Lokalpolitikerin aus Versehen: Eigentlich möchte die junge Ärztin Maryam (Mila Al Zahrani) zu einem Mediziner-Kongress nach Dubai fliegen. Mit Hintergedanken: Um sich dort auf eine bessere Stelle als in der Klinik ihrer saudischen Kleinstadt zu bewerben – sie liebäugelt also mit Arbeitsemigration, weil sie die provinzielle Enge in ihrer Heimat kaum ertragen kann.
Info
Die perfekte Kandidatin
Regie: Haifaa Al Mansour,
101 Min., Saudi-Arabien/
Deutschland 2019;
mit: Mila Alzahrani, Dae Al Hilali (Dhay), Nora Al Awadh
Sprechzeit nur für Bewerber
Also fährt Maryam zur Stadtverwaltung, in der ein entfernter Cousin von ihr arbeitet – sie hofft, er könne ihr helfen. Dieser Rashid empfängt heute aber nur Bewerber für den Gemeinderat. Um vorgelassen zu werden, füllt Maryam widerwillig das Antragsformular aus – Rashid hat zwar Bedenken, nimmt es aber an. Somit fällt die Reise nach Dubai flach; stattdessen findet sich die junge, energische Frau mitten im Kommunalwahlkampf wieder.
Offizieller Filmtrailer
Videoclip mit Schmetterlingen
Für den hat sie ein Thema: Die Zufahrt zum Krankenhaus ist in sehr schlechtem Zustand; das kann im Notfall wertvolle Minuten kosten. Maryam fordert seit langem, die Straße solle asphaltiert werden. Doch der amtierende Gemeinderat Dr. Tarek hat andere Prioritäten: neue Shopping Malls, Parks und Kinderspielplätze – alles, was bei den Wählern gut ankommt.
Ihre one issue campaign treibt Maryam mit allen kostengünstigen Mitteln voran, die einem frischgebackenen Polit-Neuling in Saudi-Arabien zur Verfügung stehen. Vor allem E-Wahlkampf: Ihre selbstbewusste Schwester Selma (Dae Al Hilali), die als Fotografin auf Hochzeiten ihr Auskommen findet, produziert für Maryam einen hübsch bunten Youtube-Videoclip samt animierten Schmetterlingen. Das erregt insbesondere unter jungen Leuten Aufsehen, bringt deshalb aber noch keine Stimmen ein.
Monitor-Wahlrede zu Männern
Bei ihren Geschlechtsgenossinnen versucht es die Kandidatin auf traditionellem Weg: Eine Modenschau, musikalisch untermalt von einer bekannten Sängerin, sorgt für eine volle Festhalle. Nur interessieren sich die Damen mehr für Kleider und Make-up als für Maryams Reformprogramm. Ihr Auftritt vor Männern wird dagegen zum Spießrutenlauf: Um der Geschlechtertrennung Genüge zu tun, darf sie allein per Video-Übertragung zu ihnen sprechen. Als die Technik streikt und sie leibhaftig auftritt, schlägt ihr brüske Ablehnung entgegen.
Wahlmüde Westeuropäer dürfen staunen, was diese junge Frau alles auf sich nimmt, um ihr passives Wahlrecht in Anspruch zu nehmen. Wie manches andere, das saudischen Frauen erst vor kurzem zugestanden wurde: Sie dürfen Auto fahren und in gehobenen Positionen arbeiten, doch bis zur Verheiratung bleibt der Vater ihr Vormund. Sie dürfen im Lokalfernsehen unverschleiert für ihre Positionen werben, aber sich nicht mit männlichen Wählern im selben Raum aufhalten.
Feines Gespür für Diskriminierung
Regisseurin Haifaa Al Mansour zeigt nüchtern diese Widersprüche einer stockkonservativen Nation, die sich punktuell (turbo-)modernisiert, während sie in anderen Aspekten erzreaktionär bleibt. Sie ist selbst eine Pionierin: Ihr Kinodebüt „Das Mädchen Wadjda“ von 2012 war der erste Spielfilm, der komplett in Saudi-Arabien gedreht wurde.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Mary Shelley" – schillerndes Biopic über die Frankenstein-Autorin von Haifaa Al Mansour mit Elle Fanning
und hier einen Bericht über den Film "Das Mädchen Wadjda" – der erste saudi-arabische Frauen-Spielfilm, gedreht von Haifaa Al Mansour
und hier einen Beitrag über den Film "Barakah meets Barakah" - romantische Komödie aus Saudi Arabien von Mahmoud Sabbagh
Konzertabsage nach Bombendrohung
Mit „Die perfekte Kandidatin“ wendet sich die saudische Filmemacherin wieder der Lage in ihrer Heimat zu. Nicht für feministische Agitprop, sondern für eine präzise Bestandsaufnahme der dortigen Geschlechterverhältnisse, verfeinert mit einer Prise Humor. Der durchaus gallig ausfallen kann: Hier werden Volksmusik-Konzerte nicht wegen Corona-Viren abgesagt, sondern weil radikale Islamisten mit Bombenanschlägen drohen.
Dabei beschönigt Al Mansour nichts: Mithilfe ihrer Verwandten schlägt sich Maryam wacker, was Mila Al Zahrani mit beeindruckender Verve spielt. Doch gegen patriarchalische Zustände, in denen Ehemänner ihren Gattinnen die Wahlentscheidung vorschreiben, hat sie keine Chance. Am Ende ist wenigstens die Zufahrtsstraße zur Klinik geteert – und der Zuschauer um etliche Einblicke in diese so sittenstrenge wie verschlossene Gesellschaft reicher.