Massoud Bakhshi

Yalda (A Night for Forgiveness)

Mona (Behnaz Jafari, li) könnte Maryam (Sadaf Asgari,re) in der Fernsehshow des Moderators Omid (Arman Darvish2vre) und des Stargasts Firouz (Faghiheh Soltani,2vli) vergeben. Foto: Little Dream Pictures © jba Production
(Kinostart: 27.8.) Blutgeld und Einschaltquoten: Der Regisseur Massoud Bakhshi erzählt eindrücklich von einer zum Tode verurteilten jungen Frau, die in einer Reality-Show um ihr Leben kämpft – dieses Fernsehformat gibt es im Iran wirklich.

Das Yalda-Fest wird im Iran, aber auch in Afghanistan und Tadschikistan anlässlich der Wintersonnenwende gefeiert. Es gilt als Fest der Vergebung. Die längste Nacht des Jahres ist zugleich auch Anlass für Millionen von Menschen, den Abend mit ihrer Familie vor dem Fernseher zu verbringen. Was läge näher, als Familiendramen, Versöhnung und Fernsehen zusammenzubringen? Willkommen bei „Freude der Vergebung“.

 

Info

 

Yalda (A Night for Forgiveness)

 

Regie: Massoud Bakhshi,

89 Min., Iran/ Frankreich/ Deutschland 2019;

mit: Sadaf Asgari, Behnaz Jafari, Fereshte Sadre Orafaiy

 

Weitere Informationen

 

In dieser Fernsehshow können von einem Gericht Verurteilte bei jenen um Verzeihung bitten, die sie geschädigt haben. Es gilt islamisches Recht; Vergeltung und Vergebung sind darin zentrale Elemente. Wenn es um Mord geht und die Geschichte beim SMS-Voting besonders viele Stimmen einsammelt, übernimmt der Sender sogar das Blutgeld.

 

Drohende Hinrichtung

 

Zu Beginn des Films wird die junge Maryam mit dem Polizeiwagen in einem Fernsehstudio in Teheran abgeliefert. Das Gericht hat sie bereits zum Tode verurteilt, weil sie ihren wesentlich älteren Ehemann ermordet haben soll. Nur die öffentliche Vergebung durch dessen Tochter Mona kann Maryam noch vor der Hinrichtung bewahren – woran der Vorspann der Show eindringlich erinnert.

Offizieller Filmtrailer


 

Mediengerechte Dramatik

 

Dementsprechend nervös ist die junge Frau, die hier auf eine letzte Chance hofft, ihre Version der Geschichte zu erzählen. Doch stattdessen muss sie mit ansehen, wie ihr Schicksal nach allen Regeln des TV-Handwerks ausgeschlachtet wird. „Keine Sorge, alles halb so schlimm“, begrüßt sie der Moderator. „Komm mein Kind, du brauchst etwas Farbe im Gesicht“, findet die Visagistin. „Ich hab ihnen doch nur deine besten Fotos gegeben“, schwört die Mutter.

 

Die trägt, wie sich herausstellt, durchaus eine Mitschuld an Maryams verzweifelter Lage. Das wird im Lauf der einstündigen Fernseh-Show fast in Echtzeit erzählt, wobei die Kamera immer wieder von dem Geschehen auf der Bühne hinter die Kulissen und zurück springt. Es ist eine verzwickte, im Grunde universelle Tragödie, bei der aber auch islamische Besonderheiten eine Rolle spielen.

 

Ehe ohne Rechte

 

Dazu gehört zum Beispiel die „Ehe auf Zeit“. Sie erlaubt eine vorübergehende Eheschließung, ohne dass die Ehefrau oder ihre Kinder das Recht haben, den Familiennamen fortzuführen. Auch hat die Frau keinen Anspruch auf das Erbe ihres Mannes. In einem solchen Vertrag sah sich Maryam gefangen. Als sie entgegen der Absprachen schwanger wurde, kam es zum Streit mit ihrem Gatten, dem wohlhabenden Chef einer Werbeagentur.

