Windschiefes Gejaule ertönt schon im Vorspann von „Soul“, dem neuesten Abenteuer der Trickfilmschmiede Disney-Pixar. Es lässt jedem Musikliebhaber das Blut in den Adern gefrieren. Auch Joe Gardner (in der Originalversion gesprochen von Jamie Foxx) guckt gequält aus der Wäsche – er muss diese Missklänge jeden Tag ertragen. Seine Brötchen verdient er als Gelegenheits-Musiklehrer an einer New Yorker Schule.
Info
Soul
Regie: Pete Docter;
100 Min., USA 2020
mit: Jamie Foxx, Tina Fey, Graham Norton
Endlich auf der großen Bühne
Joe beginnt sich damit abzufinden, dass sich seine Ambitionen nicht erfüllen werden, da klingelt das Telefon ein zweites Mal: Sein ehemaliger Schüler Curley hat es zum Schlagzeuger einer gefeierten Jazzband gebracht. Die Bandleaderin Dorothea Williams (Angela Bassett) sucht nun einen Pianisten, der sofort einspringen kann.
Offizieller Filmtrailer
Statt Bühne: das Jenseits?
Joe großer Tag scheint gekommen. Er nutzt seine Chance – und schwebt nach dem gelungenen Vorspiel derart auf Wolken, dass er in einen offenen Kanalschacht stürzt. Sein Körper liegt nun komatös im Krankenhaus, seine Seele findet sich auf einem Förderband wieder, mit vielen anderen Seelen unterwegs Richtung Jenseits. Doch Joe will auf keinen Fall abtreten – gerade jetzt, als sein wahres Leben beginnt. Er wagt die Flucht vom Förderband. Allerdings landet er nicht wie erhofft auf der Erde, sondern im „Davorseits“: Hier werden die Charaktereigenschaften und Leidenschaften der ungeborenen Seelen ausgebildet.
Als Mentoren arbeiten dort die Seelen berühmter und verdienter Verstorbener; Joe wird Mentor für eine Seele namens „22“. An diesem Blag haben sich schon Mutter Teresa, Kopernikus und Abraham Lincoln die Zähne ausgebissen. Doch die trotzige „22“ weigert sich. Sie will nicht auf die Erde – das Leben scheint ihr schlichtweg nicht lebenswert. Joe muss sich etwas einfallen lassen; andernfalls wartet auf ihn das Förderband zum Jenseits.
Slapstick, Harlem Style und Teletubbies
Gerade als sich das bisweilen wirre Hin und Her zwischen den Welten totzulaufen droht, wartet „Soul“ mit einem Wendepunkt auf: Fortan sorgt ein versehentlicher Körpertausch für reichlich schrägen Slapstick. Zudem kommt auch das erwachsene Publikum auf seine Kosten: Dieser Film ist eine bunte, detailverliebte Hommage an das Leben in der Großstadt. Vom Barbershop als Treffpunkt der Nachbarschaft bis zur Energie eines Jazz-Clubs wird das schwarze New York gefeiert – in der ersten Pixar-Produktion mit afroamerikanischer Hauptfigur.
Hintergrund
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Große Fragen und kleine Freuden
Bekannt wurde der Regisseur und Drehbuchautor Pete Docter 2001 mit dem Animationsfilm „Die Monster AG“ über Freundschaft, die Fremdheit und Ausbeutung überwindet. Im charmanten Nachfolger „Oben“ von 2009 jagte ein übellauniger Rentner seinem Lebenstraum nach. 2015 widmete sich Docter in „Alles steht Kopf“ dem menschlichen Innenleben mit seinen Emotionen. Nun stellt er in „Soul“ die ganz großen Fragen: Was macht uns aus? Wodurch wird das Leben lebenswert, und welche Rolle spielt der sprichwörtliche Funke, der Menschen für etwas brennen lässt?
Wie oft bei Filmen aus dem Hause Pixar gehen Anspruch und Mainstream-Kompatibilität geschmeidig zusammen. Angesichts vieler hübscher Einfälle stört nur ein bisschen, dass die Geschichte am Ende ihren Schwung verliert – vielleicht sind solche metaphysischen Fragen einfach eine Nummer zu groß. Auf jeden Fall holt „Soul“ Alltagsmagie ins Wohnzimmer. Genussvoll in eine Pizza beißen, einem trudelnden Ahornsamen nachschauen: Dieser Film feiert mit wundervollen Bildern das Glück der kleinen Dinge.