Unterm Pflaster liegt nicht der Strand, sondern das Weltkulturerbe. Man stelle sich vor, das Forum Romanum oder die Akropolis wären nicht seit mehr als 2000 Jahren stets sichtbare Monumente der Vergangenheit in modernen Metropolen, sondern ein halbes Jahrtausend lang verschüttet gewesen und würden erst in jüngster Zeit wieder ausgegraben. So verhält es sich mit dem heiligen Bezirk der Azteken-Hauptstadt Tenochtitlan: Er liegt direkt unter dem Stadtzentrum vom Mexiko-City.
Info
Azteken
12.10.2019 - 16.08.2020
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr,
mittwochs bis 20 Uhr
im Linden-Museum Stuttgart, Staatliches Museum für Völkerkunde, Hegelplatz 1, Stuttgart
Katalog 29,90 €
15.10.2020 - 13.04.2021
täglich außer mittwochs
10 bis 18 Uhr
im Weltmuseum Wien, Heldenplatz, Wien
Haupttempel-Ausgrabung im Zentrum
Das heutige Mexico-City ist mit 20 Millionen Einwohnern nicht nur eine der größten Städte der Welt, sondern wohl auch diejenige mit der außergewöhnlichsten Vorgeschichte. Seit 1978 suchen Archäologen danach: Sie haben bereits rund 1,3 Hektar ausgegraben; darunter den Ort, auf dem früher der Haupttempel „Templo Mayor“ stand. Seine Bedeutung als spiritueller Mittelpunkt der faszinierenden Kultur der Azteken, die vor genau 500 Jahren zerstört wurde, zeichnet diese Ausstellung mit rund 150 ausdrucksstarken Exponaten nach.
Impressionen der Ausstellung
Aufstand der Unterworfenen
Als Cortés‘ Leute zuschlugen, war das Azteken-Reich erst knapp 200 Jahre alt. Mitte des 11. Jahrhunderts hatten die Mexica, so ihr Eigenname, ihren mythischen Ursprungsort Atzlan im Norden verlassen – davon leiteten Europäer die Bezeichnung Azteken ab. Über mehrere Stationen erreichten sie 1325 den Texcoco-See und gründeten ihre Hauptstadt; darin lebten zur Hochzeit weit mehr als 100.000 Einwohner.
100 Jahre darauf schlossen sie eine Allianz mit zwei nahe gelegenen Stadtstaaten; dieser Dreibund besiegte etliche benachbarte Völker und zwang sie zu Tributzahlungen. Ab Mitte des 15. Jahrhunderts beherrschten die Azteken unter Moctezuma I. das ganze dicht besiedelte Zentralmexiko – hohe Tribute und Abgaben erlaubten der Oberschicht einen luxuriösen Lebensstil. Die Unterworfenen ächzten indes unter dieser Last; sie sollten 1520 zu Cortès‘ natürlichen Verbündeten werden.
Zwei-Klassen-System + Mittelschicht
Die aztekische Gesellschaft war in zwei Klassen geteilt; sie ähnelte in mancherlei Hinsicht dem europäischen Feudalsystem. Adlige regierten und verwalteten regionale Gebiete; außerdem nahmen sie als Priester zahlreiche kultische Aufgaben war. Normale Bürger waren meist Bauern, die neben der Landarbeit – sie bauten vor allem Mais, Bohnen und Kürbisse an – auch einfachen Handwerken nachgingen; anspruchsvolle Aufgaben erledigten Spezialisten.
Zudem kümmerten sich Kaufleute um den lebhaften Güteraustausch zwischen den Regionen. Manche wurden dabei sehr reich, blieben aber von der Macht ausgeschlossen; sie bildeten quasi die Mittelschicht. Hörige waren an den Landbesitz eines Adligen gebunden. Es gab auch Sklaven, die sich aber ihre Freiheit erkaufen konnten; ihre Kinder waren ebenfalls frei.
