Filme über den Widerstand gegen das NS-Regime sind längst ein eigenes Genre geworden. Mit stets ähnlichem Strickmuster: Von lauteren Motiven beseelt, wagen die Helden ihren Kampf von David gegen Goliath und streuen Sand ins Getriebe der Gewaltherrschaft – bis sie am Ende von der Vernichtungsmaschine der Nazis unweigerlich zermalmt werden. Fertig ist die Märtyrer-Legende zur volkspädagogischen Erbauung. Lässt sich dem noch irgendetwas hinzufügen, was nicht schon x-fach gesagt und gezeigt worden ist?
Info
Ein verborgenes Leben
Regie: Terrence Malick,
174 Min., Deutschland/ USA 2019;
mit: August Diehl, Valerie Pachner, Tobias Moretti, Bruno Ganz
Glauben jenseits der Vernunft
Dabei beschäftigt sich Malick als einziger bedeutender Regisseur der Gegenwart mit religiösen Themen. Genauer: mit dem Glauben als elementarer Fähigkeit des Menschen, Halt und Trost dort zu finden, wo die Vernunft nicht ausreicht. Seine Figuren sind oft Sinnsucher, die sich mit den flüchtigen Reizen von Konsum, Erfolg und Ruhm nicht zufrieden geben und hartnäckig letzte Fragen stellen – am überzeugendsten wohl Christian Bale in „Knight of Cups“ von 2015.
Offizieller Filmtrailer
Trance-Zustand in Dauerbewegung
Dafür hat Malick eine einzigartige Bildsprache entwickelt. Seine Kamera steht fast nie still; unablässig umkreist sie Kulissen und Akteure, um ausdrucksstarke Momente einzufangen. Dieses ständige Schlingern und Schweben lässt seine Filme keineswegs unruhig wirken, im Gegenteil: Es gleicht dem menschlichen Blick, der selten verharrt und meist hin und her springend das Sichtfeld abtastet. So paradox es klingt: Nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer ständigen Bewegung erscheinen Malicks Filme streckenweise wie ein kontemplativer oder Trance-Zustand.
Das kann schiefgehen: Sein Versuch, 2017 in „Song to Song“ das Rock’n’Roll-Lebensgefühl am Beispiel einer Dreiecksbeziehung einzufangen, missriet. Doch für seinen neuen Film lassen sich kaum besser geeignete Stilmittel denken. „Ein verborgenes Leben“ behandelt die letzten Lebensjahre von Franz Jägerstätter: Der einfache österreichische Bauer weigerte sich aus Glaubensgründen, Kriegsdienst in der Wehrmacht zu leisten, und wurde daher 1943 wegen ‚Wehrkraftzersetzung‘ hingerichtet.
Bergbauern-Dasein vor 80 Jahren
Jägerstätter hatte keine im engeren Sinne politischen Motive. Er wollte nur auf keinen Fall mittun beim großen Morden – und zahlte dafür bereitwillig mit seinem Leben. Über ihn schrieb der US-Soziologe Gordon C. Zahn 1964 eine Biographie, die sieben Jahre darauf fürs Fernsehen verfilmt wurde. Ein halbes Jahrhundert später greift Malick den Stoff auf und gibt ihm einen ganz eigenen Dreh.
Indem er eintaucht in die österreichischen Alpen rund um Jägerstätters Heimatort Sankt Radegund; dort rekonstruiert er minutiös die damalige Lebenswelt. Ausgiebig zeigt der Regisseur, was es bedeutete, vor 80 Jahren ein Bergbauer zu sein: die Mühsal und Plag‘ beim Bestellen der Felder und Ernten, aber auch kleine Freuden bei Dorffesten und im Wirtshaus. Wie der junge Franz (August Diehl) seine Fani (Valerie Pachner) kennen lernt und heiratet; wie sie gemeinsam ihren Hof bewirtschaften und drei Töchter bekommen; wie Franz sich freiwillig als Küster um die Dorfkirche kümmert.
