
Geschichten aus dem wahren Leben, von Menschen, die unverhofft Heldenhaftes oder zumindest Unerwartetes vollbringen, haben es Kinoaltmeister Clint Eastwood seit einigen Jahren angetan. In „Sully“ (2016) befasste er sich mit dem Piloten, dem 2009 eine Airbus-Notwasserung auf dem Hudson River gelang; anschließend musste dieser Held allerdings ein zermürbendes Ermittlungsverfahren über sich ergehen lassen. „15:17 to Paris“ (2018) setzte sich mit dem versuchten Terroranschlag in einem französischen Schnellzug auseinander, der 2015 von drei US-Amerikanern vereitelt wurde.
Info
Der Fall Richard Jewell
Regie: Clint Eastwood,
131 Min., USA 2019;
mit: Paul Walter Hauser, Sam Rockwell, Olivia Wilde
Übereifriger Hobby-Polizist
Richard Jewell (Paul Walter Hauser) ist ein etwas tumb wirkender Außenseiter, der von einer großen Karriere im Polizeidienst träumt. Mitte der 1990er Jahre schlägt er sich allerdings als Security-Mitarbeiter durch. Mit seinem übertriebenem Eifer überschreitet er zuweilen die Grenzen seiner Zuständigkeit – etwa, wenn er als Wachmann an einer Hochschule Verkehrskontrollen durchführt, um den Drogenzufluss zum Campus zu unterbinden.
Offizieller Filmtrailer
Unschuldig in Mühlen des Systems
Im Sommer 1996 wird Jewell im Umfeld der Olympischen Spiele in Atlanta als Aufpasser eingesetzt und entdeckt eines Abends während eines Konzerts einen herrenlosen Rucksack. Auf sein Betreiben hin untersuchen die anwesenden Polizisten die Tasche – und finden eine scharfe Bombe. Daraufhin beteiligt sich Jewell an den Evakuierungsmaßnahmen. Die Explosion des Sprengsatzes reißt zwar einen Menschen in den Tod und verletzt 111 weitere. Ohne Jewells beherztes Handeln wäre die Katastrophe aber aller Wahrscheinlichkeit nach viel gravierender ausgefallen.
Die Medien feiern ihn als Helden. Doch das FBI in Gestalt des fiktiven Ermittlers Tom Shaw (Jon Hamm) nimmt ihn schnell als möglichen Täter ins Visier. Als diese Information an die Presse gelangt, beginnt eine gnadenlose Hetzjagd. Eastwood und sein Drehbuchautor Billy Ray präsentieren dem Publikum eine klassische Underdog-Geschichte: Ein unschuldiges Individuum muss mühevoll gegen das System und für Gerechtigkeit streiten.
Terrorist, weil frustriert und einsam?
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Das Tatsachendrama bleibt zumeist nah an seiner Hauptfigur und illustriert, wie leicht ein Mensch allein deshalb ins Fadenkreuz geraten kann, weil er scheinbar perfekt in ein Täterprofil passt. Aufgrund seiner beruflichen Enttäuschungen und Brüche im Lebenslauf sehen die Ermittler in Jewell einen frustrierten Einzelgänger, der einen Anschlag verübt, um durch seine anschließende Rettungsaktion endlich die ersehnte Anerkennung einzuheimsen.
Bisweilen grobe Inszenierung
Die Auswirkungen der in den Medien breitgetretenen Kampagne bündelt der Film vor allem in einer Szene: Als sich Richard Jewells Mutter Bobi (Kathy Bates) mit einem aufwühlenden Appell an die Öffentlichkeit wendet. Auf eindringliche Weise kommt hier der aufgestaute Schmerz zum Vorschein; von billiger Emotionalisierung keine Spur. Leider kann der Film dieses Niveau nicht immer halten; bisweilen kippt die Inszenierung doch ins Grobschlächtige.
Negativ sticht zum Beispiel die Darstellung der real existierenden, 2001 verstorbenen Lokaljournalistin Kathy Scruggs (Olivia Wilde) ins Auge. Wenngleich sie gegen Ende eine Wandlung durchläuft, wird sie eher plump als Personifizierung einer ruchlosen Pressevertreterin in Szene gesetzt. Für einen entscheidenden Hinweis bietet sie dem FBI-Mann Shaw sogar Sex an. An der Ausdruckskraft dieser True-Life-Story kratzen zudem einige deplatzierte Humoreinlagen zu Lasten des Protagonisten. Sein mitunter unbedarftes Verhalten hätte man sicher nicht so offensiv zur Schau stellen müssen.