Brust, Taille, Po: Mit dem Vermessen und Vergleichen vor allem von Frauen macht man im Fernsehen auch heute noch gute Quote. Dass bereits vor 50 Jahren Aktivistinnen antraten, um diese Art Fleischbeschau zu stören, wird wohl nur noch wenigen präsent sein.
Info
Die Misswahl -
Der Beginn einer Revolution
Regie: Philippa Lowthorpe,
106 Min., Großbritannien/ Frankreich 2019;
mit: Keira Knightley, Jessie Buckley, Gugu Mbatha-Raw, Greg Kinnear
Zweite Welle des Feminismus
An dieses Ereignis will Regisseurin Philippa Lowthorpe mit ihrem Film „Die Misswahl“ erinnern. Es blieb nicht folgenlos, zumindest in Großbritannien: Dort machte es eine neue Generation der Frauenbewegung, die so genannte „zweite Welle des Feminismus“, in der breiten Öffentlichkeit bekannt. Allerdings versucht Lowthorpe, viele unterschiedliche Aspekte in einem Spielfilm unterzubringen, was nicht durchgängig gelingt.
Offizieller Filmtrailer
Schwarze aus Grenada + Südafrika
Die Regisseurin verknüpft drei unterschiedlich gewichtete, aber parallel erzählte Handlungsstränge miteinander. Ihr größtes Interesse gilt der positiven Radikalisierung von Hauptfigur Sally Alexander (Keira Knightley). Die Mutter eines Kleinkinds erkämpft sich mit Eloquenz und unschlagbaren Argumenten einen Studienplatz an der Universität, indem sie fordert, nicht anders als männliche Mitbewerbern behandelt zu werden. Frustriert von der Ignoranz ihrer männlichen Kommilitonen, schließt sich Sally einer Frauen-Gruppe um Jessie Buckley (Jo Robinson) an, die mit spektakulären Aktionen gegen Sexismus ankämpft.
Währenddessen spürt Eric Morley (Rhys Ifans), Erfinder und Ausrichter der Miss-World-Wahl, gesellschaftlichen Gegenwind gegen seine Veranstaltung, die fast ausschließlich europäisch aussehende Kandidatinnen präsentiert. Entnervt von dieser Kritik, lässt er neben der ohnehin eingeplanten „Miss Grenada“ (Gugu Mbatha-Raw) eine weitere schwarze Mitbewerberin aus Südafrika rekrutieren.
Bob Hope versteht die Welt nicht mehr
Nun muss er nur noch den berühmten US-amerikanischen Komiker Bob Hope als Moderator gewinnen. Ihn präsentiert Lowthorpe als Inkarnation eines sexistischen weißen alten Mannes (wunderbar: Greg Kinnear), der den Mentalitätswandel in den 1960/70er Jahren nicht mehr versteht – und erst recht nicht den weiblichen Aufstand, der seine Show-Moderation durchkreuzen wird.
Bis es dazu kommt, illustriert der Film episch breit die Lebensumstände, aus denen die Antagonisten kommen. Da sind einerseits Sallys kleine, improvisiert eingerichtete Wohnung, in der sie mit ihrem Kind und neuem Mann lebt, sowie die chaotischen Räumlichkeiten der Aktivistinnen; dem gegenüber stehen das britisch-klassizistische, wohlgeordnete Büro der Misswahl-Organisation und das protzig modernistische Interieur von Bob Hopes Villa – alles im bräunlich-orangeroten 1970er-Look gehalten, auf dessen Rekonstruktion die Ausstatter viel Sorgfalt verwendet haben.
Kurzurlaub von der Apartheid
Das lässt sich nicht von allen Charakteren sagen. Liebevoll und detailreich gezeichnet sind die britischen Hauptfiguren. Die Charakterisierung der damals am Wettbewerb teilnehmenden schwarzen Bewerberinnen gerät hingegen zu schablonenhaft.
Hintergrund
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Score stört sinnlichen Erzählfluss
Die männlichen Akteure erhalten zumindest genug Raum, um unterhaltsam zu chargieren. Die übrigen Misswahl-Kandidatinnen wirken dagegen nur wie hübsche Negativfolien, um die Lebendigkeit der frauenbewegten Aktivistinnen zu unterstreichen. Selbst als beide Gruppen von Frauen aufeinanderstoßen, gerät dieses Treffen eher zum Lehrstück als zum spannenden Schlagabtausch.
Derart sentenzenhaften Dialoge sollen die Handlung wohl mit noch mehr Bedeutung aufladen; sie stehen aber im Kontrast zum durchaus sinnlichen und energischen Erzählfluss, der allerdings öfter durch einen überzuckert geigenseligen Score gestört wird.
Vorbilder erst im Abspann
Was diese britischen Feministinnen vor 50 Jahren in Bewegung setzten, ist der Erinnerung gewiss wert. Doch diese filmische Würdigung driftet leider zu häufig in Bedeutungskitsch ab; damit wird er den realen Vorbildern kaum gerecht, die erst im Abspann auftauchen.