Mark Waschke

Der Geburtstag

Geburtstagsvorbereitungen in angespannter Atmosphäre: Anna (Anne Ratte-Polle), Matthias (Mark Waschke) und Lukas (Kasimir Brause). Foto: © W-film / Friede Clausz
(Kinostart: 25.6.) Ein Kindergeburtstag lässt in Abgründe blicken: In seiner Schwarzweiß-Tragikomödie über elterliche Überforderung zitiert Regisseur Carlos Andrés Morelli munter aus der Filmgeschichte und beweist dabei geschmackssicher fein dosierten Stilwillen.

Kindergeburtstage sind eine nervliche und logistische Herausforderung – selbst für glückliche Familien. Die getrennt lebenden Eltern Matthias (Mark Waschke) und Anna (Anne Ratte-Polle) bringt der siebte Geburtstag ihres Sohnes Lukas (Kasimir Brause) völlig an die Grenzen ihrer Belastbarkeit – und zwischenzeitlich weit darüber hinaus. Der Überforderung, die sich daraus ergibt, die Wünsche des Kindes, Jobs und neue Lebenspartner unter einen Hut zu bringen, nähert sich der aus Uruguay stammende Regisseur Carlos A. Morelli in durchkomponierten Schwarzweißbildern voller Witz und Stilwillen.

 

Info

 

Der Geburtstag

 

Regie: Carlos Andrés Morelli,

80 Min., Deutschland 2019;

mit: Mark Waschke, Anne Ratte-Polle, Finnlay Jan Berger

 

Weitere Informationen

 

Dabei folgt die Erzählung vor allem Vater Matthias. Der ist dauertelefonierend in einem schicken, aber wenig zuverlässigen Oldtimer unterwegs – symptomatisch für seinen gesamten Lebensentwurf. Zu einem cool-jazzigen Soundtrack hetzt er von Verpflichtung zu Verpflichtung und möchte es gern allen recht machen. Trotzdem muss er ein ums andere Mal Geschenke, Zoobesuche und Unterstützung auf die nahe Zukunft vertagen.

 

Alltägliches wird bedrohlich

 

Das „Versprochen!“, mit dem er Lukas, Anna und seine neue Freundin immer wieder hinhält, ist ein Synonym seines Scheiterns. Auch die übrigen Erwachsenen drohen permanent an den eigenen oder fremden Ansprüchen zu verzweifeln. So genügen schon ein plötzlicher Regenguss und ein zusätzlicher Gast bei der Geburtstagsparty, um die Situation ins Skurril-Bedrohliche kippen und Verständigung unmöglich werden zu lassen.

Offizieller Filmtrailer


 

Lustvolles Zitieren

 

Lern- und Erkenntnisprozesse können unter solchen Umständen offenbar nur über Umwege ablaufen – ausgelöst durch Schockmomente. Das eröffnet Morelli und seinem bis in die Nebenrollen glänzenden Ensemble die Möglichkeit, lustvoll Motive und Zitate aus der Literatur- und Filmgeschichte aufzurufen und miteinander zu vermischen. Als Matthias versucht, Lukas‘ neuen Freund Julius nach Hause zu bringen, nachdem ihn seine Mutter nicht von der Party abgeholt hat, erweitert sich die Klaviatur der Stilmittel.

 

Die nächtliche Autofahrt durch den Regen zitiert den Film Noir; bald schon werden überzeugend kontrastreiche Albtraumbilder beschworen, die an expressionistische Filme in der Weimarer Republik erinnern. Und neben dem aus der Romantik entliehenen Motiv des Doppelgängers gewinnt auch die Tiersymbolik zusehends an Bedeutung, vorgeführt an den Lieblingstieren von Julius.

 

Allegorie trifft Emotion

 

Hintergrund

 

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Dass der Film angesichts dieses munteren Stilmixes nicht auseinanderfällt oder ins Lächerliche kippt, liegt vor allem an der souveränen Inszenierung. Allegorische Elemente werden nahtlos in die Handlung eingebaut und – kurz bevor der evozierte Effekt unglaubwürdig wirken könnte – durch lebensechte Gefühle aufgefangen.

 

Dabei kann Regisseur Morelli in Mark Waschke auf einen kongenialen Darsteller zählen. Dessen Matthias wird beinahe zerrissen von seinem Bemühen, seine Unruhe hinter einer Fassade entspannten Understatements zu verbergen, sogar vor sich selbst. Und auch die Kinder – allen voran Finnlay Berger, der Julius spielt – überzeugen.

 

Drehorte schaffen Atmosphäre

 

Als weiterer Pluspunkt kommen ansonsten selten gefilmte, sorgfältig ausgesuchte Drehorte in und um Halle an der Saale hinzu. Das trägt – ebenso wie die Ausstattung und Kostüme – zur besonderen Atmosphäre des Films bei. Nur der Umstand, dass sich am Ende alles doch ein wenig zu einfach auflöst, könnte verhindern, dass dieser schöne, kleine Film als zeitlose Perle in die Geschichte des deutschen Kinos eingeht – wie es etwa der in mancher Hinsicht ähnlichen Tragikomödie „Oh Boy“ (2012) von Jan-Ole Gerster gelang. Auf künftige Arbeiten von Carlos A. Morelli darf man auf jeden Fall gespannt sein.