
Performance bedeutet laut Lexikon sowohl Aufführung als auch Leistung. Im letzteren Sinne leben wir gewiss im Performance-Zeitalter: Wird sie nicht unablässig gemessen, verglichen, gesteigert und optimiert? Von Wearables am Körper des Sportlers, Trackingtools auf dem Bildschirm des Büroarbeiters und Benchmarks im Portfolio des Finanzjongleurs? Doch diese Ausstellung meint Performance im ersten Sinne: der Vorführung. Sie ist die älteste aller Künste: Menschen agieren auf einer Bühne, andere Menschen sehen und hören ihnen zu.
Info
Body Performance
30.11.2019 - 20.09.2020
täglich außer montags
11 bis 19 Uhr,
donnerstags bis 20 Uhr
in der Helmut Newton Foundation, Museum für Fotografie, Jebensstr. 2, Berlin
Die Stadt als Fotoshooting-Bühne
Die Gefahr der Beliebigkeit droht der Helmut Newton Foundation im Berliner Museum für Fotografie nicht. Die Stiftung hat stets einen archimedischen Punkt, von dem sie ausgeht: der Nachlass des Modefotografen, dessen Werk sie aufarbeitet und präsentiert. So auch in dieser Ausstellung: Im Mittelpunkt steht eine Bilderserie über das Ballett von Monte Carlo. Mit diesen Schwarzweiß-Aufnahmen, die im Lauf etlicher Jahre entstanden, wurden Programme und andere Ballett-Publikationen illustriert. Dafür nutzte Newton die Stadt als Bühne: Er lichtete die Tänzer auf Straßen und Treppen, in Grünanlagen und Hinterhöfen ab. Dabei entstanden reizvolle Kontraste zwischen durchtrainierten Körpern und urbaner Umgebung.
Interview mit Direktor Matthias Harder + Impressionen der Ausstellung
Gasherd-Flämmchen + Geburtskanal
Weniger artifiziell, aber experimentierfreudiger fallen Newtons Bilder des Tanztheaters von Pina Bausch in Wuppertal aus; da verschwindet sogar ein Tänzer im Schlund eines Krokodils. Auf das Dokumentieren von Tanz- und Theatertruppen hat sich der Fotograf Bernd Uhlig spezialisiert; er begleitet seit langem die Choreographien von Sasha Waltz. Uhlig arbeitet gern mit Unschärfe, um Bewegungen zu veranschaulichen – so erscheinen Tänzer im Hintergrund zuweilen wie flackernde Flämmchen eines Gasherds.
Oder er wählt extreme Größenverhältnisse, die weit schweifende Assoziationen erlauben: Akteure, die sich bei einer Aufführung im Berliner Neuen Museum mit den Händen an einem Sims festhalten, wirken wie Liliputaner am untersten Rand einer riesigen Brandmauer. Eine barbusige Frau, die sich von einem schwebenden Bündel schwarzer Gasballons abseilt, scheint einem abstrakten Geburtskanal zu entschlüpfen.
Hundert Frauen in Strumpfhosen
Viele Performance-Künstler dokumentieren ihre eigene Arbeit – Fotografien sind das einzige, was von flüchtigen Aufführungen für die Nachwelt übrig bleibt. Jürgen Klauke ließ 1976 eine Frau und einen Mann miteinander tanzen; was in Echtzeit konventionell aussehen dürfte, wird in den eingefrorenen Bewegungen einer Reihe von Momentaufnahmen zur bizarr erotischen Nummern-Revue.
Mit großem Ensemble trat hingegen Vanessa Beecroft 2005 in der Neuen Nationalgalerie auf. Hundert scheinbar unbekleidete Frauen standen, saßen oder lagen drei Stunden lang im Raum und bewegten sich in Zeitlupe. Ein Sittenstrolch, wer Obszönes dabei denkt: Alle Damen trugen Strumpfhosen. Dagegen sind die Mannequins auf den Schwarzweiß-Tableaus von Yang Fudong tatsächlich nackt; doch die opulenten Interieurs im nostalgisch dekadenten Stil chinesischer Metropolen der Zwischenkriegszeit hüllen sie gleichsam in den schützenden Schleier der Vergangenheit ein.
Erlaubt ist, was gefällt
Diese Fotoschau dehnt den Performance-Begriff sehr weit aus. Sind es Performances, wenn Cindy Sherman sich in immer neuen Rollenspielen verkleidet, schminkt und ablichtet – und damit zur höchstbezahlten Gegenwartskünstlerin aufsteigt? Und falls ja, welche: proteische Spiele mit Identitäten oder zynische mit einem absurd überhitzten Kunstmarkt? Ist es eine Performance, wenn Robert Mapplethorpe 1980 eine Bodybuilding-Weltmeisterin quer auf einen Felsen legt und nur die Beine bewegen lässt – in antikisierender Schönheit erstarrend?
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Helmut Newton – The Bad and the Beautiful" – Dokumentation über den Modefotografen von Gero von Boehm
und hier eine Besprechung der Ausstellung „Saul Leiter, David Lynch, Helmut Newton: Nudes“ – zeitgenössische Aktfotografie in der Helmut Newton Stiftung, Museum für Fotografie, Berlin
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Cindy Sherman: Works from the Olbricht Collection" – Foto-Selbstporträts in diversen Rollen im me Collectors Room/ Stiftung Olbricht, Berlin
und hier einen Bericht über die Ausstellung "I killed my dinner with karate" – körperbetonte Tanz-Fotografie von Franziska Strauss in der Neuen Sächsischen Galerie, Chemnitz.
Ein Vierteljahrhundert Photoshop
Performance kann nicht nur mit Körpern stattfinden, sondern auch an ihnen selbst. Barbara Probst inszeniert Triptychen von Gliedern, die sich kaum räumlich zuordnen lassen – der Leib als visueller Irrgarten. Das niederländische Duo Inez & Vinoodh performt direkt auf der Körperoberfläche: Von selig grinsenden Gestalten mit porentief schweinchenrosa Haut auf überlebensgroßen Porträts geht subtiles Grauen aus. Zum Schockeffekt gesteigert in der Serie „Thank You Thighmaster“: Diese blöde glotzenden Nackedeis – fotomontiert aus Puppen und Menschen – haben Idealmaße, aber keine Geschlechtsorgane.
Am meisten schockiert daran das Entstehungsdatum: Die Serie stammt von 1993. Seit nunmehr 27 Jahren schon lassen sich Fotos mit PC-Programmen wie Photoshop beliebig manipulieren; seit mehr als einem Vierteljahrhundert darf man Bildern eigentlich nicht mehr trauen. Seither bedeutet Performance, sie auf maximalen Schauwert hin zu trimmen. Hauptsache, sie gehorchen dem Imperativ der Leistungsgesellschaft: Mehr ist immer besser!