 

Ein Schubser genügte, um den alten Mann zu Fall und damit letztendlich auch umzubringen. Dass er noch lebte, als sie in ihrer Verzweiflung floh, habe sie nicht geahnt, beteuert Maryam vor der Kamera; auch, dass sie ihn geliebt habe wie einen Vater. Der Produzent reibt sich derweil die Hände. Das ist Material nach seinem Geschmack. Aber wird die junge Frau damit ihre ältere „Nichte“ Mona überzeugen?

 

Reality-Show schafft Fakten

 

Die wird vom iranischen Star Behnaz Jafari als veritable Rachegöttin gespielt und lässt bis zum Schluss offen, ob sie der aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Maryam vergibt. Es geht für sie nicht zuletzt auch um eine Menge Geld. Für Maryam dagegen steht alles auf dem Spiel. Die junge Hauptdarstellerin Sadaf Asgari legt sich ins Zeug, als ginge es in dieser Geschichte um ihr eigenes Leben. Reality-Shows, in denen es um die Begnadigung von Häftlingen geht, gibt es im Iran übrigens wirklich.

 

Das Kammerspiel von Regisseur Massoud Bakhshi bleibt nervenaufreibend bis zuletzt. Es erinnert zunächst an Filme wie „Running Man“ (1987) mit Arnold Schwarzenegger in der Hauptrolle, der sich lose an den Roman „Menschenjagd“ von Stephen King anlehnte; oder auch an die legendäre ARD-Produktion „Das Millionenspiel“ (1970), in der ein Kandidat eine Woche lang vor Auftragskillern fliehen musste – und alle TV-Zuschauer ihm entweder helfen oder ihn verraten konnten.

 

Makaber nur im Westen

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Drei Gesichter" - vielschichtiges Road Movie in der iranischen Provinz von Jafar Panahi mit Behnaz Jafari

 

und hier einen Bericht über den Film "Eine moralische Entscheidung (No Date, No Signature)" - intensives Schuld-und-Sühne-Drama von Vahid Jalilvand

 

und hier einen Beitrag über den Film "The Salesman" – fesselndes Vergewaltigungs-Ehedrama im Iran von Asghar Farhadi

 

und hier einen Bericht über den Film  "Im Bazar der Geschlechter" – prägnante Doku über Ehe auf Zeit + Prostitution im Iran von Subadeh Mortezai.

 

Der entscheidende Unterschied ist jedoch, dass die hier gezeigte Vergebungs-Show tatsächlich ein reales Vorbild hat. Und auch wenn „Yalda“ zwischen seinen zahlreichen dramatischen Wendungen bisweilen zum Schmunzeln einlädt, verweist das Drama doch auf Abgründe, die jedes Lachen im Hals ersticken. Schließlich stellt es nicht nur mahnende Gedankenspiele liberaler Drehbuchautoren dar, die in einem recht gemütlichen System arbeiten, sondern den verlängerten TV-Arm der Exekutive in einer real existierenden, todbringenden Theokraten-Diktatur.

 

Das kann wohl nur im Westen als makaber empfunden werden. Die Menschen, die im Fernsehstudio arbeiten, scheinen sich mit dieser Realität arrangiert zu haben – ebenso wie das Publikum. Doch wenn Maryam in diesem Pandämonium als einzige Stimme der Vernunft erscheint, zielt der Film offenbar darauf ab, dass ihr die Daumen gehalten werden. Nicht nur in Europa.

 

Gemacht fürs In- und Ausland

 

Im Gegensatz zu seinen im Ausland gefeierten und zuhause mit Verboten belegten Kollegen hat Bakhshi kein Versteckspiel mit den iranischen Behörden risikiert. „Yalda“ ist zwar eine vornehmlich europäische Koproduktion, wurde aber in Teheran, mit einheimischen Schauspielern und auf Farsi gedreht. Auch die Premiere feierte er in der iranischen Hauptstadt.

 

Er dürfte damit einer der wenigen Filme sein, die ihr Publikum sowohl im internationalen Arthouse-Kino als auch im Iran finden werden. Es ist ihm zu wünschen. Den sprichwörtlichen Spiegel hält er auf raffinierte Weise nämlich beiden vor.