Dualismus voller Tod + Opfer
Es war eine von Religion und Kriegen geprägte Gesellschaft. Das ganze Leben der Menschen wurde von komplexen Ritualen bestimmt, die auf einem dualistischen Weltbild mit zahlreichen Göttern beruhten. Wie schon der Aufbau des Templo Mayor veranschaulicht: Auf der Spitze einer riesigen Pyramide mit steilen 120 Stufen standen zwei Kapellen – eine war dem Regen- und Erdgott Tláloc geweiht, die andere dem Sonnen- und Kriegsgott Huitzilopochtli. Ihn betrachteten die Azteken als ihren Schutzgott, da er sie auf ihrer Wanderung von Atzlan aus geführt hatte.
Dem Mythos zufolge hatte seine Mutter ihn geboren, nachdem sie von einer Feder befruchtet worden war. Daraufhin wollten eifersüchtige Brüder und eine Schwester die Mutter töten, doch Huitzilopochtli kam ihnen zuvor und streckte sie nieder. Zwar ist dies als symbolische Kosmologie zu verstehen, da jene Götter mit Gestirnen assoziiert wurden, doch die Fabel macht den enormen Stellenwert von Tod und Opferung deutlich. Für die Azteken bedingten Leben und Sterben einander: Da die Götter für Erschaffung und Erhalt der Welt großes Leid auf sich nahmen, mussten ihnen die Menschen aus Dank beständig Opfergaben darbringen, um sie günstig zu stimmen.
Turm aus 1000 Schädeln
Dazu zählten auch die berühmt-berüchtigten Menschenopfer; Ausmaß und Bedeutung sind bis heute umstritten. Zumal die wenigen indigenen Codices, die der Vernichtung durch die Spanier entgangen sind, darüber nichts aussagen; eines dieser verschwenderisch illustrierten Leporello-Faltbücher wird in der Schau gezeigt.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Die Maya – Sprache der Schönheit" – faszinierendes Körperbilder-Panorama im Martin-Gropius-Bau, Berlin
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Inka – Könige der Anden" – erstklassige Überblicks-Schau im Linden-Museum für Völkerkunde, Stuttgart
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Nasca: Im Zeichen der Götter – Archäologische Entdeckungen aus der Wüste Perus" in der Bundeskunsthalle, Bonn
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Das göttliche Herz der Dinge" – mit altamerikanischer Kunst aus der Sammlung Ludwig im Rautenstrauch-Joest-Museum, Köln
und hier eine Rezension des Films "Ixcanul – Träume am Fuß des Vulkans" – Sozialdrama unter Maya-Indios in Guatemala von Jayro Bustamante, prämiert mit Silbernem Bären 2015.
Extrem seltene Federschilde
Verbürgt sind gleichfalls rituelle Blutopfer: Dafür wurden Zunge, Ohrläppchen oder Genitalien durchbohrt. Die Ausstellung präsentiert hübsch drastische Opfermesser aus Stein: Mit ihren aufgeklebten Augen und Zahnreihen sehen sie wie Dämonenfratzen aus, doch ihre genaue Verwendung bleibt unklar.
Wie bei vielen Exponaten: etwa zwei Federschilden, die zur Ausrüstung hochrangiger Krieger und Herrscher gehörten. Sie sind äußerst selten, denn wegen des leicht verderblichen Materials blieben nur sehr wenige Exemplare erhalten. Ihr farbenfrohes Gefieder leuchtet immer noch prachtvoll, doch welche Bedeutung ihre abstrakten Muster hatten, weiß man nicht.
Schokolade als Azteken-Erbe
So gleicht der Rundgang einer Entdeckungsreise: Alle paar Meter blickt man in geometrisch stilisierte Gesichter von Göttern in Menschen- oder Tiergestalt, deren fremdartige Strenge sich kaum entschlüsseln lässt. Allenfalls im informativen und reich bebilderten Katalog, der dankenswerterweise ohne Forscher-Fachjargon auskommt; aber auch Azteken-Experten müssen häufig passen. Ausgenommen bei ihrem bevorzugten Genussmittel: „Bitteres Wasser“ auf Kakaobasis, xocolatl genannt, ist heute als Schokolade weltweit beliebt.