
In seiner Standortwahl zeigt sich der Sammler Harald Falckenberg als Avantgardist: 2001 verlegte er seine Kollektion vom bisherigen Domizil am Flughafen nach Hamburg-Harburg. Damals war sie in diesem Arbeiterstadtteil die einzige Hochkultur-Einrichtung mit überregionaler Ausstrahlung – das ist sie bis heute geblieben. Wobei sie sehr dezent auftritt: Hinter einer Shopping Mall reihen sich an einer Durchgangsstraße die Backsteinfassaden der „Phoenix“-Gummiwarenfabrik aneinander.
Info
Installationen aus 25 Jahren Sammlung Falckenberg
30.11.2019 - 24.05.2020
öffentliche Führungen: donnerstags und freitags
um 18 Uhr sowie
samstags, sonntags und feiertags um 12 und 15 Uhr
in der Sammlung Falckenberg, Wilstorfer Str. 71, Hamburg-Harburg
Schatzkammer mit 6000 qm
Aber mit „Sesam, öffne Dich!“-Effekt: Hinter der Eingangstür entfaltet sich eine Kunst-Schatzkammer des 21. Jahrhunderts. Die langgezogene Ex-Industriehalle ließ Falckenberg umbauen, vier Geschosse mit zentralen Freitreppen verbinden und alles gleißend weiß streichen. Auf insgesamt 6000 Quadratmetern: Mit so viel Ausstellungsfläche können nur wenige öffentliche Museen für Gegenwartskunst prunken – und ebenso wenige mit einer derart üppig bestückten Kollektion.
Impressionen der Ausstellung
Frauen-Akte aus 4000 Jahren
In der Jubiläumsschau zum 25-jährigen Bestehen wird nicht gekleckert, sondern geklotzt: mit rund 100 Werken von 60 Künstlern. Besonders gut kommen hier raumfüllende Großinstallationen zur Geltung, die teilweise erstmals öffentlich gezeigt werden; etwa die auf vier Leinwände zugleich projizierten Bildersequenzen von „Les Avatars de Vénus“ (2009).
Darin führt der französische Künstler Jean-Jacques Lebel zahllose Darstellungen weiblicher Akte aller Epochen vor, von bronzezeitlichen Figürchen bis zu Pin-up-Girls. Sie fließen mittels digitalem Morphing im Sekundentakt ineinander: Deutlich wird, wie variantenreich sich Körperbilder im Lauf der Zeit verändern – wobei manche aufreizenden Posen seit jeher gleich geblieben sind.
Aus der Steinzeit in die Nightclubs
Nebenan gelingt dem Schweizer Olaf Breuning mit „Apes“ (2001) ein ähnlicher Kurzschluss von Archaik und Gegenwart. In einer Art begehbarem Diorama hocken affenartige Gestalten zwischen Gestrüpp und Lagerfeuern; im Dunkeln ist alles nur schemenhaft erkennbar. Dann setzen Licht- und Ton-Effekte wie in Nightclubs ein: Blitze zucken, Wetterleuchten flackert, Augen glühen, rhythmische Schnalzlaute erklingen – von der Steinzeit-Savanne ist es nur ein Wimpernschlag bis zu heutigen Disco-Standards.
Nicht jeder Arbeit, die einen ganzen Raum in Beschlag nimmt, gelingt das Gleiche mit dem Betrachter. Anna Oppermanns „Problemlösungsauftrag an Künstler. Raumprobleme“ (1978-84) pflastert alle Wände mit kleinteiligem Archivmaterial; so sperrig und spröde wie der Titel, der an die bleiernen Jahre der alten Bundesrepublik gemahnt. „Delphine“ (1999) von Diana Thater ist eine aufgeschwemmte Mehrkanal-Unterwasser-Doku über Meeressäuger.
Jonathan Meese füllt drei Trash-Räume
Absoluten information overkill erzeugt Jon Kessler in „The Palace at 4 A.M.“ (2005/7): Mit 180 Röhrenmonitoren und allerlei kinetischen Konstruktionen will er ein Total-Panorama samt -Kritik des US-„Kriegs gegen den Terror“ nach den Anschlägen von 9/11 herstellen – und schafft doch nur eine multimediale Rumpelkammer. Überboten wird das noch von Jonathan Meese, der als nahe Hamburg aufgewachsener Radaubruder des Hausherrn Gunst genießt: Er durfte 2000/1 sogar drei Räume mit seinem üblichen Trash-Sammelsurium vollstopfen.
Von Meese stammt zudem eine „Jenseitskutsche“ (2002) aus Recyling-Schrott mit Voodoo-Puppen. Ohnehin scheint Falckenberg als Sammler eine Vorliebe für drastisch plakative Arbeiten zu hegen: erst von Künstlern der 1970/80er Jahre, dann ihrer Vorgänger-Generation, schließlich heutigen Zeitgenossen. Das sorgt für abwechslungsreiche Schlüsselreize.
Analfixierte Gorilla-Skulptur
Mal vielschichtig verspielt: Der vor seinem eigenen Fernsehbild meditierende „TV-Buddha“ (1974) von Nam June Paik und sein „Video-Scooter“ (1994), ein an allen Gliedern mit bunt flackernden Monitoren bestückter Rollator-Roboter, haben ihre hintersinnige Aktualität nicht eingebüßt. Mal geläufig pseudo-blasphemisch: Martin Kippenbergers ans Kreuz genagelter Holzfrosch von 1990 darf nicht fehlen.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Martin Kippenberger: sehr gut | very good" - große Retrospektive im Hamburger Bahnhof, Berlin
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Bill Viola - Installationen" - opulente Videoarbeiten-Werkschau in den Deichtorhallen, Hamburg
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Julian Rosefeldt - Manifesto" - facettenreiche 13-Kanal-Videoinstallation im Hamburger Bahnhof, Berlin
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Jason Rhoades: Four Roads" - Groß-Installationen aus Alltags-Fundstücken in der Kunsthalle Bremen.
Etablierte Gegenkultur
„Mir geht es um die Außenseiter und Freaks unter den Künstlern“, sagt Falckenberg: Ihn interessiere die „Kunst der counterculture, die nach dem Zweiten Weltkrieg als Aufstand gegen die Eliten und das Kunstestablishment entstanden ist“. Das war einmal: Fast alle hier vertretenen Künstler zählen längst zum etablierten Kanon des internationalen Kunstbetriebs, ihre Werke werden teuer gehandelt – nicht zuletzt dank eifriger Ankäufe von Großsammlern wie ihm selbst.
So gleicht der Rundgang treppauf und -ab einer Geisterbahnfahrt durch die Gegenwartskunst; voller anregender und abstoßender Überraschungen, Schock- und Aha-Effekte. Mit einer solchen Fülle bekannter Namen kann kaum ein Museum aufwarten: Robert Rauschenberg, Charlotte Posenenske, Christoph Schlingensief, Thomas Schütte, Thomas Hirschhorn, Gregor Schneider, Franz West, Erwin Wurm e tutti quanti. Was immer man von ihren Haupt- oder Nebenwerken halten mag, die hier in bunter Reihe abwechseln: Langweilig wird es nirgends.