Als Einziger gegen Österreichs Anschluss
Ohne falsche Idylle oder Scheu vor Redundanzen: Das bäuerliche Leben ist ein Kreislauf im Rhythmus der Jahreszeiten, warum sollte ein Film darüber es nicht sein? Den saftigen Almwiesen, schmalen Wegen und knorrigen Holzhäusern gewinnt die Kamera immer neue Ansichten ab; bald fühlt sich der Zuschauer in Radegund fast heimisch. Doch kaum hat man sich an den rauen Reiz dieses Hochlands gewöhnt, trübt sich die Atmosphäre ein.
Jägerstätter lehnt den Nationalsozialismus entschieden ab; bei der Volksabstimmung im April 1938 über Österreichs ‚Anschluss‘ an das Dritte Reich stimmt er als Einziger im Ort mit „Nein“. Der ersten Einberufung zur Wehrmacht 1940 entgeht er noch, weil ihn seine Gemeinde als „unabkömmlich“ einstufen lässt. Bei seiner zweiten Einberufung 1943 erklärt er, als gläubiger Katholik verweigere er den Wehrdienst mit der Waffe; daraufhin wird er ins Gefängnis von Linz gesteckt und später nach Berlin-Tegel verlegt.
Eindrucksvolle Gewissenskämpfe
An diesen Etappen interessieren Regisseur Malick vor allem die Zwischenphasen. Franz ringt mit sich und seiner Überzeugung, darin bestärkt von seiner Frau Fani; beiden ist klar, welches Risiko sie eingehen. Allmählich werden sie zu Außenseitern und von den Dörflern als Verräter geschnitten. Der Pfarrer (Tobias Moretti) und der Bischof von Linz versagen Franz jede Unterstützung. Dennoch beharrt er auf seinem Befund: „Wir töten unschuldige Menschen, überfallen andere Länder und beuten die Schwachen aus.“ Daran werde er sich nicht beteiligen.
Hintergrund
Lesen Sie hier ein Interview mit Schauspieler August Diehl über "Ein verborgenes Leben"
und hier eine Rezension des Films "Song to Song" - Rock`n`Roll-Liebesdrama von Terrence Malick
und hier einen Besprechung des Films "Knight of Cups" – assoziatives Sinnsucher-Drama von Terrence Malick mit Natalie Portman
und hier einen Bericht über den Film “To the Wonder” – einzigartig eigenwilliges Liebes-Drama von Terrence Malick mit Ben Affleck
und hier einen Beitrag über den Film "Elser" – Biopic über den wenig bekannten Hitler-Attentäter von Oliver Hirschbiegel mit Burghart Klaußner.
Rollenmodell christlicher Märtyrer
Sein Anwalt (Alexander Fehling) will ihm eine goldene Brücke bauen: Er müsse nur einen Eid auf Adolf Hitler ablegen, dann dürfe er Sanitätsdienst leisten. Aber Jägerstätter weigert sich und nimmt die fatalen Konsequenzen in Kauf: Das Kriegsgericht verurteilt ihn zum Tod. Das Urteil wird am 9. August 1943 im Zuchthaus von Brandenburg an der Havel vollstreckt, was der Film mit grässlicher Ausführlichkeit schildert.
Mit seiner heroischen Selbstaufopferung eifert Jägerstätter einem 2000 Jahre alten christlichen Rollenmodell nach. Doch Regisseur Malinck geht es weniger um Frömmigkeit als um Prinzipientreue – die eigenen moralischen Grundsätze nicht preisgeben. Sein außergewöhnliches Werk hat nur einen Makel: drei Stunden Laufzeit.
Lizenz zum Geduld strapazieren
Nach zwei Stunden sind alle Argumente ausgetauscht und Seelenregungen vorgeführt; die letzte Stunde zeigt nur noch quälend lange Jägerstätters Leidensweg ins Jenseits. Andererseits: Warum sollte ein Film, der alle Erzählkonventionen virtuos ignoriert, nicht auch die Geduld strapazieren dürfen?