Ressourcenschonender kann man nicht reisen. Wer Claude Monet auf seinen lebenslangen Bewegungen von Ort zu Ort folgt, durchmisst Europa von der Normandie bis zum Mittelmeer, von Venedig bis London und natürlich entlang der Seine im impressionistischen Kernland der Île-de-France rund um und innerhalb von Paris. Warum der Maler bestimmte Orte wählte und wie wichtig die Auseinandersetzung mit dem Gesehenen für seine visuellen Experimente war, will das Museum Barberini mit einem üppigen Rundumschlag von 110 Gemälden erhellen.
Info
Monet. Orte
22.02.2020 - 19.07.2020
täglich außer dienstags
10 bis 19 Uhr,
donnerstags - samstags bis 21 Uhr
im Museum Barberini, Alter Markt, Potsdam
Katalog 39 €
Ein Viel- und Schnellmaler
Für das Museum Barberini und seinen Partner Denver Art Museum ist die Schau ein doppeltes Heimspiel: Beide Häuser verfügen über bedeutende Impressionismus-Bestände; in Potsdam dank der Privatsammlung von Museumsgründer Hasso Plattner. Seine 34 Monets werden dezent mit dem Vermerk „Privatsammlung“ präsentiert; darunter etwa ein farbglühendes Bild aus der berühmten Serie der „Getreideschober“. Andere Exponate reisten aus den USA, aus Japan, Paris und London an. Monet war ein Viel- und Schnellmaler: Er vollendete viele Arbeiten binnen weniger Stunden – bevor das Wetter am nächsten Tag womöglich anders aussah.
Rundgang mit Kurator Daniel Zamani und Museumspädagogin Andrea Schmidt durch die Ausstellung; © Museum Barberini, Potsdam
Rasch + flüchtig als Markenzeichen
Tatsächlich entpuppt sich die thematische Eingrenzung auf den geographischen Aspekt „Orte“ zugleich als weit gespannter biographischer Bogen. Die wie eine Reiseroute in zwölf Stationen gegliederte Ausstellung folgt grob dem Lebensweg ihres 1840 geborenen Helden: von Monets allererstem Gemälde, dem naturalistisch-frischen „Blick von Rouelles aus“ (1858), bis zu den elegischen Seerosen-Lyrismen der letzten Monate in Giverny. Beim Durchwandern der Schau erlebt man einen Künstler im ständigen Wettkampf mit sich selbst: Monet brauchte den unmittelbaren Anblick einer Landschaft, eines Lichteindrucks, einer Szenerie. Das Rasche und Flüchtige wurde sein Markenzeichen.
Anfangs hielt er sich an die in Frankreich bereits etablierte Freiluftmalerei etwa der Schule von Barbizon: Das Plein-Air galt als Schlüsseldisziplin der jungen Avantgarde. In der heimatlichen Normandie und im Wald von Fontainebleau schulte er sein Auge und seinen Pinsel. Wir rasch Monets Interesse für die präzise Wiedergabe von Details nachließ, lässt sich im ersten Raum verfolgen. Schon bald behandelt er das Gemälde als Einheit, die er aus lockeren Farbspuren strickt: Nur mit hohem Tempo kann es gelingen, die Intensität des Moments zu fassen. Das früher verachtete Flüchtige wurde nun in der Ära der dynamischen Industrialisierung zum zeitgemäßen Modus der Malerei. Der mobile Monet profitierte dabei, wie Landkarten veranschaulichen, vom rasch ausgebauten Eisenbahnnetz in Frankreich.
Themse-Blick aus Savoy-Hotel
„Am Strand von Trouville“, einem seinerzeit populären Badeort, lässt der junge Monet 1870 die modischen Sommerkleider und Strandschirme der Städter im Meereswind flattern. Wenig später lässt er sich in Paris nieder; die Hauptstadt wird zur Bühne der sich formierenden Impressionisten. Sie gilt damals als der Ort par excellence, an dem sich das Spektakel des modernen Lebens abspielt. Monet malt das Verkehrsgetümmel, die Boulevards und urbanen Passanten. Das gipfelt im rauch- und dampfgeschwängerten Gare Saint-Lazare, wo Monet seine Leinwand 1877 in der gläsernen Bahnhofshalle mitten zwischen den Gleisen aufstellt.
Mit diesem berühmten Motiv ist das Thema moderne Großstadt für ihn quasi erledigt. Wenn er in späteren Jahren etwa nach London reist, geht er in der größten Stadt Europas lieber auf Abstand zum Geschiebe und Getriebe der Menschen. London ist für Monet vor allem die Hauptstadt des Nebels. Den giftigen Cocktail aus Morgendunst und Smog der Fabrikschlote in schillernden Farben hinzutupfen, ist ihm ganze Bilderserien wert. Dass der Künstler sich für den Themse-Blick im noblen Savoy Hotel einquartiert, dokumentiert seinen steigenden Wohlstand.
