
Herr Matičević, im Film „Exil“ spielen Sie Xhafer, einen Techniker und Familienmenschen. Er hat sich in der Mittelschicht etabliert, fühlt sich aber wegen seiner Herkunft diskriminiert. Warum?
Xhafer lebt schon lange in Deutschland, stammt aber aus dem Kosovo. Er arbeitet bei einer Pharma-Firma als Ingenieur, glaubt aber, dass er und seine Arbeit von einem Kollegen sabotiert wird. Die Frage ist, ob das stimmt, oder nur seiner Fantasie entspringt. Das zieht ihn in eine Krise.
Von Lehrern schlecht behandelt
Bei Xhafer scheint irgendetwas an seinem Arbeitsplatz einen heiklen Punkt in ihm zu berühren, der vielleicht aus seiner Biografie herrührt. Der Zuschauer kennt ihn nicht, spürt ihn aber. Können Sie das näher beschreiben – und ist Ihnen Ähnliches aus Ihrem Leben vertraut, da Ihre familiären Wurzeln in Kroatien liegen?
Info
Exil
Regie: Visar Morina,
126 Min., Deutschland/Belgien/ Kosovo 2020;
mit: Sandra Hüller, Mišel Matičević, Rainer Bock
Bis heute trotzig + dickköpfig
Wie haben Sie diese Diskriminierung während der Schulzeit verarbeitet?
Ich will kein Drama daraus machen. In der Schule wurde mir gesagt, ich sei nur Gast in diesem Land und müsse mich gefälligst benehmen. Ich habe als Kind viel Unsinn gemacht, wie andere Kinder auch; ich war aber derjenige, der mehrmals diesen zu Satz zu hören bekam. Das ließ mich als Kind trotzig und dickköpfig werden, bis heute. Darin liegt vielleicht doch eine Parallele zur Figur von Xhafer: Fühle ich mich – wie er im Film – ungerecht behandelt, bin ich trotzig und lasse mich kaum auf Diskussionen ein. Das ist ein Überbleibsel der damaligen Erfahrung.
Offizieller Filmtrailer
Menschen lernen nur aus Schmerz
Rassismus und Diskriminierung sind wichtige Themen unserer Zeit; man denke an die rassistischen Morde von Halle und Hanau oder die „Black Lives Matter“-Bewegung in den USA. Was denken Sie darüber?
Gewalt gibt es überall auf der Welt. Schnell landet man bei Floskeln über das, was nicht sein darf und was man besser machen muss. Das ist immer das Gleiche. Es wird aber nicht wirklich etwas dagegen unternommen; wir regen uns nur kurz darüber auf. Ob im Jemen Krieg herrscht, ob in Bagdad oder Kabul Autobomben hochgehen, ob in Afrika immer noch Kinder verdursten, weil sie keine Brunnen haben – all das nehmen wir hin.
Wir müssen offenbar erst alle blutend am Boden liegen, bevor wir verstehen, dass wir besser miteinander umgehen müssen. Wir Menschen lernen nur aus Schmerz und Leid, besser zu werden. Wir alle; egal ob weiß, schwarz oder braun; egal welcher Religion, Herkunft oder Rasse. Extremisten, Rassisten und Faschisten gibt es überall. Natürlich leben wir in Deutschland unheimlich privilegiert; doch ich schaue nicht nur auf die grauenvollen Taten von Hanau und Halle. Wir gehen damit alle unterschiedlich um; der eine wird traurig, ich werde wütend.
Müde, gegen Klischee anzugehen
Es gibt kaum einen Beitrag über Sie, ohne dass Schlagworte wie Kerl, Macho oder Testosteron fallen. Fühlen Sie sich darauf reduziert? Oder empfinden Sie das auch als eine Form von Diskriminierung?
Ich werde so wahrgenommen, und dementsprechend wird über mich berichtet. Dieses Image wird mir von außen aufgedrückt. Ein Image ist wie eine Schublade – und Schubladen sind langweilig, weil sie alles auf einen einzigen Sachverhalt reduzieren. Ich habe niemals dieses Image bedient. Früher habe ich versucht, mich stärker dagegen zu wehren. Mittlerweile bin ich es müde, immer wieder dagegen anzugehen.
Premieren und ähnliche Auftritte in der Öffentlichkeit scheinen Ihnen eher lästig zu sein.
Sieht man das? Mist. Aber ja, ich mache eher einen Bogen um große Auftritte.
Auftritte sind mir eher lästig
Gehört das nicht zum Schauspieler-Beruf dazu?
Das ist ein Teil des Spiels, das man mitmachen muss; es hat auch seine Berechtigung. Hat ein Film seine Premiere auf der Berlinale, ist das ein Geschenk und fantastisch. Aber solche Auftritte sind mir eher lästig, weil ich scheu bin. Das passt selbstredend nicht zum Macho-Image; Machos sind nicht scheu. Ich mache das mit, bin da aber nicht erpicht drauf. Es gibt Kollegen, die machen sich da einen Spaß draus, die gehen super damit um und machen das gerne. Ich weniger, obwohl ich immer mit dem Herzen bei meinen Filmen dabei bin.
Wie wählen Sie Ihre Rollen aus?
Generell muss mich das Drehbuch ansprechen. Mein Bauchgefühl muss mir sagen, dass muss ich machen – und kein anderer auf der Welt. Mein Instinkt muss mir sagen, dass ich das machen will. Ich kann mich auf meinen Instinkt fast 100-prozentig verlassen.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Exil" von Visar Morina mit Mišel Matičević
und hier eine Besprechung des Films "Babai – Mein Vater" - eisiges Drama über Kosovo-Emigranten von Visar Morina
und hier einen Bericht über den Film "Der Albaner" – Immigrations-Thriller über die Kriminalisierung eines Kosovaren in Deutschland von Johannes Naber
und hier einen Beitrag über den Film "In den Gängen" – poetische Kleine-Leute-Studie in Ostdeutschland von Thomas Stuber mit Sandra Hüller.
Das Drehbuch von Visar Morina war sehr dicht, gerade bei dieser Figur. In mir entstand meine Version von Xhafer. Die haben Visar Morina und ich in der Vorbereitungszeit abgeglichen; indem wir überlegt haben, wie er aussieht und auf gewisse Situationen reagiert.
Im Strudel des Zweifelns
Herausragend gelingt Ihnen die Darstellung des Drucks, der auf Xhafer lastet. Wenn er zu seinem Reihenhaus geht, wirkt es, als würde ihn ein unsichtbarer, schwerer Rucksack belasten. Dazu kommt die Hitze. Der Druck auf ihn wächst permanent, in der Familie wie im Job, er scheint einfach nichts mehr richtig machen zu können. Was passiert, wenn jemand in eine solche Extremsituation getrieben wird?
Ob der Verdacht der Diskriminierung stimmt oder nicht, bleibt offen; aber Xhafer nimmt es so wahr. Er denkt darüber nach, ob jemand bewusst gegen ihn arbeitet. Ein solcher Zustand des Zweifelns führt in eine Krise; und aus diesem Strudel heraus zu finden, wird immer schwieriger. Das kann zu einem Punkt führen, an dem Gewalt ins Spiel kommt; das erleben wir im Film.