgebaut. Zwei einstündige Videofilme verfremden das Geschehen in einem Logistik-Zentrum; „Asia One“ macht daraus ein surreales Musical-Spektakel mit Tanzeinlagen in bizarren Kulissen, etwa einem monströsen Tintenfisch aus Plastik. Tja, Online-Shopping meuchelt auch in China den stationären Einzelhandel.

 

Ihr „Dialogpartner“ Fang Di will darstellen, wie Beijing im Rahmen der „Belt and Road Iniative“, auch „Neue Seidenstraße“ genannt, seinen Einfluss bei schwachen Anrainerstaaten geltend macht. Doch seine Aufnahmen aus Papua-Neuguinea sind abwegig banal: In „Minister“ macht ein Lokalpolitiker Reklame für sich selbst, daneben tanzen Ureinwohner im Baströckchen zu traditionellen Rhythmen. Ethno-Kitsch irgendwo zwischen postkolonialer Ausbeutung und Club-Méditeranée-Ästhetik.

 

Frankenstein im Teilchenbeschleuniger

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Arbeiten in Geschichte - Zeitgenössische chinesische Fotografie und die Kulturrevolution" - Vergangenheitsbewältigung auf chinesisch im Museum für Fotografie, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "China 8: Zeitgenössische Kunst aus China an Rhein und Ruhr" - brillante Überblicks-Schau in 8 deutschen Städten

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Die 8 der Wege: Kunst in Beijing" – exzellente Überblicks-Schau über Gegenwartskunst in China in den Uferhallen, Berlin

 

und hier einen Beitrag über die Werkschau von "Wang Bing" – grandiose Retrospektive des bedeutendsten Dokumentarfilmers in China auf der documenta 14, Kassel

 

und hier eine Kritik des Films "The Chinese Lives of Uli Sigg" – Porträt des wichtigsten westlichen Sammlers von Gegenwartskunst aus China von Michael Schindhelm.

 

Der einzige Werkkomplex auf der Höhe der Zeit ist die grellbunte Videospiel-Hölle von Lu Yang: Auf einem Dutzend Monitore flackert, flimmert, kreischt und rappelt es ununterbrochen im Look von SciFi-Anime-Filmen und Pseudo-3D-Dokumentationen. Da werden arme Avatare permanent seziert, analysiert, manipuliert und wieder zusammengesetzt; wie „Frankenstein“ im Teilchenbeschleuniger.

 

Nervenzerreißend laut und geschmacklos quietschbunt führen diese Clips die neuesten Folterinstrumente der Unterhaltungsindustrie vor. Ein Regime, das seine Jugend mit solcher Reizüberflutung bombardiert, muss keinen Protest fürchten.

 

Orwell-Software bleibt ausgespart

 

Ansonsten versenkt die Schau ihr Thema mit Aplomb. Nicht nur, weil es wie ein schlechter Witz wirkt, die Präsentation zeitgenössischer Medienkunst-Produktion im Riesenreich der Mitte auf vier Akteure zu beschränken: Der Ausstellungszyklus „China 8“ bot 2015 Hunderte von Künstlern an acht Standorten in NRW auf, um einen halbwegs repräsentativen Überblick bieten zu können.

 

Diese Ausstellung ist ebenso verfehlt, weil in ihr die aktuellsten und wichtigsten Aspekte kaum auftauchen. Beijing lässt zahlreiche Software-Tools entwickeln, um die Bevölkerung permanent und lückenlos kontrollieren zu können: von Gesichts- und Gangart-Erkennung bis zum berüchtigten Social-Credits-System, bei dem Bewertungen alltäglichen Verhaltens darüber entscheiden, welchen Zugang eine Person zu Infrastruktur und Lebenschancen hat.

 

Bilderbogen als Festschmaus

 

Diese Orwell-Welt im Kubik taucht allenfalls bei Lu Yang als Ahnung auf. Der unkritische Eskapismus der Schau erklärt sich mit Blick auf ihre Entstehung. Initiiert wurde sie von der „Gesellschaft für Deutsch-Chinesischen kulturellen Austausch (GeKA) e.V.“; ihrer umtriebigen und resoluten Leiterin Yu Zhang wird Nähe zu den KPCh-Machthabern nachgesagt.

 

Aus Anlass des 25-jährigen Jubiläum der Städtepartnerschaft von Berlin und Beijing: Dazu wird im Kulturforum ein Bilderbogen serviert, der keinem weh tut, vor allem nicht dem gefräßigen Giganten. Gemeint ist nicht Peter Altmaier, sondern Xi Jinping.