Wasser-Malerei in Venedig
Auch den Niederlanden stattete der reisefreudige Künstler einen mehrmonatigen Besuch ab. Schmucke Windmühlen und farbenfrohe Bootshäfen mit alten Häuschen am Kai verraten, wie sehr den Maler die Tradition des Pittoresken prägte. Manche seiner Holland-Bilder wirken wie Postkarten-Motive. Tatsächlich spiegelt sich in seinem Interesse für verschiedene Orte auch die Dynamik des beginnenden Massentourismus: Reiseführer und Fotoalben empfahlen den Schaulustigen bestimmte Sehenswürdigkeiten.
In Monets Malerei verwandeln sie sich zu momenthaften Farbimprovisationen. Natürlich durfte auch Venedig auf seinem Fahrplan nicht fehlen; schließlich galt die Lagunenstadt bereits seit 200 Jahren als Muss für Kulturtouristen. Monet durfte damit rechnen, seine Venedig-Ansichten gut verkaufen zu können. Zumal er hier in seinem Element war: Wasser! Ein ganz in violett-blau-rosa-türkisen Reflexen vibrierender Blick über den Canal Grande auf den Renaissance-Palazzo Contarini gehört zu den Highlights der Ausstellung.
Vorne Spaziergänger, hinten Fabriken
Schon bei Ausflügen entlang der Seine hatte Monet sein Faible für die Wiedergabe von Wasserspiegelungen entdeckt. Auch an der venezianischen Lagune, am Themseufer oder am Mittelmeer badete er regelrecht in den Licht- und Farbfluten, die er auf der bewegten Wasseroberfläche entstehen sah. Die Materialität des Ortes löste er dabei in ein diffuses all-over aus winzigen Farb- und Lichtdaten auf. Bevor er sich endgültig nach Giverny zurückzog, testete Monet andere kleine Ortschaften entlang der Seine.
In Argenteuil etwa mietete er in den 1870er Jahren ein Häuschen für seine Familie und folgte damit dem zeittypischen Drang des Bürgertums in vorstädtische Idyllen. Man sieht Zeitgenossen beim Sonntagsspaziergang am Fluss, vor Fabrikschloten und Eisenbahnbrücken in der Ferne: Die Zeichen der Industrialisierung stören Monet nicht. Aber er braucht Abwechslung, immer neue visuelle Reize: Im ländlichen Vétheuil frönt er dem Anblick pittoresker Gemäuer und verwinkelter Gassen.
Selbstverwirklichung mit Seerosen
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Monet und die Geburt des Impressionismus" – im Städel Museum, Frankfurt am Main
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Monet, Gauguin, van Gogh … Inspiration Japan" – hervorragende Ausstellung über Japonismus in der Malerei mit Werken von Claude Monet im Folkwang Museum, Essen
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Turner – Monet – Twombly: Later Paintings" – mit Werken von Claude Monet in der Staatsgalerie Stuttgart.
Was ändert sich in Giverny? Zunächst wenig. Anfangs erkundet der Maler das Umfeld des Ortes, malte die unspektakulären Pappelreihen, die rhythmisch auf die Felder gesetzten Heuschober, die sanft hügelige Landschaft. Dann ist auch dies als Motivreiz erschöpft. Monet beschließt, sich seinen eigenen Ort zu schaffen. Sein Seerosengarten wird ab 1890 zum späten Selbstverwirklichungsprojekt. Der Maler schafft sich ein Open-Air-Setting, ganz nach seinen Bedürfnissen. Es entsteht ein Resonanzraum für den visuellen Dialog, den er beim Malen braucht.
Auf in die Abstraktion!
In Monets späten Seerosenbildern fällt der Wasserspiegel mit der Leinwandoberfläche ineins. Der Maler blickt jetzt nicht mehr ins Weite, sondern von oben auf den reflektierenden Teich. Zwar litt er unter Sehstörungen und schwindender Präzision seiner Wahrnehmung, aber das kompensierte er durch furios freie, gestische Pinselschwünge. Die späten Seerosenbilder haben meditative Qualitäten, sind aber zugleich auch – wie Monets früheste Landschaften – Darstellungen eines konkreten Ortes, so abstrakt sie auch wirken mögen. Das verbindet sie mit der Tradition klassischer europäischer Landschaftsmalerei – und verleiht ihnen zugleich einen zukunftsgerichteten Impuls in Richtung gegenstandsloser Malerei.