Elia Suleiman

Vom Gießen des Zitronenbaums

Elia Suleiman (Elia Suleiman) beobachtet die Absurditäten des Alltags. Foto: Neue Visionen Filmverleih
(Kinostart: 16.1.) Absurdistan ist überall: Der palästinensische Filmemacher Elia Suleiman findet Abgründiges in Nahost, Paris und New York. Seine Aneinanderreihung skurriler Vignetten hat poetische Reize, wirkt aber auf Dauer recht manieriert.

Irgendwann reicht es einfach. Wütend wird der Filmemacher Elia – verkörpert vom Regisseur Elia Suleiman selbst, der stets einen kecken Strohhut auf dem Kopf trägt – zwar nicht. Das entspricht nicht seinem Naturell; sein modus operandi ist das stoische Staunen und stille Befremden. Doch alles in seiner Umgebung signalisiert ihm: Es ist Zeit für einen Tapetenwechsel – nach Paris und New York muss er sowieso, um sein nächstes Filmprojekt voranzutreiben.

 

Info

 

Vom Gießen des Zitronenbaums

 

Regie: Elia Suleiman,

97 Min., Frankreich/ Deutschland/ Kanada 2019,

mit: Elia Suleiman, Tarik Kopti, Kareem Ghneim

 

Weitere Informationen

 

Der Nachbar, der sich im Garten seines Haus in Nazareth breitmacht, ist nur der sprichwörtliche Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt: Einmal steigt der mit einem Korb frisch geernteter Zitronen von der Leiter, um beflissen zu erklären, dass er ja eigentlich nicht stehlen wollte. Es sei nur keiner zu Hause gewesen, den er hätte um Erlaubnis bitten können. Darüber hinaus macht er sich nützlich: Er gießt eifrig den Baum im Filmtitel und pflanzt sogar noch einen zweiten.

 

Übergriffig hilfsbereiter Nachbar Israel

 

Diesen so übergriffigen wie hilfsbereiten Nachbarn darf man mit Blick auf das Gesamtwerk des palästinensischen Regisseurs wohl als Anspielung auf Israels Taktik beim Bau neuer Siedlungen im Westjordanland verstehen. Auch in früheren Filmen, etwa dem Vorgänger „The Time That Remains“ (2009), hatte sich Suleiman mit dem Nahostkonflikt beschäftigt: Die Situation in Palästina ist sein Lebensthema.

Offizieller Filmtrailer


 

Stumme Hauptfigur

 

Trotzdem sind seine Filme dem Chef einer Produktionsfirma in Paris nicht ‚palästinensisch‘ genug. Ihm fehlt an Suleimans Vorhaben der spezifische Blickwinkel; er bemängelt, dass seine Geschichte eigentlich überall spielen könnte. Es reiche nicht aus, dass der Filmemacher eine gute Idee habe; er solle bitteschön ein Statement zur Lage der Palästinenser abgeben.

 

Dieses Treffen ist nur eine von vielen absurden Begegnungen. Wo auch immer Suleiman hinkommt, nimmt er seltsame Vorgänge und Haltungen wahr; das erzählt er als Aneinanderreihung loser, sorgfältig komponierter, bisweilen durchaus poetischer Vignetten. Nur einmal erklärt der Regisseur einem New Yorker Taxifahrer, woher er kommt; ansonsten bleibt er die ganze Zeit stumm. Das Geplapper überlässt er Anderen.

 

Wie Jacques Tati + Roy Andersson

 

Dabei erinnert seine Figur an den legendären Monsieur Hulot von Filmemacher Jacques Tati, der seine Gesellschaftskritik ebenso gern in stummer Verwunderung und befremdetem Staunen verpackte. Oder an die absurd-groteske Komik, mit der der schwedische Regisseur Roy Andersson etwa in „Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach“ (2014) auf gesellschaftliche Realitäten blickt. Auch mit Buster Keaton wird Suleiman zuweilen vergleichen – was aber nur bedingt passt, denn er lässt viele Situationen ohne Pointe verpuffen, was ihre Absurdität noch steigert.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "7 Tage in Havanna" - facettenreicher Kuba-Episodenfilm mit einem Beitrag von Elia Suleiman

 

und hier eine Besprechung des Films "Tel Aviv on Fire" - geistreich-absurde Film-im-Film-Komödie über eine Nahost-Seifenoper von Sameh Zaobi

 

und hier einen Bericht über den Film "Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach" - minimalistisch-groteske Tragikomödie von Roy Andersson, prämiert mit Goldenem Löwen 2014

 

und hier einen Beitrag über den Film "Die Reise des Personalmanagers" - herrlich absurdes israelisch-rumänisches Roadmovie von Eran Riklis.

 

Auf Dauer wirkt seine spröde Erzählhaltung trotzdem etwas redundant und manieriert; schnell begreift man, worum es Suleiman geht. Auch in der Fremde begegnet ihm immer wieder Bekanntes: ein übergriffiger Staat, militaristische Kraftmeierei und allgegenwärtige Polizei. Am französischen Nationalfeiertag donnern Kampfjets über Paris, oder ein Panzer fährt durch die fast menschenleere Stadt.

 

Mit Gewehr zum Gemüsekauf

 

Polizisten vermessen das Mobiliar eines Straßencafes, um zu prüfen, ob es gesetzliche Standards einhält. Derweil tragen Bioladen-Muttis in einem New Yorker Supermarkt sogar beim Gemüsekauf ein Gewehr über der Schulter. Kurzum: Der Rest der Welt dreht genauso am Rad, wie Suleiman es aus seiner Heimat kennt – Palästina ist überall.

 

Doch offenbar kann man es sich in der westlichen Welt eher leisten, Abgründiges auszublenden. Vielleicht, weil der Alltag genug Ablenkung bietet: In Paris starrt Suleiman schönen jungen Frauen nach, die auf der Straße auf und ab flanieren, als handele es sich um einen Laufsteg – eine recht befremdliche Inszenierung.

 

Party als wehmütige Utopie

 

Am Ende wartet dann aber doch ein Hoffnungsschimmer. Zurück in seiner Heimat steht Suleiman in einem Party-Club und schaut einer jungen, feiernden Menge zu. Mit ihrem Hedonismus ignorieren sie einfach Beschränkungen, die ihnen ihr Umfeld auferlegt. Suleiman steht wie ein Zaungast daneben. In dieser Schlussszene wirkt sein Film ein wenig wie ein wehmütiger Abgesang auf das eigene Lebenswerk.