Mit Selbstironie zur Seelenruhe: Büromenschen bekämpfen Frustrationen gern, indem sie sich über das eigene Arbeitsumfeld lustig machen. Auch Hollywood gönnt sich in regelmäßigen Abständen Sticheleien auf eigene Kosten, etwa in „Hail, Cesar“ (2016) von den Coen-Brüdern. Selten kratzt die Filmindustrie aber am Lack der Traumfabrik wie etwa in „Trumbo“ (2015) von Jay Roach über den verfemten Drehbuchautor Dalton Trumbo und nun – zumindest teilweise – in „Mank“ von Regisseur David Fincher.
Info
Mank
Regie: David Fincher,
131 Min., USA 2020;
mit: Gary Oldman, Amanda Seyfried, Lilly Colins
Trinker, Zocker + Freigeist
Er hat sich gerade aus dem Autorenteam des Fantasymusicals „Der Zauberer von Oz“ (1939) zurückgezogen, da er in dem Kinderbuchstoff kein Potential sieht. Mankiewicz wird von allen nur Mank genannt; er ist ein gefragter, aber wegen seiner scharfen Zunge auch gefürchteter Autor. Der ideenreiche, trunk- und spielsüchtige Freigeist hat sich nach langen Jahren in Hollywood in fatalistischen Zynismus geflüchtet; er wirkt ausgebrannt.
Offizieller Filmtrailer
Zwei Monate Bettruhe für Skript
Dennoch nimmt Mank ein Angebot des damals 24-jährigen Orson Welles (Tom Burke) an, der nach Überraschungserfolgen mit Theater- und Hörspielinszenierungen als kreatives Wunderkind gilt. Soeben hat er vom Produktionsstudio RKO einen Blankoscheck bekommen; er darf einen Film seiner Wahl völlig in eigener Regie realisieren. Diesen Freibrief reicht er an Mank weiter, der nach einem Autounfall mit gebrochenem Bein ans Bett gefesselt ist.
Damit er ohne Ablenkung schnellstmöglich ein Script abliefert, wird er mit Schreibkraft (Lily Collins) und Pflegerin in eine Ranch im heißen Nirgendwo verfrachtet. Dort verfasst er innerhalb von zwei Monaten das Drehbuch für „Citizen Kane“; darin rechnet er mit dem Charakter des damals mächtigsten US-Medienmoguls William Randolph Hearst ab.
Hommage an Vaters Drehbuch
Schon Anfang der 1990er Jahre schrieb David Finchers Vater Jack, der 2003 starb, ein Drehbuch über Mankiewicz. Vor einem Vierteljahrhundert war jedoch kein Filmstudio an einem Schwarzweißfilm über gleich zwei unbequeme Hollywood-Genies interessiert; die Umsetzung gelang erst mit Geld von Netflix.
Bisher erschien der Regisseur eher als Spezialist für spannende zeitgenössische Stoffe wie die Aggressions-Studie „Fight Club“ (1999) oder „The Social Network“ (2010) über die Anfänge von Facebook. Nun lässt er das Publikum tief hinter die glamourösen Kulissen des Hollywood der 1930/40er Jahre blicken – ein Haifischbecken großer Egos. Er beleuchtet aber auch politische Verwerfungen der Periode: die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf die Traumfabrik, die manipulative Rolle von Louis B. Mayer, Boss der „Metro Goldwyn Mayer“-Studios, im kalifornischen Wahlkampf oder die Aktivitäten des linkspopulistischen Schriftstellers Upton Sinclair.
Promi-Partys im Hearst Castle
Pressetycoon William Randolph Hearst (Charles Dance), das lebende Vorbild für „Citizen Kane“, taucht in Rückblenden auf das Jahr 1934 auf, als Mankiewicz über gemeinsame Bekannte in dessen Dunstkreis gerät. Hearsts Geliebte, die Schauspielerin Marion Davies (brillant: Amanda Seyfried), hat ihn in ihr Herz geschlossen.
Mankiewicz wird zu pompösen Festen im Neureichen-Schloss „Hearst Castle“ eingeladen und steigt in Hollywood auf. Er gewinnt Einblicke in politische Machenschaften der vorgeblich neutralen Medien und Filmstudios und ist davon angewidert – die Motivation zum Drehbuch für „Citizen Kane“, wie der Film suggeriert.
Look + Sound der 1940er Jahre
Hintergrund
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Dafür nimmt sich Regisseur Fincher zweieinviertel Stunden Zeit. Manchem mag sein Film zu manieriert oder historisierend erscheinen – doch die Darsteller, allen voran der herausragende Gary Oldman, sorgen durch ihr modernes Spiel für ein zeitgemäßes Erscheinungsbild. Inklusive aktueller Anspielungen auf das heutige Amerika, wenn etwa eine Abendgesellschaft im Jahre 1934 leichtfertig über das Dritte Reich plaudert.
Bitte auf die Leinwand bringen
Bei aller Liebe zum historisch korrekten Detail und seiner betont bedächtigen Erzählweise bleibt „Mank“ ein aktuelles Werk mit kritischen Bezügen zur Gegenwart; man darf vermuten kann, dass Hollywood heutzutage kaum anders funktioniert. Damit setzt Fincher einem so unkonventionellen wie genialen Drehbuchautor und Querkopf ein überfälliges Denkmal; hoffentlich kann man es später noch im Kino auf der großen Leinwand erleben.